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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 234/2020 vom 26.02.2020
Steuerpflichten in der Abwasser- und Abfallentsorgung
Die hoheitliche Abwasserbeseitigung (§ 56 WHG, § 46 LWG NRW) und die hoheitliche Abfallentsorgung (§ 17 Abs. 1, 20 KrWG i. V.m. § 5 Abs. 1, Abs. 2. Abs. 6 LAbfG NRW unterliegen nach bisherigem Verständnis grundsätzlich nicht der Steuerpflicht (Körperschafts-, Umsatz- und Gewerbesteuer), wenn diese in öffentlich-rechtlichen Organisationsformen (Regiebetrieb, eigenbetriebsähnliche Einrichtung, AöR) durchgeführt werden. Dieses hat für den Gebührenzahler unter anderem den Vorteil, dass er z. B. keine Umsatzsteuer auf die Personal- und Verwaltungskosten zahlen muss (vgl. Hidien/Jürgens, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 1. Aufl. 2017, S. 86; Cronauge, Kommunale Unternehmen, 6. Aufl. 2016, S. 51; in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunaler Unternehmen, 3. Aufl. 2015, S. 445; Hellermann: in Hoppe/Uechtritz/Reck, Handbuch kommunale Unternehmen, 3. Aufl. 2012, S. 169).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger die Abwasserentsorgungspflicht oder die Abfallentsorgungspflicht in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) erbringt, weil die GmbH kraft ihrer Rechtsform der Steuerpflicht unterliegt (z. B. Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer).
Dieses ist bei den Rechtsformen des Regiebetriebes, der eigenbetriebsähnlichen Einrichtung oder der Anstalt des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht der Fall, weil es sich um öffentlicht-rechtliche Organisationsformen handelt.
Unter anderem mit Blick auf die Zusammenarbeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) ist am 1.1.2016 der § 2 b Umsatzsteuergesetz (UStG) in Kraft getreten (BGBl. I 2015 S. 1834 ff., 1843). Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind nicht nur die Städte, Gemeinden und Kreise als Gebietskörperschaften, sondern auch grundsätzlich andere Körperschaften des öffentlichen Rechts wie etwa sondergesetzliche Wasserverbände oder freiwillig gegründete Wasser- und Bodenverbände nach dem Wasser- und Bodenverbandsgesetz des Bundes (WVG). Außerdem gehören auch Anstalten des öffentlichen Rechts zu den jPöR.
Der § 2 b UStG gilt nach derzeitigen Rechtsstand definitiv ab dem 1.1.2021, weil in der Zwischenzeit gemäß § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG die Alt-Regelung des § 2 Abs. 3 UStG a. F. (Stichwort: Betrieb gewerblicher Art) übergangsweise in Anspruch genommen werden kann, wenn dieses gegenüber dem Finanzamt erklärt worden ist. Gemäß § 2 b UStG gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts (JPöR) nicht als (umsatzsteuerpflichtige) Unternehmer i. S. d. § 2 UStG, wenn sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen (§ 2 b Abs. 1 Satz 1 UStG). Hierzu gehören auch die öffentlichen Einrichtungen zur Entsorgung von Abwasser und Abfall (vgl. Korn in: Bunjes, UStG, Kommentar, 18. Aufl. 2019, § 2b UStG Rz. 27). Dieses gilt allerdings wiederum nicht, sofern die Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen (mit Blick auf private Unternehmen) führen würde (§ 2 b Abs. 1 Satz 2 UStG).
Gemäß § 2 b Abs. 3 Nr. 2 UStG liegen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vor und es wird deshalb keine Umsatzsteuerpflicht ausgelöst, wenn die Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dieses ist regelmäßig der Fall, wenn
- die Leistungen auf langfristig öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen (§ 2 b Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a UStG),
- die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden Aufgabe dienen (§ 2b Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b UStG),
- die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden (§ 2b Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c UStG),
- der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere jPöR erbringt (§ 2b Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d UStG).
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat mit Schreiben vom 14.11.2019 an die obersten Finanzbehörden der Bundesländer nunmehr den Rechtstandpunkt eingenommen, dass es sich bei der Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts in § 2 b Abs. 3 Nr. 2 UStG nur um ein sog. Regelbeispiel handelt. Sind die dort geregelten Voraussetzungen gegeben, besteht lediglich eine Vermutung dahin, dass keine größeren Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten privater Dritter vorliegen. Um eine mit dem EU-Recht rechtskonforme Anwendung des § 2 b UStG sicherzustellen, ist es nach dem BMF aber erforderlich, auch dann, wenn die Voraussetzungen des Regelbeispiels gegeben sind, in eine gesonderte Prüfung auf möglich schädliche Wettbewerbsverzerrungen gemäß § 2 b Abs. 1 Satz 2 UStG einzutreten.
Maßstab hierfür sind die Ausführungen im BMF-Schreiben vom 16.12.2016 (Rz. 22 ff., S. 25; BStBl., S2016, S. 1451). Insbesondere ist - so das BMF – zu prüfen, ob private Unternehmer potentiell in der Lage sind, vergleichbare Leistungen wie die öffentliche Hand zu erbringen. Ergibt sich unter Anwendung dieser Maßstäbe, dass die Nichtbesteuerung von Leistungen im Rahmen der Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, so ist die Regelvermutung des § 2 b Abs. 3 Nr. 2 UStG – so das BMF – als widerlegt anzusehen und die Umsatzsteuerpflicht (19 %) greift ein.
Diesen Rechtsstandpunkt hat das BMF in einem Schreiben vom 20.02.2020 an die kommunalen Spitzenverbände auf der Bundesebene noch einmal bestätigt und darauf hingewiesen, dass bei der Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) die Voraussetzungen des § 2 b Abs. 3 Nr. 2 UStG dann erfüllt sein können, wenn eine jPöR eine andere jPöR mit der Durchführung von hoheitlichen Aufgaben (z. B. Abwasserbeseitigung oder Hausmüllentsorgung) „in Gänze“ beauftragt. Das BMF weist in dem Schreiben vom 20.02.2020 ausdrücklich darauf hin, dass dabei wiederum die Ausführungen des BMF-Schreibens vom 14.11.2019 (BGBl. I 2019, S. 1140) zu beachten sind.
Gleichzeitig weist das BMF in Ziffer 8 seines Schreibens vom 20.02.2020 darauf hin, dass die Wahrnehmung von (Teil-)Aufgaben einer jPöR für eine andere jPöR zur Steuerbarkeit führt, wenn größere Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten privaten Dritter vorliegen. Eine entgeltliche befreiende Aufgabenübertragung auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung in öffentlich-rechtlicher Handlungsform und im Rahmen öffentlicher Gewalt an eine andere jPöR führt zum Ausschluss der Unternehmereigenschaft, wenn die Übertragung auf Private gesetzlich ausgeschlossen ist (z. B. die Entsorgung von Abfällen aus privaten Haushaltungen nach § 20 KrWG). Davon zu unterscheiden ist aber nach dem BMF hier wiederum die auch privaten Unternehmen gestattete Erbringung von Vorleistungen an die zur Entsorgung verpflichtete jPöR zum Zweck der Durchführung der Abfallentsorgung (§ 22 KrWG). Insoweit nimmt das BMF auf die Ausführungen im BMF-Schreiben vom 16.12.2016 (BStBl. S. 1451, Rz. 25) Bezug.
Vor diesem Hintergrund kann mit Blick auf die Organisationsformen in der hoheitlichen Abwasserbeseitigung und der Abfallentsorgung und die Zusammenarbeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur empfohlen werden, sorgfältig zu prüfen, ob eine Neu- oder Umorganisation mit Blick auf die Auslösung der Umsatzsteuerpflicht keinen Bedenken ausgesetzt ist. Letzten Endes geht es auch immer darum, eine Auslösung der Umsatzsteuerpflicht zu Lasten der gebührenzahlenden Bürgerinnen und Bürger zu vermeiden.
Az.: 24.1.1/25.02.1 qu