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StGB NRW-Mitteilung 456/2015 vom 08.07.2015
Studie zu Potenzial und Hemmnissen von Genossenschaften
Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hat eine Studie veröffentlicht, die die Entwicklung und die Potenziale von Genossenschaften in Deutschland untersucht. Danach ist seit 2007/2008 eine Trendwende hin zu mehr Genossenschaftsgründungen zu beobachten. Allein 2009 bis 2011 gab es 900 Neugründungen, vor allem im Bereich der Energiegenossenschaften. Der Genossenschaftsverbund bleibe mit über 21,6 Mio. Mitgliedschaften die mitgliedsstärkste Wirtschaftsorganisation Deutschlands.
Doch gerade im Bereich der Energiegenossenschaften führe der aktuelle Rechtsrahmen zu großen Unsicherheiten, die sich in geringeren Investitionen niederschlagen und Neugründungsaktivitäten hemmen würden. An der Stelle sollten Defizite der Rechtsformarchitektur behoben und insbesondere die Rahmenbedingungen für kleinere Initiativen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements deutlich verbessert werden. Aus kommunaler Sicht haben Genossenschaften eine besondere Bedeutung, weil sie spezifische lokale und regionale Bedürfnisse im Interesse der Bürger abdecken und dabei Wertschöpfungseffekte entstehen, die gerade im Energiebereich zu einer verbesserten Akzeptanz der Energiewende führen können.
Problemstellung und Zielsetzung
Die Studie untersucht die Entwicklungen, Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen von Genossenschaften in dem Zeitraum von 2000 bis zum Jahr 2013. Dabei geht sie davon aus, dass die Rechtsform der Genossenschaft erhebliches Lösungspotenzial für grundsätzliche und aktuelle Herausforderungen bietet. Vor dem Hintergrund wurde im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode verankert, dass „die Gründung von Genossenschaften wie andere Existenzgründungen gefördert und dazu geeignete Förderinstrumente entwickelt und bestehende angepasst werden sollen“. „Die Gründung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement (zum Beispiel Dorfläden, Kitas, altersgerechtes Wohnen, Energievorhaben) soll erleichtert werden und für solche Initiativen eine geeignete Unternehmensform im Genossenschafts- oder Vereinsrecht zur Verfügung stehen, die unangemessenen Aufwand und Bürokratie vermeidet.“
Laut der Studie könnten jedoch die jüngsten Entwicklungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die offensichtliche Eignung der Genossenschaft in einem Missverhältnis zu der im Allgemeinen immer noch geringen Zahl an Neugründungen im Vergleich zu anderen Rechtsformen stehe. Vor diesem Hintergrund wurde die Kienbaum Management Consultants GmbH gemeinsam mit dem Seminar für Genossenschaftswesen der Universität zu Köln mit der Erarbeitung einer Studie zum Thema „Potenziale und Hemmnisse von unternehmerischen Aktivitäten in der Rechtsform der Genossenschaft“ beauftragt.
Bedeutung von Genossenschaften
Die Studie hebt die Bedeutung von Genossenschaften hervor. Es handele sich um Kooperationen, die in lokale und regionale Zusammenhänge eingebunden seien und spezifische Bedürfnisse befriedigen würden. Diese Einbindung mache Genossenschaften zu wichtigen Akteuren der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Absicherung und Entwicklung. Sie haben sich immer wieder - insbesondere in Zeiten schnellen Wandels - gegenüber anderen Rechtsformen als besonders krisenfest erwiesen, seien aber auch in weniger krisenhaften Zeiten ein erfolgsversprechendes Geschäftsmodell.
In Deutschland zeichne sich das Genossenschaftswesen durch eine große Vielfalt aus. Diese seien nicht nur in traditionellen Wirtschaftszweigen wie der Kreditwirtschaft, der Landwirtschaft, dem Handel oder dem Handwerk eine bewährte Kooperationsform. Neugründungen seien in den letzten Jahren vor allem auch im Energiesektor, zudem in Wachstumsbranchen wie dem Dienstleistungssektor, in der Datenverarbeitung bzw. im Bereich der neuen Medien und im Bildungs- und Gesundheitswesen entstanden.
Entwicklungskurve
Seit 2000 sei die Zahl genossenschaftlicher Neugründungen in Deutschland kontinuierlich gestiegen. Die Neugründungsrate sei von 44 im Jahr 2000 auf 332 neugegründete Genossenschaften in 2013 angestiegen. Seit 2007 und damit ein Jahr nach Inkrafttreten der Reform des Genossenschaftsgesetzes Mitte 2006 sei ein durchschnittlicher Zuwachs der Neugründungsrate um rund 24 Prozent zu verzeichnen, welcher seither jedoch im Trend gefallen und seit 2012, bei weiterhin hohen Neugründungszahlen, leicht rückläufig sei.
Der Neugründungsboom seit 2007 könne im Wesentlichen auf die dynamischen Neugründungsaktivitäten im Bereich der gewerblichen Genossenschaften und zwar insbesondere im Bereich der Energiegenossenschaften zurückgeführt werden. Im Zuge dessen sei auch ein Image- bzw. Wahrnehmungswandel der Genossenschaft innerhalb der Bevölkerung zu beobachten. Wurden Genossenschaften vormals als überkommen und unmodern angesehen, werden sie heute als zukunftsfähiger und bürgernaher Unternehmenstyp wahrgenommen.
Ende 2013 gab es in Deutschland ca. 7.900 genossenschaftliche Unternehmen, die von über 21,6 Mio. Mitgliedschaften getragen wurden. Der Genossenschaftsverbund bleibe damit die mitgliedsstärkste Wirtschaftsorganisation in Deutschland. Genossenschaftsanteile sind die am stärksten verbreitete Form der direkten Beteiligung der Bevölkerung am Produktivkapital.
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben in der Vergangenheit das genossenschaftliche Neugründungsgeschehen maßgeblich beeinflusst. Die Novelle des Genossenschaftsgesetzes von 2006 habe die Bedingungen vor allem für kleinere Genossenschaften verbessert sowie deren Gründung erleichtert. Nachdem vorher die Zahl der aufgelösten Genossenschaften die der neu gegründeten überwog, sei seit 2007/2008 eine Trendwende hin zu mehr Genossenschaftsgründungen zu beobachten. Allein im Zeitraum von 2009 bis 2011 wurden 900 Genossenschaften neu gegründet, vor allem im Bereich der Energiegenossenschaften. Als entscheidende Ursache für den Gründungsboom von Energiegenossenschaften wird deren Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) angesehen.
Doch die Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen würden sich gerade auf den Neugründungstrend im Energiebereich am stärksten auswirken. Derzeit würden Energiegenossenschaften insbesondere von der aktuellen EEG-Novelle negativ beeinflusst. Diese liege unter anderem an den neuen Regelungen der Eigenversorgung und der Direktvermarktungspflicht. Es herrsche große Unsicherheit, die sich bei den bestehenden Energiegenossenschaften in geringeren als geplanten Investitionen niederschlagen und sicherlich auch die Neugründungsaktivitäten hemmen werden. Zur Verunsicherung der Energiegenossenschaften habe auch die Einführung des am 22. Juli 2013 in Kraft getretenen Kapitalanlagengesetzbuches (KAG) sowie der Ende Juli 2014 vorgelegte Referentenentwurf für ein Kleinanlegerschutzgesetz des Bundesfinanzministeriums und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz beigetragen, auch wenn Genossenschaften letztendlich von der ursprünglich auch für sie geplanten Prospektpflicht ausgenommen wurden.
Handlungsempfehlungen
Die Studie sieht deutliche Verbesserungs- und Entwicklungspotenziale mit Blick auf Möglichkeiten zur Erhöhung der Attraktivität der Rechtsform der Genossenschaft, zur Erleichterung bzw. Vereinfachung der Gründung von Genossenschaften sowie zur Beseitigung möglicher Benachteiligungen von Genossenschaften gegenüber anderen Rechtsformen.
So könnten insbesondere die Genossenschaftsverbände und die genossenschaftlichen Prüfungsverbände den insbesondere für kleinere Genossenschaften hohen zeitlichen, organisatorischen und finanziellen Aufwand des genossenschaftlichen Prüfungsregimes reduzieren. Sie sollten die Möglichkeit prüfen, die Kosten für die Gründungsberatung und -begutachtung für kleine Genossenschaften zeitlich zu strecken. Um die Genossenschaft als Option bei Unternehmensgründungen fest zu etablieren, sei mehr Beratung zentral. Hierfür sei die stärkere Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen, Ländern, Verbänden und Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammern entscheidend.
Die öffentliche Förderung von Genossenschaften müsse verbessert und mit der Förderung anderer Rechtsformen im Ergebnis gleichgestellt werden. Die Genossenschaft sollte grundsätzlich als juristische Person gefördert werden. Um genossenschaftliche Existenzgründungen zu fördern, könnte den Mitgliedern ein Wahlrecht eingeräumt werden zwischen dem Status als Selbstständige und dem als Angestellte. Es sollten neue Förderprogramme für Existenzgründungen und Fördergenossenschaften entstehen, die in allen Bereichen positive Effekte auf das Gründungsgeschehen entfalten können.
Schließlich könnten die Rahmenbedingungen für Genossenschaften verbessert werden, indem entweder die genossenschaftlichen Prüfungsverbände eine freiwillige Selbstbindung eingehen würden oder Änderungen innerhalb oder außerhalb des Genossenschaftsgesetzes vorgenommen werden.
Die Studie ist auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums unter www.bmwi.de (Mediathek / Publikationen / März 2015) abrufbar.
Az.: II gr-ko