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Mitteilungen - Jugend, Soziales, Gesundheit
StGB NRW-Mitteilung 482/2001 vom 05.08.2001
Übernahme der Kosten einer Legasthenie-Therapie
Das BVerwG hat mit Urteil vom 28.09.2000 (Az. 5 C 29.99) entschieden, dass die Übernahme der Kosten einer Legasthenie-Therapie auch bei einem unstreitig bestehenden Therapiebedarf eine vorherige Antragstellung voraussetzt. Dem lag im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Die im Jahre 1983 geborene Klägerin leidet an einer Lese- und Rechtschreibschwäche. Ab dem 1. Februar 1994 besuchte sie deswegen eine Einzeltherapie. Die Therapiekosten trugen die Eltern der Klägerin zunächst selbst. Am 26.10.1995 hatten die Eltern der Klägerin die Übernahme der Therapiekosten bei dem Beklagten, dem Landkreis Esslingen, beantragt. Diesem Antrag war mit Bescheid vom 19.03.1996 ab dem 01.10.1995 stattgegeben worden.
Hiergegen legten die Eltern der Klägerin Widerspruch ein und verlangten auch den Ersatz der Therapiekosten für den zurückliegenden Zeitraum vom 01.02.1994 bis zum 01.10.1995. Zur Begründung trugen sie vor, dass bereits seit 1993 amtlich anerkannt sei, dass ihre Tochter Legasthenikerin sei. Bereits im März 1994 hätten sie sich mündlich nach finanziellen Hilfen durch die Gemeinde erkundigt, hätten jedoch die Auskunft erhalten, ein entsprechende Antrag sei beim Jugendamt Esslingen zu stellen, ein Erfolg dieses Antrags sei jedoch äußerst zweifelhaft.
Der Beklagte hat den Widerspruch durch Bescheid vom 05.09.1996 zurückgewiesen mit der Begründung, eine rückwirkende Kostenübernahme für die Zeit vor der Antragstellung sei nicht möglich, da das Verfahren zur Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erst mit der Antragstellung eingeleitet werden dürfe. Die Eltern der Klägerin haben daraufhin Klage beim VG erhoben. Sie gaben an, den Antrag erst im Oktober 1995 gestellt zu haben, da sie vorher aufgrund falscher Informationen von einer Behörde zur anderen geschickt worden waren. Ausserdem sei bereits im April 1995 ihr Antrag auf Eingliederungshilfe telefonisch abschlägig beschieden worden.
Das VG hat der Klage stattgegeben.
Der VGH Baden-Württemberg hat, nach Verfahrenseintritt der Klägerin anstelle ihrer Eltern, die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 17.06.1999 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für eine Eingliederungshilfe unstreitig erfülle und dass auch die von ihr gewählten Maßnahmen unstreitig bereits vom 01.02.1994 bis zum 01.10.1995 geeignet und notwendig gewesen seien. Der Jugendhilfeträger müsse in so einem Fall aber auch nachträglich die Kosten der Eingliederungshilfe übernehmen, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe bereits vor der Antragstellung vorgelegen haben.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das BVerwG hat das Urteil des VGH Baden-Württemberg aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Es stellt klar, dass die Übernahme der Kosten für die Eingliederungshilfe voraussetzt, dass diese vor Beginn der Therapie beim Beklagten beantragt bzw. dieser von dem Hilfebedarf der Klägerin in Kenntnis gesetzt wurde. Wie man an § 28 SGB X sehe, setze der Gesetzgeber voraus, dass Sozialleistungen eines "rechtzeitigen Antrages" bedürfen. Dem Leistungsträger müsse eine zeit- und bedarfsgerechte Leistungserbringung nach ordnungsgemäßer Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen möglich sein. Das Jugendamt hat nach dem SGB VIII sowohl beratende als auch unterstützende Funktion. Dieser Doppelfunktion liefe es zuwider, wenn das Jugendamt zum bloßen Kostenträger degradiert würde, der erst nachträglich nach Durchführung einer selbst beschafften Hilfemaßnahme in die kostenmäßige Abwicklung des Hilfsfalles eingeschaltet wird. Der Hilfeberechtigte muß grundsätzlich den öffentlichen Jugendhilfeträger, wenn dieser für die Kosten der Jugendhilfemaßnahme in Anspruch genommen werden soll, von Anfang an in die Hilfesuche einbeziehen.
Das Urteil kann bei Interesse bei der Geschäftsstelle angefordert werden.
Az.: III/2 705-3/1