Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 336/2024 vom 02.05.2024

Urteil des OVG NRW zu Abweichungen nach § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauO NRW in Bezug auf Abstandsflächen

Das OVG NRW hat sich in einem Urteil vom 07.03.2024 (Az. 10 A 2791/21) zu den Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauO NRW in Bezug auf eine Abweichung von den Vorgaben zu Abstandsflächen geäußert.

Dem Urteil lag ein Fall zugrunde, in dem der Miteigentümer eines viergeschossigen Mehrfamilienhauses eine Maisonettewohnung im Dachgeschoss und Spitzboden aus- und umbauen wollte. Die beantragte Baugenehmigung wurde abgelehnt, weil die Abstandsflächen entgegen § 6 Abs. 2 BauO NRW nicht auf dem Vorhabengrundstück selbst, sondern teilweise auf dem Nachbargrundstück lagen.

Das OVG NRW hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauO NRW für das Vorliegen einer Abweichung bejaht. Der Vorschrift sei zunächst keine Beschränkung dahingehend zu entnehmen, dass sie auf die Schaffung neuen Wohnraums im Sinne eigenständiger Wohnungen beschränkt wäre. Dem stehe schon der Begriff des Ausbaus entgegen, der typischerweise gerade die Erweiterung einer bestehenden Wohneinheit bezeichne, ohne etwa deren anschließende Trennung in zwei separate Wohneinheiten zu implizieren.

Auch lasse sich der Vorschrift selbst oder der Gesetzesbegründung entnehmen, dass das Sonderinteresse bei § 69 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauO NRW nur dann gegeben sein soll, wenn die Angleichung der Bestandsgebäude an heutige Bauvorschriften ohne die begehrte Abweichung technisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist. Die entsprechende Formulierung betreffe allein die Beschreibung der Ausgangslage, wonach „insbesondere“ bei der Modernisierung von Wohnraum von Bestandsgebäuden aus den 1950er Jahren oder später, es technisch oftmals nicht möglich bzw. wirtschaftlich nicht vertretbar sei, das Bestandsgebäude an heutige Bauvorschriften anzugleichen. Eine teleologische Einschränkung des weiter formulierten Anwendungsbereichs folge hieraus nicht.

Zudem sei in den Fällen des § 69 Abs. 1 S. 2 BauO NRW auch die Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen im Sinne von § 69 Abs. 1 S. 1 BauO NRW zu prüfen, die vorliegend zu bejahen sei. Dies ergebe sich zum einen aus der Gesetzesbegründung. Zum anderen sprächen auch Sinn und Zweck für dieses Auslegungsergebnis, da sonst – entgegen dem Ausnahmezweck der Vorschrift, der eine restriktive Anwendung gebiete – ein von sämtlichen besonderen, vor allem gefahrenabwehrrechtlichen Anforderungen der Bauordnung unabhängiger Anspruch auf Erteilung einer Abweichung geschaffen würde. Dies sei ersichtlich nicht gewollt.

Ob über den gesetzlichen Wortlaut hinaus zusätzlich noch eine atypische Grundstückssituation gefordert werden könne, die nach der früheren Rechtsprechung für die Erteilung einer Abweichung von Abstandsflächenvorschriften für erforderlich gehalten wurde, erscheine zweifelhaft. Denn zwar würden die differenzierten und detaillierten Bestimmungen des § 6 BauO NRW einen in sich geschlossenen Ausgleich der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange gewährleisten und habe der Gesetzgeber mit der BauO NRW 2018 das Maß der jeweils erforderlichen Abstandsflächen herabgesetzt, sodass Abweichungen grundsätzlich nur in eng begrenzten Ausnahmefällen und nach einer besonders kritischen Prüfung, ob sie mit den nachbarlichen Belangen vereinbar sind, in Betracht kämen. Allerdings biete die Regelung des § 69 BauO NRW für das Festhalten an der Voraussetzung der atypischen Grundstückssituation keinen Anhalt. Vielmehr ergebe sich nach § 69 Abs. 1 S. 5 BauO NRW die Atypik bei Vorhaben nach Satz 2 und 3 bereits aus dem festgestellten Sonderinteresse. Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille sei außerdem bereits verschiedentlich, z.B. in § 6 Abs. 14 S. 2 BauO NRW, zum Ausdruck gekommen.

Im vorliegenden Fall musste das Gericht die Frage nicht abschließend entscheiden, weil es eine atypische Grundstückssituation bejaht hat. Dafür sei neben dem Vorliegen eines atypischen Grundstückszuschnitts erforderlich, dass eine bautechnisch und/oder wirtschaftlich sinnvolle Bebauung des Grundstücks bei strikter Anwendung der Abstandsflächenvorschriften nicht möglich wäre. Davon sei im zu entscheidenden Fall auszugehen.

Das Urteil ist abrufbar unter https://www.justiz.nrw.

Az.: 20.3.1.3-013/001 ste

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