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StGB NRW-Mitteilung 26/1997 vom 20.01.1997
Verfassungsbeschwerde gegen das Ausführungsgesetz zum Asylbewerberleistungsgesetz und anderer Gesetze
Am 09.12.1996 hat der Vorsitzende des Verfassungsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen das Urteil in den Verfassungsbeschwerdeverfahren von insgesamt 45 nordrhein-westfälischen Gemeinden gegen die Kostenerstattungsregelungen im Flüchtlingsaufnahmegesetz verkündet. Der Entscheidungstenor der teilweise erfolgreichen Verfassungsbeschwerden lautet wie folgt:
"§ 6 Abs. 1 FlüAG i.d.F. des 4. Änderungsgesetzes vom 29. November 1994 (GV NW S. 1087) sowie die Nichtgewährung einer Betreuungspauschale für den Personenkreis des § 2 Nr. 4 bis 6 FlüAG i.d.F. des 4. Änderungsgesetzes sind mit Art. 78 Abs. 3 LV unvereinbar. Bis zum Inkrafttreten einer alsbald zu treffenden Neuregelung ist § 6 Abs. 1 FlüAG in der geltenden Fassung weiter anzuwenden.
Im übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführerinnen die Hälfte der durch das Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten."
Der Verfassungsgerichtshof nimmt in den Entscheidungsgründen zur Frage der vollständigen Kostenerstattung wie folgt Stellung: "Auch wenn sich der Gesetzgeber - wie hier - für eine auf die übertragene Einzelaufgabe bezogene Kostendeckungsregelung entscheidet, verlangt die Verfassung nicht, daß der Gesetzgeber eine Erstattung der Kosten gemeindlicher Pflichtaufgaben in vollem Umfang anordnet. Dem Gesetzgeber steht bei der Festlegung der Deckungshöhe ein Gestaltungsspielraum zu. ..."
Zur Verfassungsmäßigkeit der Kostenpauschale in Höhe von 675,00 DM äußert sich der Verfassungsgerichtshof wie folgt: "Die Höhe der Kostenpauschale von insgesamt 675,00 DM monatlich ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. ... Die Pauschale ... deckt ... in einem Teil der Gemeinden die tatsächlich entstehenden Kosten nicht voll. Daß die demnach nicht gedeckten, von den Gemeinden zu tragenden Kosten die finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden berühren, läßt sich gleichwohl nicht feststellen."
Die in § 6 Abs. 1 FlüAG vorgesehene Kostenpauschale für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge in Höhe von 320,00 DM erklärte der Verfassungsgerichtshof mit folgender Begründung für verfassungswidrig: "Bei der Kostenpauschale für die Personengruppe des § 2 Nr. 6 FlüAG handelt es sich ... nicht um eine "freiwillige" Leistung an die Gemeinden. ... Mit der Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes hat das Land die Gemeinden beauftragt. Diese Aufgabenübertragung verpflichtet das Land zu einer "gleichzeitigen", nicht notwendig gesonderten Kostenregelung im Sinne des Art. 78 Abs. 3 LV." Im weiteren Verlauf seiner Begründung geht der Verfassungsgerichtshof auf das Willkürverbot ein und führt dazu aus, daß dieses dem Gesetzgeber grundsätzlich nur verwehre, bei der Regelung von Lebenssachverhalten, die einander nicht in allen, sondern nur in einzelnen Merkmalen gleichen, Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen. Diesen Anforderungen genüge die angegriffene Regelung nicht. Ein sachlicher Differenzierungsgrund sei insbesondere nicht die für die Entscheidung des Landesgesetzgebers maßgebliche Vorstellung, der Bund sei aufgrund des sogenannten Asylkompromisses verpflichtet, die andere Hälfte der Kostenerstattung zu übernehmen.
Schließlich erklärte der Verfassungsgerichtshof § 6 Abs. 1 FlüAG auch insoweit für verfassungswidrig, als er für Bürgerkriegsflüchtlinge die Gewährung einer Kostenpauschale nur für den Fall vorsieht, daß die Landesregierung die Erstattung unter Bezugnahme auf diese Regelung beschließt.
Zur 4-Monats-Regelung führt der Verfassungsgerichtshof aus: "Die zeitliche Beschränkung der Kostenerstattung für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nr. 1 FlüAG (Asylbewerber) längstens für die Dauer von 4 Monaten nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags in § 4 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 FlüAG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist weder unzumutbar noch unvertretbar, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Prognosespielraums von einer Kostenerstattung über diesen Zeitpunkt hinaus abgesehen hat. ... Trotz der nach Angaben der Beschwerdeführerinnen wachsenden Zahl nicht abschiebbarer Flüchtlinge ist für den Verfassungsgerichtshof nicht feststellbar, daß dieser Prognose derzeit eine hinreichende Grundlage fehlt. Der Gesetzgeber wird die in Rede stehende Regelung unter Kontrolle halten und die zugrunde liegende Prognosebasis darauf zu überprüfen haben, ob sie sich in erheblicher Weise geändert hat."
Schließlich geht der Verfassungsgerichtshof auf die Frage der Rückwirkung seines Urteilsspruchs zur Unvereinbarkeit von § 6 Abs. 1 FlüAG mit der Landesverfassung ein. Er stellt fest, daß die Verfassungswidrigkeit für den gesamten Geltungszeitraum der Vorschrift bestand und führt weiter aus: "Ob und inwieweit eine Rückabwicklung bereits abgeschlossener Haushaltsperioden im Hinblick auf eine verläßliche und kalkulierbare Haushalts- und Finanzwirtschaft ausscheidet, wird der Gesetzgeber unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden haben. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alsbald eine Neuregelung zu treffen (§ 52 Abs. 3 i.V.m. § 49 Satz 1 VerfGHG). Bis zu ihrem Inkrafttreten ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nach der bisherigen Vorschrift zu verfahren."
Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs enthält folgende Leitsätze:
1. Eine Kostenerstattungsregelung nach Art. 78 Abs. 3 LV NW ist willkürlich, wenn sie im Rahmen eines Erstattungssystems ohne rechtfertigenden Grund für Aufgaben mit gleich hohem Kostenaufwand unterschiedlich hohe Erstattungen vorsieht.
2. Eine in diesem Sinne willkürliche Regelung innerhalb eines vom Gesetzgeber gewählten Erstattungssystems wird nicht durch den allgemeinen Finanzausgleich gerechtfertigt.
3. Der Landesgesetzgeber darf die Gemeinden zwecks angemessener Finanzausstattung nicht an den Bund verweisen.
4. Eine Kostenerstattungsregelung nach Art. 78 Abs. 3 LV NW darf der Landesgesetzgeber nicht in das Belieben der Exekutive stellen.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wird in der nächsten Ausgabe des "Städte- und Gemeinderates" in vollem Umfang wiedergegeben. Zugleich wird in einem Aufsatz eine umfassende Bewertung des Urteils vorgenommen.
Az.: I/3-857-3-1