Mitteilungen - Bauen und Vergabe

StGB NRW-Mitteilung 660/2004 vom 04.08.2004

Vergaberecht und Zulässigkeit von Niedrigpreis-Angeboten

In den Mitteilungen Nr. 516 vom Juli 2004 hat die Geschäftsstelle auf einander widersprechende Beschlüsse von Oberlandesgerichten zur Zulässigkeit von Niedrigpreisangeboten hingewiesen. Es geht hier um die Frage, ob eine Bieterfirma vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden muss, wenn ihr Angebot in einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses unrealistisch niedrige Preisangaben enthält, obwohl klar ist, dass bei den fraglichen Positionen tatsächlicher Arbeitsaufwand anfällt und dass die tatsächlichen Kosten je Einheitspreis um ein Vielfaches höher sind. Das OLG Düsseldorf vertrat in einem Beschluss vom 26.11.2003 die Ansicht, dass solche Angebote auszuschließen sind. Im Gegensatz dazu vertreten das Kammergericht Berlin und das Bayerische Oberste Landesgericht in Beschlüssen vom 26.02.2004 und 01.03.2004 die Ansicht, dass solche Angebote in Ordnung sind und gewertet werden müssen. Der Meinung dieser beiden Gerichte hat sich auch noch das OLG Dresden mit Beschluss vom 30.04.2004 (Az.: Verg 0004/04) angeschlossen. Das Kammergericht Berlin hat die Angelegenheit gem. § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt, weil es von dem Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26.11.2003 abweichen wollte.

1. Der Bundesgerichtshof hat sich in dieser strittigen Frage (leider) der Ansicht des OLG Düsseldorf angeschlossen und entschieden, dass die geschilderten Niedrigpreisangebote grundsätzlich wegen Verstoßes gegen § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 VOB/A von der Wertung auszuschließen sind. Den Grund dafür sieht der BGH darin, dass durch solche Niedrigpreisangebote nicht mehr sichergestellt sei, dass die Wirtschaftlichkeit der Angebote im Vergleich zu anderen Angeboten auf transparenter und alle Bieter gleichbehandelnder Grundlage festgestellt werden kann. Der Vergabestelle sei es nicht mehr möglich, die Wirtschaftlichkeit des Niedrigpreisangebots im Vergleich zu anderen Angeboten zu bewerten. Die drei anderen Oberlandesgerichte hatten demgegenüber festgestellt, dass es weder eine Rechtsgrundlage noch eine praktische Notwendigkeit dafür gibt, einem Bieter die in der Regel spekulativ motivierte Verschiebung von Einheitspreisen in Einzelposition generell zu versagen.

2. Der Beschluss des BGH vom 18.05.2004 kann im Ergebnis dazu führen, dass öffentliche Auftraggeber das wirtschaftlichste Angebot einer Bieterfirma ausschließen müssen, obwohl feststeht, dass die Bieterfirma geeignet und zuverlässig ist, dass das Angebot beim Gesamtpreis nicht unangemessen niedrig ist und es auch im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Durchführung des Auftrags im konkreten Fall gefährdet ist.

3. Es zeigt sich hier erneut, dass die VOB und ihre Auslegung durch die Gerichte in der Praxis keineswegs gewährleistet, dass Aufträge an die wirtschaftlichsten Bieter vergeben werden können. Eine Firma der Privatwirtschaft würde bei den geschilderten Niedrigpreisangeboten die wirtschaftlichste Bieterfirma keineswegs von der Wertung ausschließen, sondern dieser Firma den Auftrag erteilen.

4. Die Geschäftsstelle rät davon ab, den BGH-Beschluss oder seine Leitsätze den Ausschreibungsunterlagen beizufügen und sich auf diese Weise unnötig in Zugzwang zu bringen. Auch der BGH macht durch seinen Hinweis, dass solche Niedrigpreisangebote lediglich „grundsätzlich“, also „in der Regel“ auszuschließen sind, deutlich, dass es immer auf den konkreten Einzelfall ankommt. Der BGH sagt außerdem, dass der Ausschluss eines Niedrigpreisangebots damit zu rechtfertigen ist, dass es der Vergabestelle nicht möglich ist, die Wirtschaftlichkeit des Angebots im Vergleich zu anderen Angeboten zu bewerten. Wenn eine Gemeinde im konkreten Einzelfall zum Ergebnis kommen sollte, dass die Vergleichbarkeit aller Angebote weiterhin gegeben ist, könnte durchaus Raum für eine Auslegung des konkreten Einzelfalls dahingehend sein, dass der Ausschluss des wirtschaftlichsten Angebots nicht zwingend erforderlich ist.



Az.: II schw/g

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