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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 516/2004 vom 23.06.2004
Vergaberecht und Zulässigkeit von Niedrigpreisangeboten
1. In den letzten Monaten haben mehrere Obergerichte teilweise voneinander abweichende Entscheidungen zu der Frage getroffen, ob eine Bieterfirma vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden muss, wenn ihr Angebot in einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses unrealistisch niedere Preisangaben enthält. In allen, den Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen hatten Bieterfirmen bei einzelnen Positionen minimalste Einheitspreise eingetragen (Beispiel: 1,-- €; 0,01 €; in einem Fall sogar 0,00 €), obwohl klar war, dass bei den fraglichen Positionen tatsächlicher Arbeitsaufwand anfällt und dass die tatsächlichen Kosten je Einheitspreis um ein Vielfaches höher sind.
In allen entschiedenen Fällen erzielten die so kalkulierenden Bieterfirmen jeweils das wirtschaftlichste Gesamtangebot. Allerdings gab es keine Anhaltspunkte dafür, die wirtschaftlichsten Angebote bei einer Gesamtbewertung als unangemessen niedrig i.S.v. § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A zu betrachten.
2. Das OLG Düsseldorf vertritt in einem Beschluß vom 26.11.2003 (Az.: Verg 53/03) die Ansicht, solche Angebote müssten wegen Verstoßes gegen § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 VOB/A ausgeschlossen werden. Zu genau dem entgegengesetzten Ergebnis kommen drei andere Oberlandesgerichte, nämlich das Kammergericht Berlin im Beschluß vom 26.2.2004 (Az.: 2 Verg 16/03), das Bayerische Oberste Landesgericht im Beschluß vom 1.3.2004 (Az.: Verg 2/04) und das OLG Dresden im Beschluß vom 30.4.2004 (Az.: Verg 04/04). Alle drei Gerichte vertreten die Ansicht, dass solche Niedrigpreisangebote zu einzelnen Positionen von der Kalkulationsfreiheit der Bieter gedeckt seien. Eine vollständige Preisangabe i.S.v. § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 VOB/A liege auch dann vor, wenn im Angebot bei einer bestimmten Position ein Einheitspreis von 0,01 Euro oder gar 0,0 Euro angegeben wird. Solche Niedrigpreisangebote zu einzelnen Positionen seien auch dann zulässig, wenn ihnen spekulative Überlegungen zugrunde liegen. Die Angebotskalkulation berühre den Kernbereich unternehmerischen Handelns im Wettbewerb um öffentliche Aufträge. Es gebe keine verbindlichen Vorschriften, auf welche Weise ein Unternehmer sein Angebot zu kalkulieren habe. Solange die korrekte Ausführung des Auftrags nicht gefährdet sei, bleibe es dem Bieter unbenommen, Niedrigpreise bei einzelnen Positionen anzubieten und eine Mischkalkulation vorzunehmen. Solch ein Bieterverhalten erlaube es für sich allein auch nicht, einen Bieter als unzuverlässig oder ungeeignet anzusehen.
Das Kammergericht Berlin hat, weil es vom Beschluß des OLG Düsseldorf abweichen will, das Verfahren gem. § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Wann der Bundesgerichtshof entscheiden wird, steht noch nicht fest.
3. Der Städte- und Gemeindebund betrachtet den Beschluß des OLG Düsseldorf als bedenklichen Eingriff in die Kalkulations- und Vertragsfreiheit der Bieterfirmen einerseits und der Kommunen als Auftraggeber andererseits. Für den Auftraggeber ist entscheidend, ob eine Bieterfirma geeignet, zuverlässig und so leistungsfähig ist, dass der Auftraggeber damit rechnen kann, dass der Auftrag vertragsgemäß ausgeführt wird.
4. Der Städte- und Gemeindebund NRW rät den Kommunen, solche Angebote nicht auszuschließen, sondern den Auftrag dem wirtschaftlichsten Bieter zu erteilen. Dies gilt jedenfalls solange, bis eine Entscheidung des BGH vorliegt.
Az.: II