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Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 410/2002 vom 05.07.2002
Verzicht auf Abwehrrechte
Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen lassen sich Abwägungsmängel wegen unzureichender Lösung eines Konflikts - hier die von einem Legehennenbetrieb ausgehenden schädlichen Umwelteinwirkungen - nicht allein durch einen (dinglich gesicherten) Verzicht auf die Abwehrrechte der Betroffenen überwinden.
BVerwG, Beschl. v. 23.01.2002 - 4 BN 3.02 -
In seiner Entscheidung vom 28. April 1978 (a.a.O.) hat der Senat im Hinblick auf den öffentlichen Belang der Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen und auf das Rücksichtnahmegebot in § 35 Abs. 3 Satz 1 BBauG (nunmehr: § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB) ausgeführt, daß auf den Schutz, der zugunsten von Belästigten von diesen öffentlichen Belangen ausgeht, nicht dadurch wirksam "verzichtet" werden kann, daß sich die Belästigten mit dem Vorhaben einverstanden erklären. Dies gilt erst recht im Rahmen der Bauleitplanung. Die Bauleitplanung dient der städtebaulichen Ordnung (vgl. § 1 Abs. 3 BauGB) und ist regelmäßig verfehlt, wenn sie - unter Verstoß gegen den Trennungsgrundsatz des § 50 BlmSchG - dem Wohnen dienende Gebiete anderen Grundstücken so zuordnet, daß schädliche Umwelteinwirkungen auf die Wohngebiete nicht soweit wie möglich vermieden werden. Ob und in welchem Umfang dem Trennungsgrundsatz genügt ist, richtet sich nach objektiven Kriterien; private Verzichtserklärungen sind für die städtebauliche Ordnung ebenso wie für die Frage der Beeinträchtigung öffentlicher Belange i.S. von § 35 Abs. 3 BauGB grundsätzlich ohne Bedeutung.
Private Vereinbarungen oder Verzichtserklärungen können allerdings dann bedeutsam sein, wenn sie sich nicht auf den Verzicht auf Abwehrrechte beschränken, sondern - objektiv - zu einer Konfliktlösung führen. In diesem Sinne hat der Senat (a.a.O.) ausgeführt, eine "Zustimmung" führe dann weiter, wenn sie alle künftigen Konflikte entfallen lasse und dadurch auch künftige Konfliktlösungen verläßlich entbehrlich mache; so könne der öffentliche Belang der Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen beispielsweise dadurch überwunden werden, daß sich der Eigentümer des einzigen in der näheren Umgebung des störenden Vorhabens vorhandenen Wohnhauses zu dessen Abbruch bereit finde. Ebenso kann dem öffentlichen Belang "schädliche Umwelteinwirkungen" der Boden entzogen werden, wenn ein Nachbar einem lärmintensiven Vorhaben zustimmt, weil er in sein Wohnhaus Schallschutzfenster einbaut und der Konflikt dadurch ausgeräumt wird (Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, § 35 Rn. 57; vgl. auch Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 35 Rn. 48). Entscheidend ist jedoch immer, daß der Konflikt selbst tatsächlich gelöst ist. Der Verzicht auf Abwehransprüche kann ein Indiz für das Vorhandensein einer Konfliktlösung sein, niemals aber selbst die Konfliktlösung darstellen.
Im vorliegenden Fall hat das Normenkontrollgericht angenommen, daß Teile des in dem streitigen Bebauungsplan geplanten Wohngebiets erst dann keinen unzumutbaren Immissionen vom Legehennenhaltungsbetrieb der Antragsteller ausgesetzt sein werden, wenn die Bepflanzung auf dem vorgesehenen Vegetationsstreifen nach zehn Jahren herangewachsen sein wird und dann die ihr zugedachte Schutzfunktion erfüllen kann. Die Beschwerde nimmt dies hin. Damit akzeptiert sie aber auch, daß der Konflikt während der ersten zehn Jahre bestehen bleibt. Allein durch einen Verzicht der durch die Schutzanpflanzung Begünstigten auf Abwehrrechte läßt sich dieser Abwägungsmangel nicht ausräumen. Selbst wenn die Antragsteller durch diesen Verzicht vor Ansprüchen ihrer Nachbarn wirksam geschützt sein sollten, bliebe die Planung während dieser Zeit wegen Verletzung des § 1 Abs. 6 BauGB objektiv fehlerhaft.
Az.: II/1 620-01