Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser

StGB NRW-Mitteilung 663/2021 vom 22.11.2021

VG Hannover zur Bebauung im Überschwemmungsgebiet

Das VG Hannover hat mit Urteil vom 12.03.2021 (Az.: 12 A 285/19) eine sog. Dritt-Anfechtungsklage gegen eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung gemäß § 78 Abs. 5 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) als unbegründet abgewiesen. Gegenstand der Entscheidung war die Errichtung einer Parkplatzfläche auf einem Grundstück in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet. In festgesetzten Überschwemmungsgebieten ist gemäß § 78 Abs. 4 WHG die Errichtung und Erweiterung von baulichen Anlagen grundsätzlich verboten. Es kann aber unter den Voraussetzungen des § 78 Abs. 5 WHG durch die zuständige Wasserbehörde eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung erteilt werden (vgl. hierzu auch VG Trier, Urteil vom 20.11.2018 – Az. 9 K 2623/18.TR).

Das VG Hannover stellt in seinem Urteil vom 12.03.2021 heraus, dass ein Rechtsanspruch auf Aufhebung einer erteilten wasserrechtlichen Ausnahmegenehmigung gemäß § 78 Abs. 5 WHG nicht schon dann gegeben ist, wenn die Genehmigung (objektiv) unter Verletzung hochwasserrechtlicher Vorschriften erteilt worden ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Genehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch die Genehmigung zugleich in seinen Rechten verletzt ist. Dieses ist nach dem – hier heranzuziehenden – Maßstab des wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebotes nur dann der Fall, wenn dem Nachbarn durch die genehmigte Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes ein nicht nur unerheblicher Nachteil droht bzw. der Verstoß zu einer unzumutbaren Verschärfung der Hochwassergefahren führt (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20.07.2007 – Az.: 12 ME 210/07-; BayVGH, Beschluss vom 07.05.2018 – Az.: 8 CS 18.455-; VG Trier, Urteil vom 20.11.2018 – Az.: 9 K 2623/18.TR - ; VG Augsburg, Urteil vom 04.06.2013 – Az.: AU 3 K 12.1026-; VG München, Beschluss vom 31.01.2018 – Az.: M 2 SN 17.5921-).

Nicht ausreichend ist - so das VG Hannover - etwa, dass sich rein mathematisch ein Retentionsraumverlust in einem Überschwemmungsgebiet errechnen lasse. Aufgrund des Retentionsraumverlustes müsse vielmehr ein nicht unerheblicher Nachteil bzw. eine unzumutbare Verschärfung der Hochwassergefahren bezogen auf das Nachbargrundstück mit hinreichender Gewissheit zu erwarten sein (so auch: VG Trier, Urteil vom 12.01.2018 – Az. 9 K 2623/18 TR).

Wann ein nicht nur unerheblicher Nachteil vorliege, hängt – so dass VG Hannover – von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 07.05.20218 – Az. 8 CS 18.45-). Nicht überschritten sei die Erheblichkeitsschwelle, wenn eine erhebliche Verschärfung der Hochwassergefahren erst bei einem Hochwasserereignis zu erwarten sei, dass statistisch weniger als einmal in 100 Jahren eintritt (sog. Bemessungshochwasser - HQ 100 - ; vgl. VG Augsburg, Urteil vom 04.06.2013 – Az. AU 3 K 12.1026).

Im zu entscheidenden Fall drohte dem Nachbargrundstück – so das VG Hannover - kein Nachteil unter dem Gesichtspunkt einer Beeinträchtigung der Hochwasserrückhaltung (§ 78 Abs. 5 Satz 1 Buchstabe a WHG). Rückhalteraum sei derjenige Raum, in dem das Hochwasser zwischengespeichert werde, um die Hochwasserwelle abzuflachen. Gehe solcher Raum durch das Vorhaben verloren, sei hierfür nach § 78 Abs. 5 Satz 1 Buchstabe a WHG ein in jeder Hinsicht gleichwertiger Ausgleich zu schaffen. Die zuständige Wasserbehörde müsse darlegen, dass der Verlust an Rückhaltekapazitäten mit gleichem Volumen, identischer Funktion und zeitgleich kompensiert werde. Bezugspunkt der Gleichwertigkeitsprüfung sei der betreffenden Gewässerabschnitt. Maßstab sei (auch hier) das Bemessungswasser HQ 100.

Im Falle des genehmigten Vorhabens sei ein solcher Ausgleich vorgesehen. Insbesondere bestünden keine Zweifel daran, dass der geschaffene-ebenerdige Raum in gleicher Weise geeignet sei, die Funktion als Rückhalteraum zu erfüllen. Solche Zweifel ergäben sich insbesondere auch nicht im Hinblick auf die genehmigte Versiegelung der Parkplatzfläche. Die Möglichkeit, das Hochwasser zwischenzuspeichern, wird – so das VG Hannover - durch die Versiegelung nicht beeinträchtigt. Im Übrigen habe die beklagte Stadt auch plausibel dargelegt, dass in den Fällen, in denen das Hochwasserereignis mit starkem Niederschlag im Bereich des Vorhabengrundstücks einhergehe, auch natürlicher Boden in der Regel wassergesättigt sei, so dass das Wasser dort nicht mehr versickern könne.

Weiterhin war – so das VG Hannover - auch nicht erkennbar, dass dem Kläger als Nachbargrundstückseigentümer ein nicht nur unerheblicher Nachteil unter dem Gesichtspunkt einer nachteiligen Veränderung des Wasserstandes oder des Hochwasserabflusses drohe (§ 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b WHG). Die beklagte Stadt habe bezogen auf die Errichtung einer Parkplatzfläche auf dem Vorhabengrundstück im festgesetzten Überschwemmungsgebiet den Bau von Sicker- und Entwässerungsmulden auf dem Vorhabengrundstück aufgegeben. Dieses Entwässerungssystem sei in der Lage, ein Starkregenereignis von 50 mm/qm zu bewältigen.

Im Übrigen sei der gemäß § 78 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b WHG erforderliche Nachweis, dass ein schadloser Hochwasserabfluss gewährleistet sei, dann nicht geführt, wenn aufgrund einer auf konkreten Tatsachen gestützten Prognose die Möglichkeit eines Schadens durch abfließendes Hochwasser nicht von der Hand zu weisen sei. Die Möglichkeit eines solchen Schadens sei aber – so das VG Hannover – im zu entscheidenden Fall nicht ersichtlich. Mit der Anlegung der Parkplatzfläche werde kein zusätzliches Hochwasserhindernis geschaffen, welches den Abfluss des Hochwassers verhindern könne.

 

 

 

Az.: 24.0.16 qu

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