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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 410/2003 vom 23.04.2003
VG Münster zur Grundgebühr
Das VG Münster hat sich in einem Urteil vom 25.3.2003 (Az.: 7 K 1435/99) vertiefend mit der Frage der Erhebung einer Grundgebühr bei der Veranlagung von Abwassergebühren auseinandergesetzt.
Nach dem VG Münster ist die Grundgebühr eine Benutzungsgebühr, die für die Inanspruchnahme der Betriebsbereitschaft einer Einrichtung erhoben wird. Die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft (bei der Abwasserbeseitigung: das Bereitstellen und ständige Vorhalten einer ordnungsgemäßen Entwässerung für jeden Anschluss) verursache fixe, d.h. verbrauchsunabhängige (abwassermengenunabhängige) Betriebskosten. Es sei daher grundsätzlich gerechtfertigt, diese Kosten unabhängig von Intensität der Benutzung über eine Grundgebühr vorab auf alle Benutzer der Anlage zu verteilen. Bei der Erhebung einer Grundgebühr habe die Gemeinde zunächst zwischen leistungsunabhängigen (abwassermengenunabhängigen) und leistungsabhängigen (abwassermengenabhängigen) Betriebskosten zu unterscheiden. Nur abwassermengenunabhängige Kosten dürften in die Grundgebühr einfließen. Dieser Maßgabe habe die beklagte Gemeinde Rechnung getragen, weil sie in die Grundgebühr nur kalkulatorische Kosten eingestellt habe.
Gleichwohl sei – so das VG Münster - zu beachten, dass mit der zutreffenden Trennung der Kostenarten in verbrauchsabhängig und verbrauchsunabhängig noch nicht vorgegeben sei, dass sämtliche (alle) Vorhaltekosten über die Grundgebühr finanziert und auf alle Benutzer vorab gleichmäßig verteilt werden könnten. Auch hier seien der Gemeinde bei der Ausübung ihres Ermessens durch das Äquivalenzprinzip (§ 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW) und den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) Schranken gesetzt. So dürfe der gewählte Gebührenmaßstab bei der Grundgebühr als Verteilungsschlüssel für die verbrauchsunabhängigen Kosten nicht in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu der individuellen Inanspruchnahme stehen. Der Gebührenmaßstab müsse vielmehr in etwa die tatsächlichen Verhältnisse des gemeindlichen Entwässerungssystems nachbilden. Dieser Maßgabe werde die von der Gemeinde erhobene Grundgebühr nicht gerecht, weil die mit der Grundgebühr in ihrer Gesamtheit umgelegten fixen Vorhaltekosten in der Kalkulation mehr als 66 v.H. der Gesamtkosten der Entwässerung und die zusätzlichen Benutzungskosten nur rd. 33 v.H. ausmachen würden. Eine solche Kostenverteilung im Hinblick auf die Grundgebühr und die Zusatz- bzw. Leistungsgebühr könnte – so das VG Münster - dann gerechtfertigt sein, wenn die Inanspruchnahme des Entwässerungssystems einigermaßen homogen (einheitlich) wäre, etwa wenn nicht nur die Anschlüsse gleich dimensioniert wären, sondern sich auch die Einleitungsmengen je Grundstücksanschluß vor dem Hintergrund einer weitgehend gleichförmigen Siedlungsstruktur nur geringfügig unterscheiden würden. Auch wenn auf diese Weise kleine Hausgrundstücke mit wenigen Bewohnern, Grundstücke mit Mehrfamilienhäusern und Gewerbegrundstücke überwiegend gleich behandelt würden, wäre dieses im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu beanstanden, wenn die Abwassermengen der Grundstücke, die das Entwässerungssystem in deutlich größerem Maße als andere in Anspruch nehmen würden, nicht ins Gewicht falle und deshalb im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise vernachlässigt werden dürfe. Der Grundsatz der typisierenden Gerechtigkeit gestatte dem Satzungsgeber nämlich, bei der Gestaltung gebührenrechtliche Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu pauschalieren, dass an die Regelfälle eines Sachbereichs angeknüpft wird und dabei die Besonderheiten von Ausnahmefällen außer Betracht bleiben, solange diese nicht mehr als 10 v.H. der Gebührenfälle ausmachten (sog. Grundsatz der Typengerechtigkeit).
Die Verhältnisse in der beklagten Gemeinde lägen jedoch nicht so. Ein Fachgutachten zur Abwasserentsorgung aus dem Jahr 1992 zeige vielmehr, dass die Inanspruchnahme des Entwässerungssystems in der Gemeinde sehr wesentlich durch einen gewerblichen Großeinleiter (einer Fleischwarenfabrik) geprägt sei. Diese Firma habe bereits im Jahr 1992 über eine Verarbeitungskapazität von mehr als 15 t am Tag verfügt, wobei eine Abwassermenge von täglich 21 cbm (Jahresmenge: 5.200 cbm) angefallen sei. Das Fachgutachten beziffere die allein hierfür vorzuhaltende Reinigungskapazität der Kläranlage der Gemeinde auf 2.500 Einwohnerwerte. Dieses sei nach dem Stand von Oktober 1992 die Kapazität, die für die Entwässerung aller privater Haushalte zusammen (2.100 vorhandene und 400 prognostizierte Einheiten) benötigt werde. Neben diesen beiden gleich großen Kapazitätsblöcken fielen die weiteren Positionen - Regenwasserbehandlung und Kleingewerbe - mit je 300 Einwohnerwerten nicht ins Gewicht. Die Zahlen hätten sich bis zum hier maßgeblichen Kalkulationsjahr 1999 nur geringfügig geändert, wie die Kalkulation (2150 Anschlüsse) zeige. Angesichts dieser Zahlenverhältnisse sei eine typisierende Betrachtungsweise der Entwässerung hinsichtlich der Anschlüsse in der Gemeinde weder möglich noch zulässig. Es gebe keinen überwiegenden Typ der Entwässerungsbenutzer i.S.d. der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum sog. Grundsatz der Typengerechtigkeit. Vielmehr bestehe hier die Besonderheit, dass sich zwei gleich große, jedoch völlig unterschiedliche "Typen" - ein Großeinleiter und die Gesamtheit der Wohnhausanschlüsse - gegenüberstünden, was jedoch in der Gebührenkalkulation der Gemeinde keine Berücksichtigung gefunden habe. Die Grundgebühr verstoße daher gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, weil sie den gewerblichen Großeinleiter und die übrigen Anschlüsse bei der Umlage der Kosten der Vorhalteleitungen (Kosten der jederzeitigen Betriebsbereitschaft) ungleich behandele. Hieraus folge zugleich, dass diese Kostenverteilung außerhalb des Ermessensspielraums der Gemeinde liege und daher rechtswidrig sei.
Außerdem folge auch aus dem Äquivalenzprinzip (§ 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW), dass die Einbeziehung der Kosten für die Erweiterung der Kläranlage in einem Ortsteil in die für alle Grundstücksanschlüsse gleiche Grundgebühr nicht zulässig sei. Dem Kläger würden - wie allen privaten Nutzern - sämtliche verbrauchsunabhängigen Kosten des Entwässerungssystems anteilig auferlegt, d.h. es würden auch diejenigen Kosten auferlegt, die ausschließlich im Hinblick auf den Neubau der fleischverarbeitenden Firma angefallen seien und nur dieser Firma zugute kommen würden. Der Neubau der Kläranlage in einem Ortsteil der Gemeinde sei nämlich nachweislich nur deshalb erfolgt, um den Neubau der fleischverarbeitenden Firma und deren Anschluss an die gemeindliche Abwasseranlage ermöglichen zu können. Die entsprechenden Kosten seien bezifferbar. Sie seien in diesem besonderen Falle ausschließlich einem Großbenutzer zuzuordnen und überstiegen die unter dem Gesichtspunkt der Typengerechtigkeit noch hinzunehmende Grenze derart, dass es nicht gerechtfertigt sei, diese Kosten auf alle Grundstücksanschlüsse über eine Grundgebühr gleichmäßig umzulegen und damit auch die privaten Haushalte zu belasten, denen diese Vorhalteleistung nicht zugute komme.
Die Geschäftsstelle weist auf folgendes hin: Das Urteil des VG Münster ist noch nicht rechtskräftig und betrifft keine Gemeinde mit getrennter Regenwassergebühr. Das OVG NRW hat sich mit dem Problemkreis „Grundgebühr und gewerbliche Großeinleiter“ noch nicht beschäftigt. Nach dem OVG Lüneburg (Urteil vom 24.6.1998, Az.: 9 A 6907/95) ist es unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn 30% von 100% Fixkosten in eine Grundgebühr eingestellt werden, weil hierdurch der Grundstock an Kosten abgebildet wird, den jeder Nutzer unabhängig von der Intensität seiner konkreten Inanspruchnahme durch die Inanspruchnahme der Vorbehalteleistung verursacht. Unabhängig davon sei darauf hingewiesen, dass keine Pflicht besteht, im Rahmen der Abrechnung der Abwassergebühr nach dem Frischwassermaßstab (Frischwasser = Abwasser; bei der Einheitsgebühr: einschließlich Kosten der Regenwasserbeseitigung) eine Grundgebühr zu erheben (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 3 KAG NRW).
Az.: II/2 24 - 21