Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 649/2016 vom 12.09.2016
VGH Hessen zu Flüchtlingsunterbringung und Wohnnutzung
Der Verwaltungsgerichtshof Hessen hat mit Beschluss vom 03. März 2016 — 4 B 403/16 — entschieden, dass eine Flüchtlingsunterbringung Wohnnutzung sein kann:
- Die Unterbringung von 17 Flüchtlingen in zwei in sich abgeschlossenen Wohnungen in einer Doppelhaushälfte stellt nach den konkreten Umständen des Falls eine Wohnnutzung dar.
- Dem Kriterium der Freiwilligkeit des Aufenthalts in den beiden Wohnungen steht nicht entgegen, dass der Einzug auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Zuweisung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 AsylG erfolgt ist. Allein die durch eine Rechtsnorm begründete Verpflichtung zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen führt nicht zu einem unfreiwilligen Verhalten, wenn der Betreffende seiner Rechtspflicht selbsttätig nachkommt.
Ein Grundstückseigentümer in einer hessischen Kleinstadt stellt eine Doppelhaushälfte zur Unterbringung von bis zu 17 Flüchtlingen (14 Erwachsene und 3 Kinder) gegen Zahlung einer monatlichen Miete zur Verfügung. Dem Grundstückseigentümer wurde zunächst behördlich, dann gerichtlich untersagt, die Doppelhaushälfte durch mehr als zehn Personen zu belegen. Da die Unterbringung der Flüchtlinge keine Wohnnutzung darstellt, sehen sich die Nachbarn in ihren Rechten verletzt. Dies bezweifelt der Grundstückseigentümer.
Entscheidung
Nach Auffassung des VGH Hessen ist die Unterbringung von Flüchtlingen in der Doppelhaushälfte des Grundstückseigentümers mit dem Charakter der näheren Umgebung vereinbar, weil eine Wohnnutzung gegeben ist. Durch das Vorhaben werden die Nachbarn nicht in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt. Der Einzug der bislang 15 Flüchtlinge in die Doppelhaushälfte ist nach den konkreten Gegebenheiten als Wohnnutzung zu bewerten, die mit dem Charakter der umliegenden Bebauung vereinbar ist. Dabei kann offenbleiben, ob die nähere Umgebung i. S. v. § 34 BauGB als faktisches reines Wohngebiet oder als faktisches allgemeines Wohngebiet einzustufen ist.
In beiden Fällen würde sich die Wohnnutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Der Begriff des Wohnens ist durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, eine Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie durch die Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet (BVerwG, Beschluss vom 25.03.1996 — 4 B 302.95). Bei der Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen in die Räumlichkeiten eines Gebäudes kommt insbesondere die Einrichtung einer Anlage für soziale Zwecke in Betracht. Solche Anlagen dienen der sozialen Fürsorge und der öffentlichen Wohlfahrt.
Im vorliegenden Fall ist jedoch eher eine Wohnnutzung anzunehmen. Die Grundrisse der beiden in sich abgeschlossenen Wohneinheiten der Doppelhaushälfte lassen erkennen, dass sowohl die Drei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss als auch die weitere Drei-Zimmer-Wohnung, die das Obergeschoss und das Dachgeschoss umfasst, aufgrund der in beiden Wohnungen vorhandenen Küchen und Badezimmer die Möglichkeit einer eigengestalteten Haushaltsführung der Bewohner ermöglicht. Zudem ist eine externe Versorgung der Flüchtlinge nicht vorgesehen. Die Wohnnutzung in der Doppelhaushälfte ist auch auf Dauer angelegt. Dem steht nicht entgegen, dass Asylbewerbern oder Flüchtlingen nicht zeitlich unbegrenzte Wohnmöglichkeiten verbleiben.
Praxishinweis
Die Entscheidung des VGH Hessen betrifft ausschließlich die Konstellation der von einer Gemeinde im Gemeindegebiet unterzubringenden Nutzung als Unterkunft für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge. Eine Ausdehnung auf andere Arten von Flüchtlingsunterkünften, wie sie zum Beispiel in Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes vorliegen, ist nicht anzuerkennen. Solche Erstaufnahmeeinrichtungen werden regelmäßig nicht Wohnnutzungen, sondern Anlagen für soziale Zwecke darstellen, deren Zulässigkeit am Gebietserhaltungsanspruch der Nachbarn zu messen ist.
Az.: 20.1.1.1-002/001 gr