Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Mitteilungen - Bauen und Vergabe
StGB NRW-Mitteilung 346/2006 vom 21.04.2006
Zulässigkeit von Hersteller-Direktverkaufszentren
1. Wenn über den Antrag auf Genehmigung des Flächennutzungsplans wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Komplexität der durch den Plan aufgeworfenen Fragen nicht innerhalb der Regelfrist von drei Monaten entschieden werden kann, liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 2 BauGB für eine Fristverlängerung vor.
2. Die höhere Verwaltungsbehörde darf einen Flächennutzungsplan, der einem während des Genehmigungs- oder des sich anschließenden gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenen Ziel der Raumordnung widerspricht, nicht genehmigen. Daher darf sie hierzu auch nicht verpflichtet werden.
3. Gehen die städtebaulichen Auswirkungen von Hersteller-Direktverkaufszentren insbesondere wegen der Größe dieser Betriebe, der Zentrenrelevanz ihres Kernsortiments und der Reichweite ihres Einzugsbereichs über die Auswirkungen der üblichen Formen des großflächigen Einzelhandels hinaus, kann es gerechtfertigt sein, sie landesplanerisch einer im Vergleich zum sonstigen großflächigen Einzelhandel strengeren Sonderregelung zu unterwerfen und nur in Oberzentren an städtebaulich integrierten Standorten zuzulassen.
[BVerwG, Beschluss vom 08.03.2006 - Az.: 4 B 75.05]
Gemäß § 6 Abs. 2 BauGB darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn der Flächennutzungsplan nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist oder diesem Gesetzbuch, den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen oder sonstigen Rechtsvorschriften widerspricht. Gemäß § 1 Abs. 4 BauGB sind die Bauleitpläne - also auch der Flächennutzungsplan (vgl. § 1 Abs. 2 BauGB) - den Zielen der Raumordnung anzupassen. Ein Flächennutzungsplan, der entgegen § 1 Abs. 4 BauGB nicht den Zielen der Raumordnung angepasst ist, widerspricht dem Baugesetzbuch; er ist nicht genehmigungsfähig. Die Pflicht zur Anpassung, die § 1 Abs. 4 BauGB statuiert, endet nicht im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Flächennutzungsplan oder die Satzung. Bauleitpläne sind den gültigen Zielen der Raumordnung anzupassen, unabhängig davon, wann diese in Kraft getreten sind. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 17. September 2003 - BVerwG 4 C 14.01 - BVerwGE 119, 25 <39 f.>) liegt der Regelungszweck des § 1 Abs. 4 BauGB in der "Gewährleistung umfassender materieller Konkordanz" zwischen der übergeordneten Landesplanung und der gemeindlichen Bauleitplanung. Die Pflicht zur Anpassung zielt nicht auf "punktuelle Kooperation", sondern auf dauerhafte Übereinstimmung der beiden Planungsebenen. Die Gemeinde ist - unter dem Vorbehalt der materiellrechtlichen und zeitlichen Erforderlichkeit im Einzelfall - zur Anpassung an die Ziele der Raumordnung nicht nur verpflichtet, wenn sie Bauleitpläne aus eigenem Entschluss und allein aus städtebaulichen Gründen aufstellt oder ändert; sie muss auch dann planerisch aktiv werden, wenn allein geänderte oder neue Ziele der Raumordnung eine Anpassung der Bauleitpläne erfordern (BVerwG, Urteil vom 17. September 2003, a.a.O.). Unbeschadet der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Anpassung eines genehmigten und durch Bekanntmachung der Genehmigungserteilung wirksam gewordenen (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 2 BauGB) Flächennutzungsplans an ein neues Ziel der Raumordnung erforderlich ist, darf die höhere Verwaltungsbehörde einen Flächennutzungsplan, der einem während des Genehmigungs- oder des sich anschließenden gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenen Ziel der Raumordnung widerspricht, nicht genehmigen und hierzu auch nicht verpflichtet werden (vgl. Runkel, in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1 Rn. 69 - Stand September 2005; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 9. Aufl. 2005, § 1 Rn. 42). Etwas anderes ergibt sich auch nicht - wie die Klägerin meint (Frage II.1.2) - aus § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist für die Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Flächennutzungsplan oder die Satzung maßgebend. Für die Anpassung an die Ziele der Raumordnung nach § 1 Abs. 4 BauGB gilt § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB weder unmittelbar noch entsprechend. Das ergibt sich ebenfalls ohne weiteres aus der Rechtsprechung des Senats. Der Standort, den der Gesetzgeber den Zielen der Raumordnung und Landesplanung in der Bauleitplanung zuweist, ist nicht im Abwägungsprogramm zu suchen; er ist diesem vielmehr, wie bereits durch die Stellung des § 1 Abs. 4 BauGB im Gesamtregelungszusammenhang dokumentiert wird, rechtlich vorgelagert (vgl. Beschluss vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329 <332>; Urteil vom 30. Januar 2003 - BVerwG 4 CN 14.01 - BVerwGE 117, 351 <356>). Ein Flächennutzungsplan, der zunächst mit den Zielen der Raumordnung übereinstimmt, einem später geänderten landesplanerischen Ziel jedoch widerspricht, würde im Übrigen einem Bebauungsplan, der aus den Darstellungen des Flächennutzungsplans entwickelt worden ist, gegenüber der geänderten Landesplanung keinen bauleitplanerischen "Bestandsschutz" verleihen (vgl. BVerwGE 117, 351 <356>). Die landesplanerische Zielfestlegung setzt sich als Bestandteil der übergeordneten Planung gegenüber einem zielwidrig gewordenen Flächennutzungsplan durch.
Die Frage, ob es den Gemeinden unterhalb der Zentralitätsstufe eines Oberzentrums ausnahmslos untersagt werden darf, Hersteller-Direktverkaufszentren anzusiedeln, würde sich in dem Revisionsverfahren so nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat das Landesplanungsrecht des Landes Niedersachsen dahin ausgelegt, dass der Plansatz C 1.6 03 Satz 11 LROP 2002 zwar eine strikte Bindung für Hersteller-Direktverkaufszentren vorsieht, das Zielabweichungsverfahren (§ 11 Abs. 1 NROG) aber davon abweichende Lösungsmöglichkeiten eröffnet (vgl. UA S. 59).
Dass es, jedenfalls wenn die Möglichkeit der Zielabweichung besteht, mit der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar sein kann, Gemeinden unterhalb der Zentralitätsstufe eines Oberzentrums durch eine landesplanerische Zielfestlegung zu untersagen, die Ansiedlung von Hersteller-Direktverkaufszentren im Wege der Bauleitplanung zu ermöglichen, ist nicht zweifelhaft. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwGE 90, 329 <335>; Urteil vom 15. Mai 2003 - BVerwG 4 CN 9.01 - BVerwGE 118, 181 <185>; Beschluss vom 7. Februar 2005 - BVerwG 4 BN 1.05 - NVwZ 2005, 584), von der entgegen der Auffassung der Klägerin (Frage III.3.1) auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist (vgl. UA S. 47 f.), steht Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG der Bindung der gemeindlichen Bauleitplanung an Ziele der Raumordnung und Landesplanung nicht prinzipiell entgegen. Das Grundgesetz gewährleistet die kommunale Selbstverwaltung nur im Rahmen der Gesetze. Die Gemeinde ist landesplanerischen Zielvorgaben jedoch nicht einschränkungslos ausgesetzt. Sie ist, soweit für sie Anpassungspflichten begründet werden, in den überörtlichen Planungsprozess einzubeziehen. Auch materiellrechtlich setzt die kommunale Planungshoheit der Landesplanung Grenzen. Schränkt die Landes- oder Regionalplanung die Planungshoheit einzelner Gemeinden ein, so müssen überörtliche Interessen von höherem Gewicht den Eingriff rechtfertigen; der Eingriff in die Planungshoheit muss gerade angesichts der Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung verhältnismäßig sein (vgl. BVerwGE 118, 181 <185>). Die Standortplanung für Einzelhandelsgroßbetriebe ist nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwGE 119, 25 <41>) ein überörtliches Interesse, das eine Beschränkung der Planungshoheit rechtfertigen kann. Die Standortplanung für Einzelhandelsgroßbetriebe ist nicht auf die Instrumente der gemeindlichen Bauleitplanung beschränkt; sie kann bereits auf der Ebene der Landesplanung einsetzen und - in unterschiedlicher Gestalt - mit der zentralörtlichen Gliederung verbunden werden. Gehen die städtebaulichen Auswirkungen von Hersteller-Direktverkaufszentren insbesondere wegen der Größe dieser Betriebe, der Zentrenrelevanz ihres Kernsortiments und der Reichweite ihres Einzugsbereichs über die Auswirkungen der üblichen Formen des großflächigen Einzelhandels hinaus, kann es gerechtfertigt sein, sie einer im Vergleich zum sonstigen großflächigen Einzelhandel strengeren Sonderregelung zu unterwerfen und planerisch nur in Oberzentren an städtebaulich integrierten Standorten zuzulassen. Eine solche Zielfestlegung schließt es zwar für das gesamte Gebiet einer Gemeinde, die nicht Oberzentrum ist, aus, die Ansiedlung von Hersteller-Direktverkaufszentren planerisch zuzulassen; da die Zielfestlegung lediglich eine eng umgrenzte Nutzungsart ausschließt, verbleibt der Gemeinde jedoch substanzieller Raum für eine anderweitige Bauleitplanung. Im vorliegenden Fall sind der Plangeber und ihr folgend das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass Hersteller-Direktverkaufszentren besondere raumstrukturelle, die zentralörtliche Gliederung gefährdende Auswirkungen haben (vgl. UA S. 43 f., 51). An diese tatrichterliche Würdigung wäre der Senat in dem Revisionsverfahren gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Ausgehend hiervon zeigen die Beschwerdeführerinnen nicht auf, dass die dargelegten, in der Senatsrechtsprechung bereits geklärten Anforderungen an Beschränkungen der kommunalen Planungshoheit durch Ziele der Raumordnung in dem Revisionsverfahren in verallgemeinerungsfähiger Weise präzisiert oder fortentwickelt werden könnten.
Az.: II/1 611-22