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StGB NRW-Mitteilung 277/1996 vom 05.06.1996
Zur Bestimmtheit des räumlichen Geltungsbereiches von Baumschutzsatzungen
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluß vom 15. März 1996 (Az.: 3 StR 506195) entgegen dem OLG Hamm entschieden, daß eine Baumschutzsatzung hinreichend bestimmt ist, wenn sie den räumlichen Geltungsbereich innerhalb des Geltungsbereiches der Bebauungspläne und der im Zusammenhang bebauten Ortsteife umschreibt.
Im einzelnen führt der Bundesgerichtshof aus:
"Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage dahin, daß eine das Bußgeldblankett des 5 70 Abs. 1 Nr. 17 LG NW ausfüllende Gemeindesatzung zum Schutz des Baumbestandes hinreichend bestimmt ist, wenn der räumliche Geltungsbereich auf der Grundlage des 9 45 LG NW innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteife und des Geltungsbereichs der Bebauungspläne festgelegt ist. Er befindet sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts, das in dem Fall der insoweit wortgleichen Baumschutzsatzung der nordrhein-westfälischen Stadt Marl ebenso entschieden hat (BVerwGE 96,110).
1. Nach der gesetzlichen Ermächtigung des 5 45 LG NW können die Gemeinden durch Satzung den Schutz des Baumbestandes "innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und des Geltungsbereichs der Bebauungspläne" regeln. Auf diese Vorschrift verweist 3 70 Abs. 1 Nr. 17 LG NW. Diese Norm bestimmt, daß ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Satzung einer Gemeinde nach 5 45 LG NW zuwiderhandelt, sofern sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist. Nach § 71 Abs. 1 LG NW können Ordnungswidrigkeiten nach 9 70 LG NW mit einer Geldbuße bis zu 100.000 DM geahndet werden.
Auf diese Ermächtigung stützt sich die von der Stadt Heiligenhaus erlassene Satzung zum Schutz des Baumbestandes, die in 9 2 den Geltungsbereich benennt Schutz des Baumbestandes "innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und des Geltungsbereichs der Bebauungspläne" -, in § 4 die verbotenen Handlungen festlegt im Geltungsbereich dieser Satzung ist es verboten, geschützte Bäume zu entfernen, zu zerstören . . . - und in § 12 Abs. 1 Buchst. a auf die Blankettvorschrift verweist ordnungswidrig gern. § 70 Abs. 1 Nr. 17 LG NW handelt; wer vorsätzlich oder fahrlässig geschützte Bäume entgegen den Verboten des Q 4 und ohne Ausnahmegenehmigung nach 5 6 entfernt, zerstört . . . -.
2. Die auf die genannten Vorschriften gestützte Bußgeldregelung ist im Sinne von 5 3 OWiG, Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend bestimmt.
Artikel 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich der Strafnorm zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 75, 329, 341 m.w.Nachw.). Diese Verpflichtung gilt auch für Bußgeldtatbestände (vgl. Leibholz-Rinck-Hesselberger, GG Art. 103 RZ. 1148). Sie dient einem doppelten Zweck. Zum einen soll der Normadressat vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafen oder Geldbuße bedroht ist. Zum anderen soll sichergestellt werden, daß der Gesetzgeber selbst über die Strafbarkeit oder Ahndbarkeit eines Verhaltens entscheide (vgl. BVerfGE 75, 329, 341).
Das Gebot der Bestimmtheit schließt nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, bei der Ausgestaltung von Straf- und Bußgeldtatbeständen der Vielfalt der zu erfassenden Sachverhalte Rechnung zu tragen. Es läßt sich nicht vermeiden, daß in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein konkretes Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht (vgl. BVerfGE 75,329,341,342). Die Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift läßt noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit entfallen (BVerfGE 63, 312, 324). Bei der Frage, ob der Gesetzgeber in einer Vorschrift unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet oder sie ins einzelne gehend faßt, verfügt er über einen Gestaltungsspielraum. wobei nicht zuletzt auch Erwägungen der praktischen Handhabbarkeit seine Entscheidung beeinflussen dürfen (BVerfGE 49, 89, 137).
Eine Geldbuße kann nach Art. 103Abs. 2 GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes oder aufgrund einer Rechtsverordnung verhängt werden, die im Rahmen einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß derart bestimmten gesetzlichen Ermächtigung ergangen ist. Gesetze in diesem Sinne sind auch Satzungen von Gemeinden (vgl. BVerfGE 32, 346, 362: BVerfG NStZ 1990, 394). Verwendet der Gesetzgeber Blankettvorschriften, so sind diese mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar, sofern durch sie der "vorgeformte" Tatbestand so hinreichend umschrieben ist, daß die Ahndbarkeit schon aufgrund des Blanketts in Verbindung mit der gesetzlichen Ermächtigungsnorm vorausgesehen werden kann: den ausfüllenden Rechtsvorschriften dürfen nur gewisse Spezifizierungen des Tatbestandes überlassen bleiben (BVerfGE 75, 329,342,78,374,383; BGHSt 37, 266, 272).
3. Diesen Voraussetzungen entspricht die zur Festlegung des räumlichen Geltungsbereichs der blankettausfüllenden Baumschutzsatzung nach 5 45 LG NW verwendete Formulierung "innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und des Geltungsbereichs der Bebauungspläne". Beide Begriffe sind hinreichend bestimmt. Bei der Bezugnahme auf den "Geltungsbereich der Bebauungspläne" handelt es sich um eine zulässige "dynamische Verweisung" (vgl. BVerfGE 47, 285, 311 ff.; BVerwGE 96, 110, 115, 116) des Satzungsgebers auf andere Rechtsvorschriften, nämlich auf Ortsrecht der eigenen Gemeinde.
Die Formulierung "innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile" entspricht den in 9 34 BauGi3 verwendeten Worten zur Abgrenzung von Außenbereichen und unbeplantem Innenbereich. Dieser unbestimmte Rechfsbegriff ist dort Anknüpfungspunkt für die Bebaubarkeit einer bestimmten Grundstücksfläche und damit für deren Qualifizierung als Bauland oder aber als nicht bebaubare Außenbereichsfläche. Für die Inhaltsbestimmung des Eigentums i.S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist er somit von wesentlicher Bedeutung. Nach 9 34 BauGE ist ein Grundstück innerhalb eines bereits vorhandenen Bebauungszusammenhangs grundsätzlich bebaubar. Ein Bebauungszusammenhang im Sinne des § 34 BauGB ist gegeben, soweit "die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhan-dener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt" (vgl. BVerwG DOV 1969, 645; BVerwGE 96, 110,112; BVerwG NVwZ-RR 1989,6; 1989,4; OVG Münster NVwZ-RR 1994,256). Der erfaßte räumliche Bereich ist in der weit überwiegenden Zahl der Anwendungsfälle ohne weiteres aufgrund der Siedlungsstruktur erkennbar. Ergeben sich in Grenzfällen Auslegungsschwierigkeiten, so können diese durch Rücksprache bei der Gemeinde oder durch Einholung von Rechtsrat behoben werden.
4. Nichts anderes gilt für die Verwendung desselben Begriffs hinsichtlich des die Grundrechte weniger stark berührenden Bereichs des Baumschutzes in einer Baumschutzsatzung. § 45 LG NW, dessen Umschreibung des räumlichen Geltungsbereichs des Baumschutzes von den Baumschutzsatzungen der Städte Heiligenhaus und Bielefeld übernommen worden ist, ermächtigt die Gemeinde in Nordrhein-Westfalen, den räumlichen Geltungsbereich der Satzung in der Weise zu bestimmen, daß der Baumschutz "dynamisch" auch auf die Gebiete erstreckt wird. die erst nach Erlaß der Satzung durch die faktische Ausweitung des Bebauungszusammenhangs oder durch die künftige Aufstellung von Bebauungsplänen die gesetzlichen Kriterien erfüllen. Danach darf der Satzungsgeber auch den künftigen Innen- und Planbereich dem Baumschutz unterstellen. Er hat im Wege der dynamischen Verweisung auf das Verweisungsobjekt in seiner jeweiligen Gestalt Bezug genommen, nämlich in dem Sinne, daß Außenbereichsflächen des Gemeindegebietes zum potentiellen Anwendungsbereich der Baumschutzsatzung gehören und daß sich diese Zugehörigkeit aktualisiert, sobald weitere Flächen in einen Planbereich einbezogen
werden oder durch Erweiterung der im Zusammenhang bebauten Ortslage die Merkmale des 5 34 BauGB aufweisen (BVerwGE 96, 110, 115, 116).
Wie das Bundesverwaltungsgericht näher ausgeführt hat, können andere Festlegungen des räumlichen Geltungsbereichs ungeeignet oder mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden sein. Selbst wenn in der einen oder anderen Gemeinde eine solche Möglichkeit zur Bestimmung des räumlichen Geltungsbereichs der Baumschutzsatzung besser geeignet schiene, wäre - entgegen der Auffassung des OLG Hamm NVwZ-RR 1993, 615, 616 die hier gewählte Art der Abgrenzung nicht unzulässig. Verfassungsrechtlich geboten ist nicht eine optimale Bestimmtheit um jeden Preis, sondern eine auch unter Berücksichtigung der praktischen Handhabung (vgl. BVerfGE 49, 89, 137) ausreichende Bestimmtheit".
Az.: IV/2 60-20 Mitt. NWStGB vom 5.6.1996