Mitteilungen - Jugend, Soziales, Gesundheit

StGB NRW-Mitteilung 301/2003 vom 17.03.2003

Zuständigkeitsverordnung zum ambulant begleiteten Wohnen

Das Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie NRW hatte den kommunalen Spitzenverbänden Anfang Februar den Entwurf einer Verordnung zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes übersandt, mit dem die überörtlichen Träger der Sozialhilfe für alle ambulanten und stationären Leistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte, die dem Bezieher eines selbständigen Wohnens von Behinderten dienen, für zuständig erklärt werden sollen. Nach Auffassung der Landesregierung haben die bisherigen getrennten sachlichen Zuständigkeiten der Kreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger für die ambulanten und der Landschaftsverbände als überörtliche Träger der Sozialhilfe für die stationären Leistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte nach dem BSHG nicht zu einem bedarfsgerechten Ausbau ambulanter Hilfen vor Ort geführt.

Der Verordnungsentwurf enthält ferner die Übertragung der Zuständigkeit auf die Landschaftsverbände auch für den Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt für den betroffenen Personenkreis. Eine weitere Zuständigkeit der örtlichen Träger der Sozialhilfe für die Hilfe zum Lebensunterhalt würde aus Sicht der Landesregierung nicht nur Schnittstellenprobleme erzeugen, sondern wäre auch unter Transparenz- und Kostengesichtspunkten nicht vertretbar.

Landkreistag und Städte- und Gemeindebund haben in einer gemeinsamen Stellungnahme Mitte März 2003 deutlich gemacht, daß sie bei ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung zur Hochzonung der Zuständigkeit für ambulant begleitete Wohnformen für Menschen mit Behinderungen bleiben.

Beide Verbände haben sich in der Vergangenheit wiederholt für eine Beibehaltung der Zuständigkeit bei ambulant betreuten Wohnformen auf der Ebene der örtlichen Sozialhilfeträger ausgesprochen. Die bislang festgestellten Defizite beim Ausbau ambulant betreuter Wohnformen sind ausschließlich auf fehlende finanzielle Anreize der Kreise und kreisfreien Städte im Hinblick auf die Zuständigkeit der Landschaftsverbände bei der stationären Eingliederungshilfe zurückzuführen. Die ambulante Eingliederungshilfe ist effektiv und effizient ausschließlich auf der örtlichen Ebene zu steuern und nur dort flexibel, bürgernah und mit umfassender Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten zu organisieren. Zudem hat gerade die Entwicklung der letzten Jahre erwiesen, dass sich die Kreise trotz der dargestellten unzureichenden finanziellen Anreize verstärkt beim Ausbau ambulant begleiteter Wohnformen für Menschen mit Behinderungen engagieren.

Angesichts der bestehenden Disparitäten der Verteilung vorhandener Plätze bei ambulant begleiteten Wohnformen in den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten des Landes halten es LKT NRW und StGB NRW jedoch für fachlich und finanzpolitisch vertretbar, eine Hochzonung dieser Zuständigkeit für eine befristete Dauer zu erproben, um Hilfen aus einer Hand zu ermöglichen. Dies muss jedoch zwingend sowohl mit den von den Landschaftsverbänden behaupteten fachlichen Verbesserungen als auch mit nachweisbaren finanziellen Entlastungen einhergehen und setzt zudem eine laufende umfassende Evaluation des Vorhabens voraus. Denn eine Hochzonung der Zuständigkeit läuft den von der Landesregierung in den letzten Jahren umgesetzten Prinzipien der Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsstrukturreform in Nordrhein-Westfalen diametral entgegen.

LKT NRW und StGB NRW haben sich im Rahmen des auch in der Begründung zum Entwurf der Änderungsverordnung angeführten gemeinsamen Positionspapiers der kommunalen Spitzenverbände und der Landschaftsverbände vom September 2002 unter bestimmten Erfordernissen damit einverstanden erklärt, eine befristete überörtliche Wahrnehmung zur Förderung und zum bedarfsgerechten Ausbau des ambulant begleiteten Wohnens in allen Regionen des Landes hinzunehmen. Wesentlich dafür waren folgende Gesichtspunkte:

 Es wird ein gleichmäßiger landesweiter Ausbau ambulanter Hilfeformen unter adäquater Reduzierung stationärer Betreuungsformen nach landesweit geltenden Kriterien im Wege von Zielvereinbarungen auf Landesebene, Landschaftsverbandsebene und Kreisebene erreicht.
 Durch den Ausbau des ambulant betreuten Wohnens wird falldurchschnittlich eine örtliche Ausgabensenkung bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen durch kostenorientierte, optimierte Gewichtung und flexible Ausgestaltung der stationären und ambulanten Hilfesysteme umgesetzt, wobei die Gesamtfallzahlsteigerung hier zu berücksichtigen ist.
 Das bislang praktizierte Gutachtenwesen wird mit flexibilisierten gegenseitigen Überführungsoptionen in stationäre bzw. ambulante Hilfeformen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsprinzips optimiert.
 Der Schutz des Einrichtungsortes zum Ausgleich überproportionaler Belastungen einzelner kommunaler Gebietskörperschaften wird mit unbefristeter Geltung verankert.
 Die Betreuungsintensität für die einzelnen Personengruppen wird einvernehmlich nach generellen landesweit geltenden Kriterien festgelegt und auf Kreisebene im Einvernehmen mit den örtlichen Sozialhilfeträgern konkretisiert.
 Eine unabhängige Stelle evaluiert die Zuständigkeitsveränderung und stellt umfassende fachliche und Kostenvergleichsmöglichkeiten dar, die durch ein entsprechendes Berichtswesen und Dokumentationsverpflichtungen der Landschaftsverbände ermöglicht werden.
 Am Ende einer Siebenjahresfrist nach Erreichen einer gleichmäßigeren Verteilung aller Regionen mit ambulant begleiteten Wohnformen wird über die Zuständigkeitsfrage auf der Grundlage der Ergebnisse der Evaluation erneut entschieden.


Darüber hinaus sind sie der Auffassung, daß eine Zuständigkeit des überörtlichen Trägers auch für die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für den Personenkreis des ambulant begleiteten Wohnens von der gesetzlichen Ermächtigung im Ausführungsgesetz zum BSHG nicht gedeckt ist. Die überörtliche Wahrung der Hilfe zum Lebensunterhalt bei den betroffenen Personengruppen sei nicht geboten, da die örtliche Ebene die entsprechende Hilfe zum Lebensunterhalt auch für Menschen mit Behinderunen - wie bisher - sachgerecht wahrnehmen kann.

Tatsächlich würde eine Zuständigkeit der Landschaftsverbände als überörtliche Träger der Soziahilfe nur zu einer Verlagerung von Schnittstellen führen. Denn ein großer Teil der Menschen mit Behinderungen erhalten nach dem Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes seit dem 01.01.2003 entsprechende Leistungen durch die Grundsicherungsträger, d.h. die Kreise und kreisfreien Städte. Allenfalls noch ein Teil der Sicherung des Lebensunterhaltes erfolgt über die Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Landschaftsverbände müssten zur Bearbeitung der Hilfe zum Lebensunterhalt entsprechendes Personal aufstocken bzw. zumindest – sofern ihrerseits eine Delegation in Frage kommt bzw. sich sogar aus Kostengesichtspunkten als notwendig erweist – eine entsprechende Stelle zur Bearbeitung von Widerspruchsverfahren vorhalten. Hinzu kommt, dass eine neue Schnittstelle zwischen Menschen mit Behinderungen, die noch in ihrer Herkunftsfamilie leben und Menschen mit Behinderungen, die außerhalb ihrer Herkunftsfamilien in ambulanten betreuten Wohnformen leben, entsteht. Dies führt zu Verwerfungen bei der Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt aufgrund der verbleibenden Zuständigkeiten für die nach wie vor in Kostenträgerschaft der Kreise und kreisfreien Städte stehenden Personengruppen.

Sollte das Land trotz der dargelegten gravierenden rechtlichen Bedenken gleichwohl eine Hochzonung der Hilfe zum Lebensunterhalt für den betreffenden Personenkreis auf die Ebene der überörtlichen Träger der Sozialhilfe vornehmen, fordern LKT NRW und StGB NRW jedenfalls die Einführung einer Interessenquote der örtlichen Träger der Sozialhilfe in Höhe von 50% der Kosten der Hilfe zum Lebensunterhalt. Mit einer hälftigen Kostenbeteiligung der örtlichen Träger der Sozialhilfe könnte der von Region zu Region aufgrund der örtlichen Verhältnisse teilweise unterschiedlichen Praxis bei der Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt (z.B. bei den Unterkunftskosten, die von den örtlichen Marktverhältnissen abhängen) jedenfalls teilweise entsprochen werden. Zumindest z.T. könnte damit einer nivellierenden Wirkung der Bemessung der Hilfe zum Lebensunterhalt, die den regionalen Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung trägt, begegnet werden. Zugleich würde damit ein erhebliches Auseinanderfallen mit der für weitere Bevölkerungsgruppen zu gewährenden Hilfe zum Lebensunterhalt auf der Ebene der örtlichen Träger der Sozialhilfe vermieden.

Az.: III 855

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