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Hauptausschuss 2024
Heft April 2023
Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen
Laut dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht (OVG NRW) bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Säumniszuschlags von einem Prozent für jeden angefangenen Monat nach § 240 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO). Von gegenläufigen Stimmen in der Rechtsprechung grenzt es sich ausdrücklich ab.
OVG NRW, Beschluss vom 29. April 2022
- Az.: 14 B 403/22 -
Die Antragstellerin wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen hat ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs (bzw. ihrer Klage) abgelehnt, was das OVG in höherer Instanz bestätigt hat.
Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von einem Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bestünden - so das OVG - keine Bedenken, und zwar auch nicht gegen die Höhe des Säumniszuschlags von einem Prozent pro angefangenem Monat. Die Antragstellerin verweise ohne Erfolg auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 31. August 2021 - VII B 69/21 (AdV) - und die diesem folgende Rechtsprechung des Finanzgerichts Münster.
Der Senat folge dieser Rechtsprechung nicht. Die vom Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 31. August 2021 anhand des Prüfungsmaßstabs des § 69 der Finanzgerichtsordnung geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO teile der Senat nicht. Der Bundesfinanzhof verweise hierzu auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 - und die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 25. April 2018 - IX B 21/18 -, vom 11. Februar 2020 - VIII B 131/19 -, vom 4. Juli 2019 - VIII B 128/18 - und vom 3. September 2018 - VIII B 15/18 -. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe für Nachforderungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2014 und die Zweifel des Bundesfinanzhofs an der Zinshöhe für Aussetzungszinsen nach § 237 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO begründeten aber keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO, da § 240 Abs. 1 Satz 1 AO über die Verzinsung der rückständigen Steuerforderung hinaus weitergehende Ziele verfolge, die die Höhe des Säumniszuschlags von einem Prozent für jeden angefangenen Monat in jedem Falle rechtfertigten.
Säumniszuschläge seien ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten solle. Darüber hinaus verfolge § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge würden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen. In welchem konkreten Verhältnis diese Zwecke zueinander stehen, lasse sich der Vorschrift des § 240 AO nicht entnehmen. Der Bundesfinanzhof habe in der Vergangenheit aus den Vorschriften über die Stundungs- und Aussetzungszinsen nach §§ 234, 237 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO gefolgert, dass Säumniszuschläge in dem Fall, dass sie wegen Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners ihren Sinn als Druckmittel verloren hatten, nur zur Hälfte zu erlassen seien, weil der Zweck der Gegenleistung bestehen bleibe.
Selbst wenn der (angenommene) Zinsanteil an den Säumniszuschlägen wegen Verfassungswidrigkeit der Regelungen der §§ 234, 237 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geringer zu veranschlagen sein sollte als einem halben Prozent pro Monat (vgl. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO), würde dies indes nicht zu einer Verfassungswidrigkeit des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO führen. Denn ein Säumniszuschlag von einem Prozent für jeden angefangenen Monat der Säumnis wäre auch allein zur Erzwingung der rechtzeitigen Zahlung der fälligen Steuer und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich unbedenklich. Unbilligen Härten im Einzelfall, zum Beispiel bei Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners, was die Funktion von Säumniszuschlägen als Druckmittel entfallen lassen könnte, könne durch (Teil-) Erlass nach § 227 AO begegnet werden.
Ausweisung einer Bewohnerparkzone
Die Ausweisung der Bewohnerparkzone „Pauliviertel“ in Köln ist nach Entscheidung des VG Köln rechtswidrig erfolgt. Das VG hat den Eilanträgen von drei in Köln-Braunsfeld arbeitenden Berufspendlern stattgegeben.
VG Köln, Beschluss vom 2. November 2022
- Az.: 18 L 1522/22 -
Im September 2022 hatte die Stadt Köln im Stadtteil Braunsfeld die Bewohnerparkzone „Pauliviertel“ eingerichtet und damit das dortige Parken auf öffentlichen Stellplätzen der Parkraumbewirtschaftung unterworfen. Einzig Inhaber von Bewohnerparkausweisen müssen keine Parkgebühren zahlen. Der etwa 350.000 Quadratmeter große Bereich wird nicht nur zum Wohnen, sondern in nicht unerheblichem Umfang auch gewerblich genutzt.
Die außerhalb Kölns wohnenden Antragsteller arbeiten in einem nahe der Bewohnerparkzone gelegenen Betrieb. Vor Gericht haben sie geltend gemacht, aufgrund ihrer Arbeitszeiten könnten sie ihren Arbeitsplatz nur mit dem Auto erreichen. Sie müssten nun erhebliche Parkgebühren zahlen. Die Ausweisung der Parkzone sei rechtswidrig erfolgt. Insbesondere habe die Stadt Köln die dortige Parkauslastung nur unzureichend ermittelt.
Dem ist das Gericht im Eilverfahren im Wesentlichen gefolgt. Die Stadt Köln habe nicht hinreichend belegt, dass in der gesamten bewirtschafteten Zone für Bewohner ein erheblicher Parkraummangel besteht. Sie habe bei einer Parkraumerhebung im Jahr 2018 die Zahl geparkter Fahrzeuge nur an einem einzelnen Werktag ermittelt. Diese vereinzelt gebliebene Stichprobe sei mit Blick auf die Größe der Parkzone und die verschiedenen Nutzungen in dem Gebiet (Gewerbe, Wohnen), die je nach Tageszeit einen unterschiedlichen Parkplatzbedarf zur Folge haben, nicht verallgemeinerungsfähig. Auch habe die Stadt bei der Parkraumerhebung nicht die Zahl der gebietsfremden abgestellten Fahrzeuge erfasst. Ihre Schlussfolgerung, die Zahl der im Pauliviertel zugelassenen Kraftfahrzeuge übersteige die Zahl der knapp 1.000 öffentlichen Stellplätze deutlich, so dass von erheblichem Parkraummangel auszugehen sei, sei nicht hinreichend belastbar. Denn die Stadt habe die Zahl der privaten Stellplätze, die von den Bewohnern vorrangig zu nutzen sind, nicht ermittelt. Schließlich habe die Stadt die Auslastung nicht an einem ebenfalls der Parkscheinpflicht unterworfenen Samstag ermittelt, der erfahrungsgemäß ebenfalls anderes Verkehrsverhalten mit sich bringen kann.
Weitere Anträge zweier Unternehmen, die Eigentümer sowie Pächter eines gewerblich genutzten, außerhalb der Bewohnerparkzone gelegenen Grundstücks sind, hat das Verwaltungsgericht hingegen als unzulässig abgelehnt. Es sei nicht ersichtlich, dass die Ausweisung der Bewohnerparkzone die Gesellschaften in deren Rechten verletzen könne.
Gegen den Beschluss können die Beteiligten Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden würde. Durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln verlieren die verkehrsrechtlichen Anordnungen der Bewohnerparkzone „Pauliviertel“ im Übrigen nicht gegenüber jedermann ihre Wirkung. Die festgestellte Rechtswidrigkeit wirkt sich lediglich gegenüber den obsiegenden Antragstellern aus.
Sondernutzungsgebühren für E-Scooter
Die von der Stadt Köln festgesetzten Sondernutzungsgebühren für den Betrieb von gewerblichen Verleihsystemen für E-Scooter sind nach Auffassung des VG Köln rechtmäßig. Das Gericht hat damit die Klagen von vier E-Scooter-Betreibern abgewiesen. Einen in diesem Zusammenhang gestellten Eilantrag hat das Gericht ebenfalls abgelehnt.
VG Köln, Urteile vom 11. Januar 2023
- Az.: 21 K 4871/22, 21 K 4874/22, 21 K 4923/22, 21 K 5019/22, 21 L 1439/22 -
Der Rat der Stadt Köln änderte im Mai 2022 die örtliche Sondernutzungssatzung und erließ neue Gebührentarife. Danach können Betreiber von E-Scooter-Verleihsystemen mit Gebühren von 85 bis 130 Euro pro Fahrzeug und Jahr belegt werden. Auf Grundlage der so geänderten Satzung setzte die Stadt Köln Ende Juli 2022 gegen die im Stadtgebiet aktiven Verleiher Gebühren in Höhe von bis zu 450.000 Euro fest. Sie begründete dies unter anderem damit, dass von ordnungswidrig auf Fuß- und Radwegen abgestellten E-Scootern erhebliche Beeinträchtigungen für die Allgemeinheit ausgingen.
Gegen die Gebührenbescheide erhoben die E-Scooter-Verleiher Bolt, LimeBike, TIER und VOI Ende August 2022 jeweils Klage beim Verwaltungsgericht Köln. TIER stellte zudem einen Eilantrag. Die Betreiber machen geltend, dass die Gebühren praktisch dazu führten, das Angebot von E-Scootern im Stadtgebiet zu verhindern. Dies widerspreche dem Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz (FaNaG NRW). Zudem seien die Gebühren unverhältnismäßig hoch im Vergleich zu denen für Leihfahrräder und Carsharing-Angebote.
Dem ist das Gericht nicht gefolgt. Die Gebühren trügen dem Umstand Rechnung, dass es infolge der Verleihsysteme der Klägerinnen immer wieder zu Behinderungen auf Fuß- und Radwegen durch nicht ordnungsgemäß abgestellte oder umgefallene E-Scooter komme. Ähnliches komme in Bezug auf Leihfahrräder seltener vor. Zudem leisteten sowohl Bike- als auch Carsharing-Angebote einen größeren Beitrag zur Reduzierung des individuellen Autoverkehrs als E-Scooter. Die Gebühren führten auch nicht dazu, dass jegliche Form des E-Scooter-Verleihs unwirtschaftlich werde. Das FaNaG NRW bezwecke nicht den Schutz des spezifischen Geschäftsmodells der Klägerinnen.
Gegen die Urteile steht den Beteiligten die Berufung und gegen den Eilbeschluss die Beschwerde zu, über die jeweils das OVG NRW entscheiden würde.