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Hauptausschuss 2024
Heft Dezember 2010
Verfassungsbeschwerde gegen finanzielle Folgen des KiföG
Die Regelung über die Zuständigkeit von Kreisen und kreisfreien Städten für Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe - darunter die Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege - ist mit der Landesverfassung nicht vereinbar. Die einschlägige Bestimmung im nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz verletzt das Recht auf kommunale Selbstverwaltung.
VerfGH NRW, Urteil vom 12. Oktober 2010
- Az.: VerfGH 12/09 -
Der Verfassungsgerichtshof NRW hat damit den Verfassungsbeschwerden von 17 kreisfreien Städten (Bielefeld, Bochum, Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Gelsenkirchen, Herne, Köln, Krefeld, Leverkusen, Mönchengladbach, Mülheim a.d.R., Münster, Oberhausen, Remscheid, Solingen, Wuppertal) und von zwei Kreisen (Düren, Wesel) stattgegeben.
Die beanstandete Regelung verstoße gegen das landesverfassungsrechtlich verankerte Konnexitätsprinzip. Dieses Prinzip verpflichte den Landesgesetzgeber bei der Übertragung neuer oder der Veränderung bestehender kommunaler Aufgaben, gleichzeitig einen finanziellen Ausgleich für die entstehenden notwendigen, durchschnittlichen Ausgaben zu schaffen. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Konnexitätsprinzips lägen hier vor. Die mit der angegriffenen Zuständigkeitsnorm bewirkte Aufgabenzuweisung in Kinder- und Jugendhilfeangelegenheiten sei eine Übertragung neuer Aufgaben, weil die Kreise und kreisfreien Städte erstmals durch eine landesgesetzliche Regelung zur Übernahme und Durchführung von Aufgaben in diesem Bereich verpflichtet worden seien.
Darüber hinaus handele es sich auch um den Fall einer konnexitätsrelevanten Veränderung bestehender Aufgaben. Im Zuge des Kinderförderungsgesetzes (KiföG), das den Landesgesetzgeber zu der Zuständigkeitsregelung veranlasst habe, ergäben sich für die Kreise und kreisfreien Städte signifikante Änderungen bei der kommunalen Aufgabenwahrnehmung. Insbesondere hätten sich die Vorgaben für den quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung erheblich erhöht. Die Änderungen führten zu einer wesentlichen finanziellen Belastung der Kreise und kreisfreien Städte. Die vor diesem Hintergrund erforderliche Bestimmung über die Deckung der mit der Aufgabenübertragung verbundenen kommunalen Kosten habe der Gesetzgeber nicht getroffen.
Die Verfassungsbeschwerden der kreisangehörigen Städte Herford, Hürth, Minden und Neuss hat der Verfassungsgerichtshof als unzulässig verworfen.
Mitgliedschaft in kommunaler Dienstleistungs-Gesellschaft
Die Gemeinde Schermbeck darf in der Kommunalen Dienstleistungsgesellschaft (KDG) verbleiben. Eine entgegenstehende Verfügung der Bezirksregierung Münster, mit der die Gemeinde aufgefordert worden war, aus der Dienstleistungsgesellschaft auszutreten, ist rechtswidrig (nichtamtliche Leitsätze).
OVG NRW, Urteil vom 26. Oktober 2010
- Az.: 15 A 440/08 -
Die Kommunale Dienstleistungsgesellschaft (KDG) war im Jahr 2002 von den Gemeinden Heiden, Raesfeld, Reken und Südlohn als privatrechtliche Gesellschaft für den kostengünstigeren Einkauf von Waren und Dienstleistungen gegründet worden. Die Gemeinde Schermbeck trat der KDG im Jahr 2006 bei. Dafür gab es nach Ansicht der Bezirksregierung in der Gemeindeordnung NRW keine Rechtsgrundlage. Einrichtungen, die - wie hier - ausschließlich der Deckung des Eigenbedarfs von Gemeinden dienten, dürften nach der gesetzlichen Konstruktion nicht als privatrechtliche Gesellschaften betrieben werden, da die Gemeinden auf solche Gesellschaften nicht den nach dem Demokratieprinzip erforderlichen Einfluss ausüben könnten.
Der erkennende Senat sah in dem Beitritt der Gemeinde Schermbeck zur KDG keinen Verstoß gegen Kommunalrecht. Eine solche Beteiligung sei vielmehr auch verfassungsrechtlich geschützt. Ein hinreichender Grund, im Rahmen der Eigenbedarfsdeckung eine privatrechtliche Organisationsform nicht zuzulassen, sei nicht ersichtlich. Insbesondere aus dem Demokratieprinzip, zu dem auch der Einfluss der gemeindlichen Vertretungskörperschaft gehöre, lasse sich das von der Bezirksregierung angenommene Beteiligungsverbot nicht rechtfertigen.
Dem Demokratieprinzip komme dann besondere Bedeutung zu, wenn gemeindliche Einrichtungen mit Außenwirkung gegenüber dem Bürger agierten, namentlich etwa im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge. Dort solle aber nach der Konzeption des Gesetzgebers die Gemeinde grundsätzlich frei sein, Einrichtungen auch in Privatrechtsform zu betreiben oder sich an solchen zu beteiligen. Warum das Demokratieprinzip dann aber umgekehrt einen besonders effektiven Einfluss der Vertretungskörperschaft fordern solle, wenn die Einrichtung unmittelbar nur verwaltungsinterne Vorgänge betreffe, sei nicht erkennbar.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Erhöhte Hundesteuer für Rottweiler
Der Satzungsgeber darf von einer abstrakten Gefährlichkeit des Hundetyps Rottweiler ausgehen (nichtamtlicher Leitsatz).
OVG NRW, Urteil vom 19. Oktober 2010
- Az.: 14 A 1847/09 u.a. -
Die in Issum und Oer-Erkenschwick wohnenden Kläger hatten sich als Hundehalter gegen die erhöhte Besteuerung ihrer Rottweiler nach der jeweiligen kommunalen Hundesteuersatzung gewandt. Zur Begründung seiner Entscheidungen hat das OVG im Wesentlichen ausgeführt: Der Satzungsgeber habe von einer abstrakten Gefährlichkeit des Hundetyps Rottweiler ausgehen dürfen. Angesichts des in NRW vorhandenen statistischen Materials über Beißvorfälle hätten die betreffenden Gemeinden auch von einer höheren Besteuerung der Hunderassen Schäferhund und Dobermann absehen dürfen, obwohl der Rottweiler ebenfalls zu den gängigen Gebrauchshunderassen zähle. Die vorstehenden Überlegungen rechtfertigten aus Lenkungszwecken eine erhöhte Besteuerung, um den Bestand von Rottweilern im Gemeindegebiet zu verringern.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht möglich.
Krematorium im Gewerbegebiet
Ein Krematorium mit einem Abschiedsraum für Trauergäste kann als Anlage für kulturelle Zwecke in einem Gewerbegebiet ausnahmsweise zulässig sein.
OVG NRW, Urteil vom 25. Oktober 2010
- Az.: 7 A 1298/09 -
Die Bauaufsichtsbehörde hatte einem privaten Betreiber von Feuerbestattungsanlagen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines mit einem Abschiedsraum für Trauergäste ausgestatteten Krematoriums in einem Gewerbegebiet erteilt. Der Eigentümer eines gewerblich genutzten Grundstücks in diesem Gewerbegebiet hatte sich gegen das Vorhaben mit der Begründung gewandt, es verletze seinen Anspruch auf Gewährleistung des Gebietscharakters.
Der Senat hat die auf Aufhebung der Baugenehmigung gerichtete Klage abgewiesen: Das im Verfahren in Streit stehende Krematorium stelle eine nach der Baunutzungsverordnung in einem Gewerbegebiet ausnahmsweise zulässige Anlage für kulturelle Zwecke dar. Trotz der mit seinem Betrieb verbundenen Gewinnerzielungsabsicht diene das Krematorium dem Gemeinbedarf, weil die Gemeinden die Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Bestattungswesen zu gewährleisten hätten.
Der Kulturbegriff der Baunutzungsverordnung sei nicht auf die Bereiche der Kunst, Wissenschaft und Bildung beschränkt. Er umfasse auch die Einäscherung Verstorbener als Teil der Totenbestattung. Im konkreten Fall sei das Krematorium mit der werktäglichen Geschäftigkeit des betroffenen Gewerbegebiets verträglich, weil sich die Anlage in einer Randlage befinde, ihre Zufahrt nicht durch das Gewerbegebiet führe und die den Trauergästen dienenden Bereiche gegen das Gewerbegebiet abgeschirmt seien.
Der Senat hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.