Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Heft Juli-August 2010
Verfassungsbeschwerden gegen Verteilung der Finanzzuweisung
Der Verteilungsschlüssel für Finanzzuweisungen, die das Land Nordrhein-Westfalen den Kreisen und kreisfreien Städten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (sog. Hartz IV-Gesetz) gewährt, ist mit der Landesverfassung nicht vereinbar. Die einschlägige Regelung im nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetz verletzt das Recht auf kommunale Selbstverwaltung (nichtamtliche Leitsätze).
VGH NRW, Urteil vom 26. Mai 2010
- Az.: VerfGH 17/08 -
Der Verfassungsgerichtshof NRW hat durch das Urteil den Verfassungsbeschwerden von vier Städten (Aachen, Essen, Remscheid, Wuppertal), fünf Kreisen (Düren, Euskirchen, Heinsberg, Unna, Rhein-Erft-Kreis) und der StädteRegion Aachen stattgegeben. In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Dr. Bertrams hierzu u. a. aus:
Die angegriffene Regelung verstoße gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot. Das dem Verteilungsschlüssel zugrundeliegende Datenmaterial sei aufgrund von Plausibilitätsmängeln und teils fehlerhaften Daten nicht hinreichend valide. Dies lasse besorgen, dass einige Kreise und kreisfreie Städte höhere Finanzzuweisungen erhielten, als ihnen auf Basis valider Daten zustünden, während die Zuweisungen für andere Kommunen infolge des unzureichenden Datenmaterials zu gering ausfielen. Entscheide sich der Landesgesetzgeber wie hier, den Berechnungsgrundlagen für ein Verteilungssystem zur Zuweisung von Landesmitteln Gesetzeskraft zu verleihen, unterliege er in Bezug auf die Validität der Daten besonderen Sorgfaltsanforderungen. Er sei daher angesichts deutlicher Kritik an den maßgeblichen Daten seitens der kommunalen Spitzenverbände im Gesetzgebungsverfahren gehalten gewesen, das Datenmaterial anhand der verfügbaren amtlichen Sozialhilfe- und Jahresrechnungsstatistiken zu überprüfen.
Kommunalisierung von Versorgungs- und Umweltverwaltung
Der im Zusammenhang mit der Kommunalisierung der Versorgungs- und Umweltverwaltung jeweils vorgesehene Belastungsausgleich wird den Anforderungen des Konnexitätsprinzips bei Aufgabenübertragungen an die Kommunen noch gerecht (nichtamtlicher Leitsatz).
VGH NRW, Urteile vom 23. März 2010
- Az.: VerfGH 19/08, 21/08, 28/08 und 29/08 -
Der Verfassungsgerichtshof NRW hat mit den Urteilen kommunale Verfassungsbeschwerden von 19 Städten und zwei Kreisen gegen die Kommunalisierung von Aufgaben des Umweltrechts sowie von 21 Städten, zwei Kreisen und den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe gegen die Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführer hatten sich nicht gegen die jeweiligen Aufgabenübertragungen als solche gewandt. Sie sahen sich vielmehr in ihrer Finanzhoheit verletzt, weil sie die mit der neuen Aufgabenverteilung verbundene Kostenzuweisung für unzureichend hielten. Städte und Landschaftsverbände machten ergänzend geltend, der Gesetzgeber habe die Bestimmungen zur Überleitung von Beamten auf die neuen Aufgabenträger kompetenzwidrig und im Widerspruch zum Bundesrecht erlassen.
Dem ist der Verfassungsgerichtshof NRW nicht gefolgt. Das Konnexitätsprinzip verpflichte den Gesetzgeber bei Aufgabenübertragungen an die Kommunen, einen finanziellen Ausgleich für die entstehenden notwendigen, durchschnittlichen Ausgaben zu schaffen. Hierfür müsse er sich über die finanziellen Auswirkungen der gesetzlichen Regelung auf die Gemeinden klar werden und seine Entscheidungsgrundlagen, insbesondere zum Schutz der Kommunen, transparent machen. Dabei sei er an die zentralen von ihm selbst gesetzten Maßstäbe des Ausführungsgesetzes gebunden. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle sei aber auf die Frage beschränkt, ob der Gesetzgeber seine verfassungsrechtliche Bindung an das Ausführungsgesetz verkannt habe.
Der vorgesehene Belastungsausgleich werde diesen Anforderungen unter den gegebenen Umständen, unter denen verfassungsrechtliches Neuland über die konkreten Anforderungen des Konnexitätsprinzips betreten worden sei, noch gerecht. Die Kostenfolgeabschätzungen des Gesetzgebers orientierten sich am Konnexitätsausführungsgesetz, ließen die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen ausreichend erkennen und erlaubten eine grobe Nachvollziehbarkeit der Ansätze. Dies genüge derzeit vor allem deshalb verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil der Gesetzgeber kurzfristig zu einer Überprüfung seiner Ansätze und gegebenenfalls zur Selbstkorrektur verpflichtet sei. Künftig sei der Gesetzgeber bei Aufgabenübertragungen jedoch gehalten, die Grundannahmen und Berechnungen seiner Kostenprognose nicht nur grob, sondern im Einzelnen nachvollziehbar offen zu legen und auf diese Weise einen konsensorientierten partnerschaftlichen Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden zu ermöglichen.
Die landesgesetzlichen Regelungen zur Zuordnung von Beamten auf kommunale Aufgabenträger im Zuge der Aufgabenübertragungen hielten sich im Rahmen der Gesetzgebungskompetenz des Landes zur Einrichtung von Behörden bzw. zum kommunalen Organisationsrecht, weil die Rechtsstellung der übergehenden Beamten gewahrt bleibe und in angemessener Frist von höchstens sechs Monaten bestimmt werde, von welchen Körperschaften die einzelnen Beamten zu übernehmen seien.
Eintrittskarten für Tanzveranstaltung wegen Vergnügungssteuer
Die Verpflichtung zur Ausgabe von Eintrittskarten für eine Tanzveranstaltung in einer Vergnügungssteuersatzung ist durch § 3 Abs. 1 Satz 1 KAG NRW gedeckt. Gibt ein Veranstalter entgegen dieser Verpflichtung keine Eintrittskarten aus, darf die Zahl der Besucher unter Berücksichtigung, dass die Mitwirkungsverweigerung nicht prämiiert werden darf, geschätzt werden. Es ist dann keine Pauschsteuer nach der Raumgröße zu erheben.
OVG NRW, Beschluss vom 25. März 2010
- Az.: 14 A 319/10 -
Die Klägerin beabsichtigte am 06.06.2009 eine Party in S. durchzuführen. Der Beklagte wies auf die Vergnügungssteuerpflicht hin; die Veranstaltung müsse angemeldet werden und die auszugebenden Eintrittskarten seien vorzulegen. Die Klägerin gab an, es sei beabsichtigt, einen Kostenbeitrag je Teilnehmer von 10,00 Euro zu erheben. Die Veranstaltung wurde von Mitarbeitern des Beklagten aufgesucht. Nachdem die Klägerin keine Abrechnung über die Besteuerungsgrundlagen vorgelegt hat, zog der Beklagte sie zu einer Vergnügungssteuer in Höhe von 800,00 Euro und einem Verspätungszuschlag in Höhe von 80,00 Euro heran.
Widerspruch, Klage und ein Antrag auf Zulassung der Berufung hatten keinen Erfolg. Das Vorbringen, der Steuerbescheid sei nichtig, weil ein Hinweis auf die Art der festgesetzten Vergnügungssteuer als Karten- oder als Pauschsteuer fehle, greift nicht durch. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i. V. m. § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler mangelt und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ein solcher Mangel liegt nicht deshalb vor, weil der Bescheid zu unbestimmt wäre. Das VG hat zutreffend ausgeführt, dass aus dem Steuerbescheid hinreichend deutlich wird, dass und wofür eine Vergnügungssteuer festgesetzt wurde. Demgegenüber sind die für die Berechnung der Steuer erheblichen Daten (hier Kartensteuer oder Pauschsteuer) nur Teil der Begründung des Bescheides, die, selbst wenn sie mangelhaft ist, nicht zur Rechtswidrigkeit oder gar Nichtigkeit des Bescheides führt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich auch nicht daraus, dass das VG die Erhebung der Vergnügungssteuer als Kartensteuer im vorliegenden Fall gebilligt hat. Gemäß der Vergnügungssteuersatzung ist der Veranstalter verpflichtet, Eintrittskarten auszugeben, wenn für eine Veranstaltung ein Eintrittsgeld erhoben wird. Nach der Satzung wird die Kartensteuer nach dem Preis der Karte und der Zahl der ausgegebenen Eintrittskarten berechnet. Sie ist nach dem Entgelt zu berechnen, wenn dieses höher als der Preis der Karte ist. Da die Klägerin entgegen den Satzungsregelungen keine Eintrittskarten ausgegeben hat, war hiernach das Entgelt für die Berechnung der Kartensteuer maßgebend. Die Satzungsregelungen erlauben es der Klägerin nicht, allein durch den satzungswidrigen Verzicht auf die Ausgabe von Eintrittskarten zu einer für sie günstigeren Pauschsteuer auf der Basis der Größe des benutzten Raumes zu gelangen, da dies nur für Tanzveranstaltungen vorgesehen ist, wenn kein Eintrittsgeld erhoben wird. Das war hier nicht der Fall.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die satzungsrechtliche Verpflichtung, Eintrittskarten auszugeben, wirksam. Richtig ist, dass eine solche in die Rechte des Einzelnen eingreifende und hier sogar bußgeldbewehrte Regelung einer Ermächtigungsgrundlage bedarf und dass die allgemeine gemeindliche Satzungsermächtigung in § 7 Abs. 1 GO NRW für eine solche Eingriffsregelung nicht ausreicht. Mit dieser Generalermächtigung ist keine Ermächtigung verbunden, Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Sphäre des Bürgers durch oder aufgrund von Satzungen zu regeln.
Jedoch ergibt sich die Ermächtigung aus § 3 Abs. 1 Satz 1 KAG, wonach die Gemeinden Steuern erheben können. Diese Ermächtigung deckt nicht nur die steuerrechtliche Regelung im engeren Sinne der Festlegung des Steuertatbestandes, des Steuermaßstabs und des Steuersatzes, sondern auch Regelungen zur Sicherung der Abgabenerhebung, insbesondere zur Anmeldung und Anzeige von Tatsachen, zur Führung von Aufzeichnungen oder Nachweisen, zur Kennzeichnung oder Vorlegung von Gegenständen oder zur Erhebung und Abführung von Abgaben.
Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist auch nicht deshalb ernstlich zweifelhaft, weil das VG die geschätzte Anzahl der zahlenden Gäste mit 400 Personen gebilligt hat (wird ausgeführt). Eine Ungleichbehandlung ist auch nicht darin zu sehen, dass nicht alle Tanzveranstaltungen besteuert werden, sondern nur solche gewerblicher Art. Der Satzungsgeber ist nicht verpflichtet, jede Vergnügung, die vergnügungssteuerrechtlich erfasst werden kann, auch der Steuer zu unterwerfen. Vielmehr steht es in seinem satzungsrechtlichen Ermessen, welchen Aufwand er einer Steuererhebung unterwerfen will.
Zu der Behauptung, die Steuer habe erdrosselnde Wirkung, weil sie verhindere, den Beruf des Veranstalters von Tanzvergnügungen zur wirtschaftlichen Grundlage der Lebensführung zu machen, fehlt eine substanziierende Darstellung. Die Höhe des Steuersatzes von 20 % des Entgelts liegt im Rahmen des Üblichen und entspricht dem allgemeinen Steuersatz, der nach § 9 des früheren VStG NRW für entsprechende Veranstaltungen festzusetzen war. Hierauf hat das VG in der angefochten Entscheidung hingewiesen. Soweit die Klägerin den Verspätungszuschlag anspricht, fehlt eine Darlegung, weshalb dieser hier rechtswidrig erhoben worden sein soll.