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Heft Juli-August 2012
Verfassungsbeschwerden gegen Einheitslasten-Abrechnungsgesetz
Das Einheitslastenabrechnungsgesetz NRW vom 9. Februar 2010 wird der bundesrechtlich vorgesehenen Finanzierungsbeteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände an den finanziellen Belastungen des Landes in Folge der Deutschen Einheit nicht gerecht und verletzt das Recht auf kommunale Selbstverwaltung (nichtamtlicher Leitsatz).
VerfGH NRW, Urteil vom 8. Mai 2012
- Az.: VerfGH 2/11 -
Der Verfassungsgerichtshof hat damit den Verfassungsbeschwerden von 91 Städten und Gemeinden stattgegeben. Nach dem Gemeindefinanzreformgesetz des Bundes sind die Gemeinden bis zum Jahr 2019 zu rund 40 v. H. an den finanziellen Belastungen zu beteiligen, die sich für das jeweilige Land aus der seit 1995 erfolgenden Einbeziehung der neuen Länder und Berlins in den bundesstaatlichen Finanzausgleich ergeben. Die - immer schwieriger werdende - Bestimmung der Höhe dieser Landesbelastungen hat der Landesgesetzgeber im Einheitslastenabrechnungsgesetz NRW für die Jahre 2007 bis 2019 neu geregelt. Hiergegen wandten sich die Beschwerdeführerinnen. Sie machten geltend, die veränderte Berechnungsweise führe zu überhöhten Werten und verletze deshalb die kommunale Finanzausstattungsgarantie. Dem ist der Verfassungsgerichtshof im Ergebnis gefolgt.
Die neue Einheitslastendefinition des Einheitslastenabrechnungsgesetzes verletze die kommunale Finanzausstattungsgarantie, weil den Kommunen dadurch Mittel vorenthalten würden, die ihnen kraft Bundesrechts zustünden. Die Finanzierungsbeteiligung der Gemeinden an den Lasten der Deutschen Einheit beziehe sich nach dem Gemeindefinanzreformgesetz des Bundes - neben den verbleibenden Belastungen der Länder im Zusammenhang mit dem „Fonds Deutsche Einheit” - auf die Belastungen, die den alten Ländern aus der Einbeziehung der neuen Länder und des Landes Berlin in den bundesstaatlichen Finanzausgleich entstünden.
Der bundesstaatliche Finanzausgleich umfasse gemäß Art. 106, 107 Grundgesetz im Wesentlichen vier Stufen (vertikale Verteilung des Steueraufkommens auf den Bund und die Gesamtheit der Länder, horizontale Aufteilung des auf die Länder entfallenden Steueraufkommens einschließlich des so genannten Umsatzsteuervorwegausgleichs, Länderfinanzausgleich im engen Sinne, Bundesergänzungszuweisungen). Auf allen diesen Stufen sei es im Jahr 1995 zu Veränderungen gekommen. Bestandteil der Neuordnung sei die Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder von zuvor 37 auf 44 Prozentpunkte gewesen. Diese Rechtsänderung auf der ersten Stufe des Finanzausgleichs senke die Einheitslast der Länder und müsse auch den Kommunen im Verhältnis ihrer prozentualen Beteiligung zugute kommen. Das Einheitslastenabrechnungsgesetz werde dem insoweit nicht gerecht, als es sich auf eine Quantifizierung der jährlichen einheitsbedingten Mehrbelastung des Landes im Länderfinanzausgleich im engen Sinne beschränke.
Haftung für unzureichend verankertes Fußballtor
Eine Gemeinde ist als Betreiberin eines Bolzplatzes verpflichtet, dort befindliche Fußballtore ausreichend gegen Umkippen zu sichern. Geschieht dies nicht und verletzt sich durch das Umkippen eines Tores ein Kind beim Spielen, so ist die Gemeinde zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verpflichtet (nichtamtliche Leitsätze).
Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 25. Oktober 2011
- Az.: 11 U 71/10 -
Die Klägerin, ein dreijähriges Mädchen, wurde auf dem Bolzplatz der beklagten Gemeinde durch ein umkippendes Fußballtor verletzt und erlitt einen Oberschenkelbruch. Der zehnjährige Bruder des Mädchens hatte sich an die Latte des Tores gehängt, das zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichend verankert war und deshalb umkippte. In der Vergangenheit hatten Jugendliche regelmäßig die Kippsicherungen der mobilen Fußballtore aus dem Erdreich entfernt, um die Tore zu versetzen. Die Gemeinde hatte zunächst zusätzliche Sicherungen angebracht, die aber auch von den Jugendlichen entfernt wurden. Nach dem Unfall verankerte die Gemeinde die Fußballtore dauerhaft durch eine Betonschüttung.
Die Klägerin hat gegenüber der Gemeinde einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Gemeinde hatte als Betreiberin des Bolzplatzes ihre Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt, indem sie das Tor nicht ausreichend gegen Umkippen gesichert hat. Die Fußballtore wurden regelmäßig, insbesondere nach den Wochenenden, in einem ungesicherten Zustand von einem Gemeindemitarbeiter vorgefunden und mussten regelmäßig neu verankert werden. Nach der Erkenntnis, dass auch die Zusatzsicherungen von den Jugendlichen wieder entfernt wurden, hätte die Gemeinde eine dauerhafte Sicherung der Tore veranlassen müssen, wie sie es nach dem Unfall getan hat. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Maßnahmen, die nach dem Unfall ergriffen wurden, nicht auch bereits vor dem Unfall hätten umgesetzt werden können.
Nachtfluglärm am Flughafen Köln/Bonn
Das Oberverwaltungsgericht für das Land NRW hat Klagen zweier Nachbargemeinden und eines Anwohners, die im Ergebnis auf eine Verschärfung der Nachtflugbeschränkungen am Verkehrsflughafen Köln/Bonn gerichtet waren, abgewiesen (nichtamtliche Leitsätze).
OVG NRW, Urteile vom 19. April 2012
-Az.: 20 D 7/08.AK, 20 D 117/08.AK, 20 D 121/08.AK und 20 D 19/09.AK-
Der Betrieb des Flughafens Köln/Bonn geht zurück auf zwei in den Jahren 1959 und 1961 erteilte Genehmigungen, die keinerlei Betriebsbeschränkungen hinsichtlich nächtlicher Flugbewegungen vorsehen. In der Folgezeit erließ das beklagte Land zur Verminderung der Lärmbelastung der Umgebung des Flughafens mehrfach jeweils zeitlich befristete Beschränkungen für den Nachtflugverkehr. So wurden mit Bescheid aus 1997 für bestimmte Flugzeugtypen detaillierte, im Wesentlichen die Nachtzeit von 22.00 bis 6.00 Uhr betreffende Flugbeschränkungen verfügt und Regelungen zur Überprüfung der Wirksamkeit der angeordneten Lärmschutzmaßnahmen festgelegt. Die Wirksamkeit dieses Bescheides wurde auf die Zeit bis 2015 befristet. Auf Antrag des Flughafens verlängerte das Land diese Nachtflugregelungen mit Bescheid vom 7. Februar 2008 bis 2030.
Die auf Aufhebung dieser Verlängerung der Nachtflugregelungen gerichteten (Anfechtungs-)Klagen einer Nachbargemeinde und eines Anwohners blieben ohne Erfolg. Zur Begründung hat der 20. Senat ausgeführt: Die Klagen seien unzulässig, weil die Rechtsstellung der Kläger bei einem Erfolg der Klagen verschlechtert werde. Denn eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides habe zur Folge, dass am Flughafen ab dem 1. November 2015 auf der Grundlage der dann wieder unbeschränkt geltenden Genehmigungen aus den Jahren 1959 und 1961 ein Nachtflugbetrieb ohne jede Einschränkungen genehmigt wäre. Zudem fehle es den Klägern auch an der Klagebefugnis. Ihre Rechte seien offensichtlich nicht durch den angefochtenen Bescheid verletzt. Die vom Nachtflugverkehr ausgehende Lärmbelastung beruhe weder auf dem angefochtenen Bescheid noch auf dem diesen vorausgegangenen Bescheid aus 1997, sondern ausschließlich auf der ursprünglichen Genehmigungslage.
Die auf eine weitergehende Einschränkung des Nachtflugbetriebs gerichteten (Verpflichtungs-)Klagen zweier Nachbargemeinden blieben ebenfalls ohne Erfolg. Ansprüchen Drittbetroffener auf eine Einschränkung der flugbetrieblichen Benutzung des Flughafens stehe eine gesetzliche Duldungspflicht entgegen. Der Flughafen Köln/Bonn sei wegen einer seit 1999 bestehenden gesetzlichen Fiktion so zu behandeln, als wäre für ihn ein Planfeststellungsbeschluss ergangen. Daher seien Ansprüche auf Unterlassung oder Einschränkung der Benutzung grundsätzlich ausgeschlossen. Etwaige Lärmschutzansprüche seien auf passive Schallschutzmaßnahmen wie etwa bauliche Schalldämmung begrenzt. Ein Anspruch auf Betriebsbeschränkungen komme erst und nur dann in Betracht, wenn passive Schallschutzmaßnahmen nicht ausreichten, um Gefahren für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter zu begegnen. Vom Vorliegen dieser engen Voraussetzungen könne aber nicht ausgegangen werden.
Das OVG hat die Revision gegen die Urteile nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.