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Heft Juli-August 2015
Stärkungspaktgesetz 2011 und 2012 verfassungskonform
Der Verteilungsmaßstab für Konsolidierungshilfen nach dem Stärkungspaktgesetz an pflichtig teilnehmende Gemeinden ist für die Jahre 2011 und 2012 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der Gesetzgeber in dringlicher Lage unter Heranziehung finanzwissenschaftlichen Sachverstandes auf Basis der bestmöglich verfügbaren Datenlage entschieden hat.
VerfGH NRW, Urteil vom 19. Mai 2015
- Az.: VerfGH 24/12 -
Nach dem Stärkungspaktgesetz stellt das Land Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2011 bis 2020 Gemeinden in einer besonders schwierigen Haushaltssituation, die zur Teilnahme am Stärkungspakt Stadtfinanzen verpflichtet sind, Konsolidierungshilfen zur Verfügung. Die pflichtig teilnehmende Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des interkommunalen Gleichbehandlungsgebots durch eine fehlerhafte Verteilung dieser Hilfen in den Jahren 2011 und 2012 auf der Grundlage statistischer Haushaltsdaten der Kommunen, die sich nach Verabschiedung des Gesetzes als fehlerhaft erwiesen haben.
Nach Überprüfung der statistischen Daten, die zur Berechnung der so genannten strukturellen Lücken herangezogen worden waren, bedurfte es bei 25 von 34 pflichtig teilnehmenden Gemeinden einer Korrektur der Konsolidierungshilfe um mehr als 10 %. Der Beschwerdeführerin hätten im Jahr 2012 neben der gesetzlichen Konsolidierungshilfe von 784.777,68 Euro weitere Mittel in Höhe von zusätzlich 2.891.989,66 Euro zugestanden. Nach der Korrektur der Daten hat der Gesetzgeber die Mittelverteilung für die Zeit ab 2013 in einem Änderungsgesetz angepasst.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs verstieß die Mittelverteilung des Stärkungspaktgesetzes in der Fassung bis zum Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 16. Juli 2013 für die Jahre 2011 und 2012 nicht gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot. Zwar liege eine objektive Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin gegenüber anderen Kommunen mit strukturellem Haushaltsdefizit vor. Diese sei jedoch gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber in dringlicher Lage unter Heranziehung finanzwissenschaftlichen Sachverstandes auf Basis der bestmöglich verfügbaren Datenlage entschieden habe.
Schnelles Handeln sei bei Verabschiedung des Gesetzes Ende 2011 besonders deshalb notwendig gewesen, weil die Kreditwürdigkeit notleidender Kommunen in Frage gestellt und deshalb befürchtet worden sei, diese könnten auf dem Finanzmarkt künftig keine Kreditmittel mehr erlangen oder nur noch solche mit erheblichem Risikozinsaufschlag.
Nichtmandatsträger im Sitzungssaal
Die Anwesenheit von Nichtmandatsträgern im Sitzungssaal eines Rates steht in einem regelungsbedürftigen Spannungsverhältnis zum in § 43 Abs. 1 GO NRW geregelten freien Mandat der Ratsmitglieder. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass sich gerade im unmittelbaren Sitzungssaalbereich mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit der freien Mandatsausübung außer den Ratsmitgliedern selbst nur noch die Mitglieder des Verwaltungsvorstandes aufhalten dürfen.
OVG NRW, Beschluss vom 20.11.2014
- Az.: 15 B 1356/14 -
Die Antragstellerin ist Einzelmandatsträgerin im Stadtrat. Sie begehrte, dem Oberbürgermeister der Stadt im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihrem Mitarbeiter während der nächsten Ratssitzung den Zugang zum Ratssitzungssaal zu gestatten. Zur Begründung berief sie sich auf eine im Rat geübte Praxis, aufgrund derer Gruppen und Fraktionen ihre Mitarbeiter in den unmittelbaren Plenarbereich mitnehmen durften. Der Antrag blieb vor dem VG ohne Erfolg. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das OVG zurück.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die Anwesenheit von Nichtmandatsträgern im Sitzungssaal steht in einem Spannungsverhältnis zum in § 43 Abs. 1 GO NRW geregelten freien Mandat der Ratsmitglieder. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass sich gerade im unmittelbaren Sitzungssaalbereich mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit der freien Mandatsausübung außer den Ratsmitgliedern selbst nur noch die Mitglieder des Verwaltungsvorstandes aufhalten dürfen.
Allerdings sind im öffentlichen Interesse liegende Ausnahmen von diesem Grundsatz denkbar (vgl. insoweit etwa die Reglungen in § 3 Abs. 1 der Hausordnung des Deutschen Bundestages oder in § 5 Abs. 1 der Hausordnung des Landtags Nordrhein-Westfalen). Sie bedürfen aber mit Blick auf den Schutzgehalt des § 43 Abs. 1 GO NRW einer eindeutigen Regelung und rechtfertigen sich insbesondere nicht allein aus einer geübten Praxis. Da hier eine Regelung im vorbeschriebenen Sinne auf der Grundlage der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung nicht erkennbar ist, muss der Beschwerde der Erfolg versagt blieben.
Stilllegung einer öffentlichen Entwässerungsstrecke
Die Stilllegung einer öffentlichen Entwässerungsstrecke steht im weiten Organisationsermessen der Gemeinde. Die Frage nach der Unzumutbarkeit von Anschlusskosten ist grundstücksbezogen zu beantworten. Dabei ist maßgeblich darauf abzustellen, ob die Aufwendungen für den herzustellenden Anschluss noch in einem tragbaren Verhältnis zum Verkehrswert des Grundstücks stehen.
OVG NRW, Beschluss vom 17.12.2014
- 15 A 982/14 -
Die Beteiligten stritten um die Rechtmäßigkeit einer Verfügung der Beklagten, mit der der Kläger verpflichtet wurde, den vorhandenen Anschluss seines Grundstücks an die öffentliche Abwasseranlage zu ändern. Das Wohnhaus des Klägers sowie andere Objekte an der A-Straße leiten derzeit das anfallende Abwasser in einen öffentlichen Kanal, der auf dem Grundstück „A-Straße 19“ beginnt, sodann parallel zur Straße hinter und teilweise unter den fraglichen Gebäuden bis zum Grundstück „A-Straße 3“ verläuft, östlich dieses Grundstücks abknickt und über das Grundstück „N-Weg 57“ einen Abwasserkanal im N-Weg erreicht. Zukünftig sollte der Kläger sein Grundstück über den mittlerweile auch vor seinem Grundstück verlegten öffentlichen Abwasserkanal in der A-Straße entwässern.
Die gegen diese Verfügung gerichtete Klage wies das VG mit dem angegriffenen Urteil ab. Die Entscheidung der Beklagten, den Kanal auf dem Hintergelände der in Rede stehenden Grundstücke außer Betrieb zu nehmen und dem Kläger aufzugeben, den Anschluss an den Kanal in der Straße A-Straße herzustellen, sei rechtsfehlerfrei. Es stehe fest, dass für das Grundstück des Klägers zwei öffentliche Entwässerungsleitungen der Beklagten bestünden. Die Absicht der Beklagten, sich von einer dieser Leitungen zu trennen und sie stillzulegen, sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Nach der Entwässerungssatzung entscheide die Beklagte, u. a. auch über die Beseitigung der öffentlichen Abwasseranlage. Hierbei dürfe sie allerdings nicht willkürlich vorgehen. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte dargelegt, dass der Kanal auf dem Hintergelände der betroffenen Grundstücke beträchtliche Schäden aufweise, sodass er saniert werden müsse. Zwar dürfte auch der Kanal im Straßenkörper der A-Straße mittlerweile den Anforderungen, die an Abwasserleitungen zu stellen seien, nicht mehr in jeder Hinsicht gerecht werden. Die Kammer habe allerdings keine Zweifel an der Erkenntnis der Beklagten, wonach eine Sanierung des rückwärtigen Kanals wesentlich dringlicher wäre als Sanierungsarbeiten an dem deutlich jüngeren Kanal im Straßenkörper.
Den gegen das Urteil des VG gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung hat das OVG zurückgewiesen. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen nicht vor. Die Berufung ist schließlich auch nicht etwa deshalb zuzulassen, weil sich der herzustellende (neue) Anschluss an die Abwasseranlage in der A-Straße nach Auffassung des Klägers als unverhältnismäßig teuer erweist. Diesbezüglich führt der Kläger aus: Es sei zu beachten, dass der Beklagten bei einer Tieferlegung des Kanals allenfalls Mehrkosten in Höhe von 60.000 Euro entstanden wären. Diese Kosten stünden in keinem Verhältnis zu den Kosten, die den insgesamt neun Anliegern für den notwendig werdenden Einbau von Abwasserhebeanlagen entstünden. Auch deshalb sei die Entscheidung der Beklagten fehlerhaft.
Dieser Einschätzung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Frage nach der Zumutbarkeit von Anschlusskosten sei nach ständiger Rechtsprechung grundstücksbezogen zu beantworten. Dabei sei maßgeblich darauf abzustellen, ob die Aufwendungen für den herzustellenden Anschluss noch in einem tragbaren Verhältnis zum Verkehrswert des Grundstücks stehen. Dass davon ausgehend dem Kläger unzumutbar hohe Kosten durch den vorzunehmenden Anschluss entstehen, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.