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Hauptausschuss 2024
Heft Juli-August 2017
Rechtsschutz gegen verkaufsoffenen Sonntag
Für die Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen in der Innenstadt einer Großstadt kann eine mehrtägige internationale Leitmesse ein hinreichender Anlass sein.
Die prägende Wirkung einer solchen Messe für den öffentlichen Charakter des Tages lässt sich nicht allein aufgrund einer schematischen Gegenüberstellung der an dem jeweiligen Sonntag zu erwartenden Zahl der Messebesucher einerseits und der allein wegen der Öffnung der Verkaufsstellen zu erwartenden Zahl der Ladenbesucher andererseits beurteilen. (Amtliche Leitsätze)
OVG NRW, Beschluss vom 05.05.2017
- 4 B 520/17 -
Eine im Bereich des Einzelhandels tätige Gewerkschaft wandte sich mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die durch ordnungsbehördliche Verordnung der Stadt Düsseldorf geregelte Freigabe der innerstädtischen Verkaufsstellenöffnung am Sonntag, dem 7. Mai 2017, anlässlich der einwöchigen Verpackungsindustriemesse „Interpack“, die außerhalb der Innenstadt auf dem Messegelände stattfand. Die Antragstellerin rügte das Fehlen eines hinreichenden Anlasses für die sonntägliche Ladenöffnung. Die von der Antragsgegnerin angestellte Prognose der Messebesucherzahlen sei fehlerhaft. Überdies stehe die Ladenöffnung in der Innenstadt nicht in räumlichem Zusammenhang mit dem Messegeschehen. Das VG lehnte den Antrag ab. Die umstrittene Rechtsverordnung sei von der Ermächtigungsgrundlage des § 6 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 LÖG NRW gedeckt.
Auch das OVG wies die Beschwerde der Antragstellerin zurück. Die Einschätzung des Rates, die Messe „Interpack“ stehe gegenüber einer Öffnung der Verkaufsstellen in der Innenstadt im Vordergrund, weshalb die im engen räumlichen Bezug stehende Ladenöffnung als bloßer Annex zur Messe erscheine, sei schlüssig und vertretbar. Ausweislich der Begründung der Beschlussvorlage, die der streitigen Rechtsverordnung zugrunde liegt, ist die „Interpack“ die weltweit bedeutendste Leitmesse der Verpackungsindustrie, erstreckt sich über sämtliche Messehallen und zieht 150.000 Besucher aus aller Welt an.
Dabei wäre die Einschätzung einer prägenden Wirkung der Messe im Ergebnis auch dann gerechtfertigt, wenn man nur die sonntägliche Besucherzahl in den Blick nähme. Entgegen der Auffassung der Gewerkschaft seien neben den Besuchern auch die Aussteller zu berücksichtigen, außerdem eine nicht näher bestimmbare Anzahl von Begleitpersonen. Zudem sei eine bloß schematische Gegenüberstellung der jeweils bei der Messe bzw. in der Stadt ungefähr zu erwartenden absoluten Besucherzahlen am Sonntag unter den vorliegenden Umständen zur Beurteilung der prägenden Wirkung der Messe einerseits oder der Ladenöffnung andererseits allein nicht hinreichend aussagekräftig.
Vor allem hielten sich Messebesucher erfahrungsgemäß über einen ganz erheblichen, zusammenhängenden Teil des Tages gleichzeitig in der Stadt auf, während die Aufenthaltsdauer der Kunden des Einzelhandels und sonstiger Passanten in innerstädtischen Fußgängerzonen typischerweise vielfach kürzer ist. Eine bestimmte Zahl an Messebesuchern präge den öffentlichen Charakter des Tages deshalb stärker als die gleiche Anzahl Passanten. Außerdem trage auch die besondere „Messe-Atmosphäre“ der einwöchigen Messe, die durch zahlreiche Übernachtungsgäste und die vollständige Auslastung der innerstädtischen Hotelbetten gekennzeichnet ist, zu dem verfassungsrechtlich gebotenen Ausnahmecharakter der Ladenöffnung am Messesonntag bei.
Schließlich fehle es auch nicht an einem hinreichenden räumlichen Bezug der Ladenöffnung in der Innenstadt zu dem etwa 6,5 km entfernten Messegelände. Eine internationale Fachmesse wie die „Interpack“ vermöge angesichts der innerstädtischen Hotelbelegung sowie der schnellen öffentlichen Verkehrsverbindungen zum Messegelände in ihrer prägenden Wirkung auf die Innenstadt auszustrahlen. Messehallen und Düsseldorfer City seien aufgrund der spezifischen örtlichen Verhältnisse sozusagen zu einer Einheit verklammert.
Einstweilige Anordnung gegen verkaufsoffenen Sonntag
VG Arnsberg, Beschluss vom 23.05.2017
- 1 L 1446/17 -
Auch das VG Arnsberg hat einen ähnlichen Antrag abgelehnt, durch einstweilige Anordnung vorläufig bis zu einer Entscheidung über die Klage der Antragstellerin in der Hauptsache festzustellen, dass Verkaufsstellen in Witten-Mitte am 28. Mai 2017 im Zuge der Veranstaltung „Himmelfahrtskirmes“ nicht aufgrund von § 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Antragsgegnerin über das Offenhalten von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen geöffnet haben dürfen.
Im zu beurteilenden Einzelfall sei es offenkundig, dass die gesetzlichen Anforderungen des § 6 Abs. 1 LOG NRW an eine anlassgebende Veranstaltung zumindest im Ergebnis eingehalten seien. Es könne bereits im Eilverfahren mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden, dass die Himmelfahrtskirmes für den öffentlichen Charakter des betroffenen Sonntags (28. Mai 2017) prägend sein werde, weil sie selbst und nicht erst die Ladenöffnung einen beträchtlichen Besucherstrom auslöse, der die Zahl der Besucher bei alleiniger Öffnung der Verkaufsstellen deutlich übersteigt.
Dabei könne sich das Gericht der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Prognose anschließen, der Zahlen zugrunde liegen, die die Antragsgegnerin durch ein so genanntes §City-Monitoring-System“ selbst ermittelt habe. Hierbei handelt es sich um an Laternen und Masten installierte Sensoren, die die Anzahl der Passanten in beide Richtungen zählen. Diese Passantenzählung habe im letzten Jahr für den Sonntag der Himmelfahrtskirmes, der ohne eine entsprechende Verkaufsöffnung stattfand, 8.470 Besucher in der Wittener Innenstadt ergeben.
Dies könne zur Passantenfrequenz an zwei verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr 2016 ins Verhältnis gesetzt werden: Am 20. März 2016 waren zur Sonntagsöffnung 4.960 Passanten und am 30. Oktober 2016 zum verkaufsoffenen Sonntag 5.230 Passanten erschienen. Die Stadt Witten war deshalb zu der Prognose gelangt, dass die Himmelfahrtskirmes mit dem zugehörigen Trödelmarkt prägende Wirkung für den öffentlichen Charakter der Veranstaltung am Sonntag entfalten werde. Auch die Kammer gehe angesichts dieser - im Grundsatz nicht in Frage gestellten - Zahlen davon aus, dass die Kirmes einen hinreichenden Anlass für die Sonntagsöffnung der Geschäfte in der Wittener Innenstadt darstelle.
Dies gelte auch dann, wenn die Anzahl der Kirmesbesucher im Vorjahr zu Prognosezwecken mit den Besucherzahlen an einem durchschnittlichen Samstag im Mai verglichen werde. Aufgrund der deutlichen Besucher-Differenz lasse sich - auch wenn sich die Messungen nur auf einen Teilbereich der durch die Verkaufsöffnungen und von der Kirmes betroffenen Innenstadtflächen bezögen - erkennen, dass die Himmelfahrtskirmes offenkundig einen hinreichenden Anlass zur Sonntagsöffnung biete.
Form und Bekanntgabe eines Verwaltungsakts
Entscheidet sich eine Behörde ohne gesetzliche Verpflichtung für eine förmliche Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes, ist sie an die Beachtung der für die Zustellung vorgesehenen Förmlichkeiten genauso gebunden wie bei einer gesetzlichen Verpflichtung. Dies schließt es auch bei einer freiwillig gewählten Bekanntgabe durch Zustellung aus, eine fehlerhafte Zustellung in eine fehlerfreie Bekanntgabe umzudeuten.
Das Fehlen der nach § 37 Abs. 3 VwVfG NRW erforderlichen Unterschrift führt regelmäßig zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, nicht zu dessen Nichtigkeit. (Amtliche Leitsätze)
OVG NRW, Beschluss vom 30.01.2017
- 2 B 1226/16 -
Die Antragsteller wandten sich mit ihrem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung einer NRW-Kommune, mit der ihnen die Nutzung des Daches ihrer Grenzgarage unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt worden war. Diese Anordnung wurde den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller als - nicht unterzeichnete - PDF-Datei mit einer einfachen E-Mail „vorab“ zugeleitet. Im Adressfeld ist dort der Zusatz „per Postzustellungsurkunde“ enthalten, die Untersagung selbst sollte „nach Zustellung dieses Bescheides“ ab sofort gelten. Eine Zustellung des Bescheides unterblieb aus unbekannten Gründen.
Im streitgegenständlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahren geht das OVG davon aus, dass der umstrittene Verwaltungsakt mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe bisher gar nicht wirksam geworden ist. Die von der Kommune gewählte Bekanntgabe mittels Postzustellungsurkunde habe nach Aktenlage nicht stattgefunden. Die Übermittlung per E-Mail „vorab“ führe auch keine wirksame Bekanntgabe herbei. Zwar sei nach § 41 VwVfG NRW die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes grundsätzlich nicht an eine bestimmte Form gebunden. Einer Behörde sei es nach ihrem Ermessen jedoch auch unbenommen, für die Bekanntgabe - wie hier - den förmlichen Weg der Zustellung zu wählen.
Aufgrund dieser freiwilligen Entscheidung ist die Behörde indes an die Beachtung der für die Zustellung vorgesehenen Förmlichkeiten genauso gebunden wie bei einer gesetzlichen Verpflichtung, was es in der Folge dann auch ausschließe, eine fehlerhafte Zustellung wieder in eine fehlerfreie Bekanntgabe umzudeuten. Die danach hier notwendige förmliche Zustellung sei auch nicht nach § 8 LZG NRW durch tatsächlichen Zugang (der E-Mail) geheilt worden, weil es der Behörde von vornherein am Zustellungswillen gemangelt habe: Dass eine Benachrichtigung per E-Mail keine Form der Zustellung ist, insbesondere nichts mit der ausdrücklich vorgesehenen Bekanntgabe mittels Postzustellungsurkunde zu tun hat, liege auf der Hand.
Der fehlende Zustellungswille komme außerdem in der ausdrücklichen Kennzeichnung der Mitteilung als Übersendung „vorab“ unzweifelhaft zum Ausdruck. Für den Empfänger sei schon wegen dieser Kennzeichnung nicht zu erkennen gewesen, ob bereits ein Bescheid oder nur dessen Entwurf mitgeteilt und ob damit ggf. Rechtsbehelfsfristen ausgelöst werden sollten und ob insbesondere das von der Zustellung abhängige sofortige Befolgungsgebot greifen solle. Dies gelte umso mehr, als die beigefügte Datei keine Unterschrift getragen habe.
Doch selbst wenn man - so das Gericht - eine Heilung des Zustellungsmangels durch die E-Mail-Übersendung unterstellte, änderte dies nichts an den Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache und damit des hiesigen Eilantrages. Denn der angefochtene Bescheid dürfte sich in diesem Fall wegen Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis (§ 20 Abs. 1 OBG NRW) als rechtswidrig erweisen.