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Hauptausschuss 2024
Heft Juni 2017
Städtische Pflicht zum Winterdienst
Die Pflicht zur Durchführung des Winterdienstes richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen der Wichtigkeit und Gefährlichkeit des Verkehrsweges. Eine sofortige Reaktionspflicht bei einzelnen Anwohnermeldungen besteht grundsätzlich nicht. (Orientierungssatz)
OLG Hamm, Urteil vom 18. November 2016
- I-11 U 17/16 -
Nach einem Verkehrsunfall hatte der Kläger auf Schadensersatz wegen der Beschädigung seines PKW aus Amtshaftung und straßenrechtlichen Vorschriften (StrWG NRW, Straßenreinigungsgesetz NRW) mit der Begründung geklagt, die beklagte Kommune habe ihre Amtspflichten verletzt, indem sie am Schadenstage bis zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Winterdienst auf der Straße vornahm.
Das Berufungsgericht hat die Klage im Ergebnis abgewiesen und dazu insbesondere auf Folgendes hingewiesen: Den Gebietskörperschaften obliege als Folge der allgemeinen, in Nordrhein-Westfalen hoheitlich ausgestalteten Pflicht zur Erhaltung der Verkehrssicherheit auf den öffentlichen Straßen die Pflicht, innerhalb geschlossener Ortschaften bei Vorhandensein von Schnee- und Eisglätte Räum- und Streumaßnahmen durchzuführen. Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richteten sich allerdings nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.
Danach seien Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Außerdem gelte die den Kommunen obliegende Räum- und Streupflicht ausdrücklich nicht uneingeschränkt, sondern stehe sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorhalt des Zumutbaren, sodass es namentlich auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankomme - zudem müsse sich auch jeder Verkehrsteilnehmer den ihm erkennbar gegebenen Straßenverhältnissen anpassen.
Schon im Bereich geschlossener Ortschaften sei anerkannt, dass eine Streu- und Räumpflicht eine allgemeine Glättebildung und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen voraussetze. Außerdem seien die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zuerst zu bestreuen. Eine besonders gefährliche Stelle liege dann nicht vor, wenn ein umsichtiger Kraftfahrer unter Berücksichtigung der bei winterlichen Temperaturen gebotenen Vorsicht mit dem Auftreten von Glätte an der konkreten Stelle rechnen müsse und die Gefahr der Stelle erkennbar wäre.
Im vorliegenden Fall sei danach keine Pflichtverletzung der Beklagten zu erkennen. Bei der Unfallstraße handele es sich um eine Straße außerhalb geschlossener Ortschaften, der überdies die Verkehrswichtigkeit fehle. Allein der Umstand, dass die Anwohner der Straße mit ihren Fahrzeugen keine andere Möglichkeit hätten, als über die Straße ihre Häuser zu erreichen und zu verlassen, begründe keine Verkehrswichtigkeit, weil insoweit ein objektiver und vergleichender Maßstab anzulegen sei. Weiterhin ergebe sich eine allgemeine Streupflicht auch nicht aus der Satzung der Beklagten über die Straßenreinigung und die Straßenreinigungsgebühren. Eine Verpflichtung zum Winterdienst für die Beklagte habe sich zudem nicht aufgrund einer besonderen Gefährlichkeit der Straßenbenutzung für die Verkehrsteilnehmer ergeben.
Aufgrund der völlig untergeordneten Verkehrsbedeutung der Straße wäre die Durchführung des Winterdienstes der Beklagten vielmehr nicht zumutbar gewesen. Schließlich sei auch dadurch keine Verpflichtung der Beklagten zum sofortigen Abstreuen der Straße begründet worden, dass eine weitere Person ein bis zwei Stunden vor dem Unfall beim Straßenreinigungs-, Transport- und Baubetrieb der Beklagten angerufen und die Glättebildung im Bereich der Straße gemeldet und um Abhilfe nachgesucht hatte. Grundsätzlich sei eine Kommune nämlich nicht gehalten, einen Winterdienst in der Weise vorzuhalten, dass dieser von den Gemeindeangehörigen durch bloße Meldung von Glatteisbildung abgerufen werden könne, woraufhin sie unverzüglich tätig werden müsse, ohne dass es auf die oben aufgeführten Kriterien für ein Tätigwerden noch ankommen könnte.
Untersagung von Sportwetten-Vermittlungsstellen
1. Bei summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass Vermittlungsstellen für Sportwetten in NRW keinen Mindestabstand zu Schulen sowie Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen einhalten müssen, weil § 22 GlüSpVO NRW nicht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht.
2. Die Rechtmäßigkeit einer auf neue gewerberechtliche Verbote gestützten Untersagungsverfügung gegen baurechtlich genehmigte Betriebe ist allenfalls dann nicht in Frage gestellt, wenn etwa durch eine gesetzliche Übergangsregelung schutzwürdigen Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes ausreichend Rechnung getragen ist.
3. Sofern das nicht der Fall ist, muss zumindest in Ausübung behördlichen Ermessens für eine Übergangszeit insoweit eine weitere Nutzung ermöglicht werden, als Investitionen in einen baurechtlich genehmigten Betrieb vom Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind und auf der Grundlage eines schutzwürdigen Vertrauens getätigt wurden.
4. Das Fehlen einer Erlaubnis für die Vermittlung von Sportwetten an im EU-Ausland konzessionierte Anbieter kann einem Wettbürobetreiber derzeit und auf absehbare Zeit nicht entgegen gehalten werden, weil trotz Ersetzung des staatlichen Sportwettenmonopols für eine 7-jährige Experimentierphase durch ein Konzessionsmodell auch nach mehr als vier Jahren noch keine Sportwettkonzession erteilt worden ist (im Anschluss an OVG NRW, Urteil vom 23.01.2017 - 4 A 3244/06 -).
5. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die aktuell anstehende Ratifizierung des am 15.03.2017 von den Ministerpräsidenten der Länder unterzeichneten 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrags durch die Länderparlamente den Glücksspielaufsichtsbehörden den Weg zur flächendeckenden Untersagung nicht erlaubter Angebote eröffnet. (Leitsätze)
OVG NRW, Beschluss vom 29.03.2017
- 4 B 919/16 -
Im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes wandte sich die Antragstellerin gegen die Untersagung ihres Sportwettbürobetriebs durch eine NRW-Kommune. Diese hatte ihre Untersagungsverfügung auf das für Wettvermittlungsstellen angeordnete Mindestabstandsgebot zu Schulen sowie Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen nach § 22 GlüSpVO NRW gestützt.
Das OVG gab dem Antrag auch in zweiter Instanz statt und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage in der Hauptsache an, weil die angegriffene Untersagungs- und Schließungsverfügung bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Bestand haben werde. Abgesehen von grundsätzlichen Zweifeln, weil das von der Kommune angeführte Wohnprojekt für jugendliche Flüchtlinge in freier Trägerschaft betrieben werde und damit nicht unter die nur für „öffentliche“ Einrichtungen der Jugendhilfe fallende Abstandsregelung nach § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW fallen könnte, spreche bei summarischer Prüfung Überwiegendes dafür, dass § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW dem Betrieb des Wettbüros der Antragstellerin nicht entgegen stehe, weil diese Vorschrift, soweit sie Mindestabstände von Wettvermittlungsstellen zu Schulen sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe regelt, nicht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen und damit die Berufsausübungsfreiheit von Wettbürobetreibern nach Art. 12 Abs. 1 GG verletzen dürfte.
Die gesetzliche Ermächtigung in § 22 Abs. 1 Nr. 3 AG GlüStV NRW dürfte dem Verordnungsgeber derart weitreichende und grundrechtsrelevante Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit von Wettvermittlern nicht gestatten. Doch auch selbst dann, wenn man die Ermächtigung für ausreichend halte, spreche vieles dafür, dass es wegen der starren Regelung ohne Ausnahmemöglichkeiten zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer Handhabung des § 22 Abs. 1 GlüSpVO NRW dahingehend bedürfe, dass bei seiner Anwendung relevante schutzwürdige Einzelfallumstände zu berücksichtigen seien, woran es vorliegend auch fehle.
Allgemeiner Gebührentarif bei Schlachtbetrieben
1. Die Tarifstellen 16a.8.5.1 und 16a.8.5.2 des Allgemeinen Gebührentarifs (AGT; Anlage zur AVwGebO NRW) in der vom 16.07.2011 bis zum 15.07.2016 geltenden Fassung sind nichtig.
2. Ebenso wie bei Maßnahmen der Eingriffsverwaltung, die dem Adressaten keinen Vorteil bringen, darf bei der Bemessung von Verwaltungsgebühren für Überwachungsmaßnahmen allein der anfallende Verwaltungsaufwand berücksichtigt werden.
Bloße mittelbare Vorteile, die sich für die Angehörigen eines bestimmten Wirtschaftszweigs lediglich als Reflex aus einer behördlichen Überwachungstätigkeit ergeben, aber weder dem Einzelnen zuzurechnen noch einer wirtschaftlichen Bewertung zugänglich sind, reichen für die Annahme eines Nutzens i. S. d. § 3 Abs. 1 GebG NRW regelmäßig ebenso wenig aus wie für die Annahme einer Begünstigung i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. GebG NRW.
3. Verwaltungsgebühren dürfen grundsätzlich nur für rechtmäßige oder bestandskräftige Amtshandlungen erhoben werden.
4. Ein für eine kostendeckende Verwaltungsgebühr normierter Gebührenrahmen entspricht den gesetzlichen Anforderungen des § 3 GebG NRW nur dann, wenn er bei typisierender Betrachtung eine Ein- bzw. Zuordnung der zu erwartenden einfachen, mittleren oder besonders aufwändigen Fälle zu einer unteren, mittleren oder oberen Gebühr ermöglicht. Wenn der Verordnungsgeber nichts Abweichendes bestimmt, soll die Rahmenmitte den Verwaltungsaufwand in einem Fall mittlerer Art abbilden.
5. Die Normierung einer einheitlichen Gebühr für Verwaltungsmaßnahmen, die unterschiedlichen Verwaltungsaufwand verursachen, verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz.
6. Ein Schlachtbetrieb kann im Hinblick auf die nach den Tarifstellen 16a.8.5.1. und 16a.8.5.2 AGT a. F. gebührenpflichtigen Kontrollen der Einhaltung des Fleisch- und des Handelsklassengesetzes nur insoweit als Gebührenschuldner herangezogen werden, als die Kontrolle seinen Pflichtenkreis betrifft (Veranlassung i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. GebG NRW). Das trifft auf die Kontrolle der Leistung des von dem Schlachtbetrieb beauftragten Klassifizierungsunternehmens nicht zu.
7. Kommen - etwa bei sich überschneidenden Pflichtenkreisen - mehrere Personen als Gebührenschuldner in Betracht, bedarf es einer ermessensgerechten Auswahlentscheidung nach § 13 Abs. 2 GebG NRW. (Leitsätze)
OVG NRW, Urteil vom 14.02.2017
- 9 A 2655/13 -
Neben der Nichtigkeit der Tarifstellen 16a.8.5.1 und 16a.8.5.2 des Allgemeinen Gebührentarifs (Anlage zur AVwGebO NRW) in der vom 16.07.2011 bis zum 15.07.2016 geltenden Fassung macht das Gericht auch generelle Ausführungen zur Normierung von Verwaltungsgebühren in dem aus den Leitsätzen ersichtlichen Umfang.