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Heft November 2010
Zensusgesetz 2011
Das Bundesverfassungsgericht hat eine gegen das Zensusgesetz 2011 (ZensG) gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde genügt nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgerichtsgesetz an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde stellt (nichtamtliche Leitsätze).
BVerfG, Beschluss vom 21. September 2010
- Az.: 1 BvR 1865/10 -
Bei Rechtsnormen reicht es regelmäßig nicht aus, das gesamte Gesetz zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde zu machen. Notwendig ist vielmehr die exakte Bezeichnung der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Bestimmungen. Die Beschwerdeführer wenden sich dagegen mit ihrer Verfassungsbeschwerde zunächst gegen das Zensusgesetz 2011 insgesamt und beantragen, dieses als solches für unvereinbar mit ihren Grundrechten zu erklären, ohne die angegriffenen Regelungen im Einzelnen zu benennen. Soweit sie in ihrer Beschwerdebegründung darüber hinaus ausführen, die im Rahmen des Zensus 2011 vorgesehene Datenerhebung und -zusammenführung nach den §§ 3 bis 9 ZensG seien ein nicht zu rechtfertigender Grundrechtseingriff, reicht die undifferenzierte Nennung dieser Vorschriften angesichts ihres umfangreichen und detaillierten Regelungsgehalts für eine hinreichende Bezeichnung des angegriffenen Hoheitsakts nicht aus.
Des Weiteren lässt die Begründung der Verfassungsbeschwerde auch die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch die angegriffenen Regelungen nicht hinreichend erkennen. Die Beschwerdeführer rügen in erster Linie eine Verletzung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, ohne darzulegen, welche Eingriffe in dieses Grundrecht der Zensus 2011 näher mit sich bringt, d. h. welches Gewicht ihnen im Einzelnen zukommt und aufgrund welcher Auswirkungen diese Eingriffe den Anforderungen der Rechtsprechung oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht genügen sollen.
Prüfungskompetenz des Bundesrechnungshofs
Die Bestimmungen des § 6a Satz 1 u. 4 Zukunftsinvestitionsgesetz (ZuInvG) sind wegen fehlender Bundeskompetenz mit der Verfassung teilweise unvereinbar, während die ebenfalls angegriffene Regelung des § 6a Satz 3 ZuInvG mit dem Grundgesetz im Einklang steht (nichtamtlicher Leitsatz).
BVerfG, Beschluss vom 7. September 2010
- Az.: 2 BvF 1/09 -
In § 6a ZuInvG, welches die bundesrechtliche Umsetzung des Konjunkturpakets II ist, ist eine Prüfungskompetenz durch den Bundesrechnungshof geregelt. Der Bund kann danach in Einzelfällen weitergehende Nachweise verlangen und bei Ländern und Kommunen Bücher, Belege und sonstige Unterlagen einsehen sowie örtliche Erhebungen durchführen. Der Bundesrechnungshof prüft danach gemeinsam mit dem jeweiligen Landesrechnungshof im Sinne von § 93 der Bundeshaushaltsordnung, ob die Finanzhilfen zweckentsprechend verwendet wurden. Dazu kann er auch Erhebungen bei Ländern und Kommunen durchführen.
Die Regierungen der Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, des Saarlandes, des Freistaates Bayern und des Freistaates Sachsen sowie der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg halten § 6a Satz 1, Satz 3 und 4 ZuInvG für verfassungswidrig und haben im abstrakten Normenkontrollverfahren die Feststellung der Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften beantragt. Für die dem Bund danach zukommenden aktiven örtlichen Kontroll- und Erhebungsrechte fehle es an einer grundgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Sie verletzten daher den Grundsatz der Haushaltsautonomie der Länder. Zudem würden dem Bundesrechnungshof neue eigenständige Prüfungsrechte eingeräumt, die seinen verfassungsrechtlich bestimmten Prüfungsraum überschritten.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Bestimmungen des § 6a Satz 1 und 4 ZuInvG aufgrund fehlender Bundeskompetenz mit der Verfassung teilweise unvereinbar sind, während § 6a Satz 3 ZuInvG mit dem Grundgesetz im Einklang steht. Die in § 6a Satz 1 ZuInvG vorgesehene Bundesbefugnis einer Informationsbeschaffung bei den Landesverwaltungen - einschließlich der Kommunalverwaltungen - berührten den Grundsatz der Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern gemäß Art. 109 Abs. 1 GG und die grundsätzliche Länderkompetenz gemäß Art. 30 GG. Sie bedürften daher eines grundgesetzlichen Kompetenztitels.
Eine solche Bundeskompetenz bestehe nur insoweit, als der Bund nach § 6a Satz 1 ZuInvG zu örtlichen Erhebungsmaßnahmen bei den Ländern und Kommunen ermächtigt wird, die der Prüfung eines Rückforderungs- bzw. Haftungsanspruchs nach § 7 Abs. 1 ZuInvG und Art. 104a Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz GG dienen. Soweit § 6a Satz 1 ZuInvG dem Bund darüber hinausgehende Befugnisse einräumt, sei die Norm verfassungswidrig und nichtig.
Art. 104b Abs. 2 Satz 1 GG ermächtige den Bund nur, das Nähere zu den Voraussetzungen der von ihm gewährten Finanzierungshilfen an die Länder, insbesondere die Art der zu fördernden Investitionen, gesetzlich zu regeln, enthalte aber keine Ermächtigung zu Regelungen, die dem Bund Verwaltungsbefugnisse gegenüber den Ländern einräumen.
Schließlich könne § 6a Satz 1 ZuInvG nicht als Ausprägung der Bundesaufsicht gemäß Art. 84 Abs. 3 GG verstanden werden, da sie nicht der Einheitlichkeit der Gesetzesausführung durch die Länder diene, sondern der Kontrolle der Ausgabenpraxis ihrer Verwaltungsbehörden.
Jedoch hat der Bundesgesetzgeber nach Art. 104a Abs. 5 GG die Möglichkeit, der Bundesverwaltung die Befugnis einzuräumen, zum Zwecke der Feststellung eines Haftungsanspruchs und unter der Voraussetzung, dass aufgrund konkreter Tatsachen ein solcher Anspruch möglich erscheint, bei den Landesverwaltungen Berichte anzufordern, Akten beizuziehen und Unterlagen einzusehen. Dazu könne die Bundesverwaltung sich unmittelbar an nachgeordnete Behörden auch der Länder und Kommunalverwaltungen wenden und örtliche Erhebungen durchführen. § 6a Satz 1 ZuInvG sei daher verfassungsgemäß, soweit die darin vorgesehenen Befugnisse der Wahrnehmung dieser Kompetenz dienen und auf Einzelfälle beschränkt bleiben.
Auch die Erhebungen des Bundesrechnungshofs bei Ländern und Kommunen gemäß § 6a Satz 4 ZuInvG berührten die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder und bedürften daher einer Ermächtigung im Grundgesetz.
Nach Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG ist der Bundesrechnungshof zur Rechnungsprüfung sowie zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ermächtigt. Unter Berücksichtigung der Haushaltsautonomie der Länder rechtfertige Art. 114 Abs. 2 Satz 2 GG jedoch Erhebungsbefugnisse des Bundesrechnungshofs bei Ländern und Kommunen im Falle der Gewährung von Finanzhilfen nur in dem Umfang, in dem dem Bund Verwaltungskompetenzen zukommen. Eine solche generelle Verwaltungskompetenz liege hier nicht vor.
Die Vorschrift des § 6a Satz 3 ZuInvG ist dagegen mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn der dem Bundesrechnungshof darin erteilte Auftrag, gemeinsam mit dem jeweiligen Landesrechnungshof die zweckentsprechende Verwendung der Finanzhilfen zu prüfen, berühre nicht den Kompetenzbereich der Länder.
Wechsel von Beamten der früheren Versorgungsämter
Die Beamten der früheren Versorgungsämter sind nicht auf Kreise, kreisfreie Städte und die Landschaftsverbände übergegangen, die seit der Auflösung der 11 nordrhein-westfälischen Versorgungsämter zum 1. Januar 2008 für die Aufgaben der Versorgungsverwaltung zuständig sind (nichtamtlicher Leitsatz).
OVG NRW, Urteil vom 7. September 2010
- Az.: 6 A 2077/08, 6 A 3164/08, 6 A 3249/08, 6 A 2144/08 -
Geklagt hatten unter anderem zwei Beamte eines früheren Versorgungsamtes, die seit dem 1. Januar 2008 beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe bzw. beim Kreis Minden-Lübbecke tätig sind, sowie eine Beamtin, die von einem Versorgungsamt zum Landschaftsverband Rheinland in Köln wechseln musste. Sie hatten - wie viele andere - hiergegen zunächst vor den Verwaltungsgerichten einstweilige Anordnungen erwirkt.
Das OVG hatte im Beschwerdeverfahren dagegen aufgrund einer Folgenabwägung zu Lasten der Beamten entschieden, weil es im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit erforderlich sei, dass die Beamten vorerst bis zur endgültigen Klärung im Hauptsacheverfahren dort ihren Dienst verrichteten, wo die Aufgaben auch tatsächlich anfielen. Im Hauptsacheverfahren hatten die Klagen der Beamten zunächst vor den Verwaltungsgerichten Düsseldorf und Minden Erfolg. Das OVG hat die dagegen eingelegten Berufungen nunmehr zurückgewiesen.
Zur Begründung hat der 6. Senat ausgeführt, die Beamten seien nicht - wie vom Gesetz vorgesehen - kraft Gesetzes auf die neuen kommunalen Aufgabenträger übergegangen, weil sich aus dem Gesetz nicht ergebe, welche Beamten auf welche Körperschaften übergehen sollten. Das Land hatte nicht jedem einzelnen Betroffenen gegenüber verfügt, wohin er wechseln musste, sondern lediglich im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales nach einem Punktekatalog mit Sozialkriterien einen so genannten Zuordnungsplan erstellt, in dem die Beamten namentlich den neuen Dienstherren zugeordnet waren. Dieser Zuordnungsplan, so das OVG, sei nicht Bestandteil des Gesetzes geworden. Soweit das Land geltend mache, das Gesetz verweise auf ihn, sei dies dem Gesetz nicht zu entnehmen und auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.
Mit gleicher Begründung hat das OVG auch der Klage eines bisher bei der Bezirksregierung Düsseldorf tätigen Beamten stattgegeben, der nach einem ähnlichen Gesetz zur Kommunalisierung der Umweltverwaltung zum 1. Januar 2008 auf die Stadt Remscheid übergehen sollte. Der Senat hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.