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Hauptausschuss 2024
Heft Oktober 2006
Sittenwidrigkeit einer vertraglichen Zahlungsverpflichtung der Gemeinde
Eine vertragliche Zahlungsverpflichtung einer Gemeinde ist sittenwidrig, wenn sie im krassen Widerspruch zum Gemeinwohl steht. Dies trifft auf Geschäfte zu, die das öffentliche Haushaltsrecht missachten. Erforderlich ist, dass die Beteiligten die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich zumindest ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen (nichtamtliche Leitsätze).
BGH, Urteil vom 25. Januar 2006
- Az.: VIII ZR 398/03 -
Die Gemeinde P., eine Ortschaft mit rund 600 Einwohnern, plante die Errichtung eines Verwaltungs- und Gemeindezentrums mit 1000 qm Nutzfläche. Hierzu gründete sie zusammen mit einem privaten Investor eine GmbH, die das Zentrum für die Gemeinde errichten und finanzieren sollte. Im Gegenzug schloss die Gemeinde mit der GmbH als Vermieterin einen langfristigen „Mietvertrag“, in dem sich die Gemeinde zu einer Mietzeit von 22 Jahren zu einem Mietzins von monatlich zunächst 27.396,87 DM zuzüglich Umsatzsteuer und Nebenkosten verpflichtete. Nachdem bekannt geworden war, dass die Gemeinde im Zuge der kommunalen Gebietsreform in eine andere Gemeinde eingemeindet werden sollte, fragte der private Investor schriftlich an, ob das Projekt trotz der Möglichkeit einer Eingemeindung weitergeführt werden soll. Der Gemeinderat beschloss daraufhin, an dem Vorhaben festzuhalten. Das Projekt scheiterte aber daran, dass nach der Eingemeindung der Gemeinde der als Kommunalaufsichtsbehörde zuständige Landkreis D. die Genehmigung des langfristigen „Mietvertrages“ verweigerte. Die Aufsicht stufte den Vertrag als kreditähnliches Rechtsgeschäft ein und stellte fest, dass mit dem Verwaltungszentrum der Raumbedarf der Gemeinde P. um ein Vielfaches überschritten sei. Die Klägerin begehrt Schadensersatz durch das Unterlassen der Aufklärung über die Genehmigungsbedürftigkeit des Mietvertrages.
Der BGH lehnt einen Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei dem Abschluss des „Mietvertrages“ ab. Anders als das Berufungs- und das Revisionsgericht hängt nach der Auffassung des BGH die Entscheidung des Rechtsstreites allerdings nicht davon ab, ob sich der Bürgermeister bei den Vertragsverhandlungen pflichtwidrig verhalten hat und die Gemeinde sich dies gemäß §§ 31, 89 BGB zurechnen lassen muss. Der BGH stellt vielmehr fest, dass das Verhalten des Bürgermeisters nicht für den eingetretenen Schaden ursächlich ist. Die Wirksamkeit des „Mietvertrages“, den der BGH als Immobilien-Leasingvertrag einordnet, scheitere nicht erst an der Versagung der aufsichtsrechtlich erforderlichen Genehmigung, sondern daran, dass er sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 1 BGB und deshalb nichtig ist.
Schon das Berufungsgericht hatte die Sittenwidrigkeit des Vertrages unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob bei Vertragsabschluss ein auffälliges Missverhältnis zwischen vergleichbaren Büro- und Gewerberaummieten bestand. Dies hatte es allerdings mit der Begründung verneint, dass es an der Darlegung von Umständen fehle, die auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Teils geschlossen werden könne.
Der BGH stellt demgegenüber fest, dass auch solche Geschäfte sittenwidrig sein können, die im Falle einer Beteiligung der öffentlichen Hand in krassem Widerspruch zum Gemeinwohl stehen, sofern alle an dem Geschäft Beteiligten sittenwidrig handeln. Dies bedeutet, dass sie die Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich zumindest ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen. Insbesondere stellt der BGH fest, dass auch Rechtsgeschäfte mit einer Gemeinde, die das öffentliche Haushaltsrecht missachten, sittenwidrig sein können, sofern der Verstoß beiden Seiten subjektiv zurechenbar ist. Dies sieht der BGH hier gegeben.
Mit recht deutlichen Worten stellt der BGH fest, dass durch den Bau eines Gemeinde- und Verwaltungszentrums mit mehr als 1000 qm Nutzfläche für eine Kleinstgemeinde mit rund 600 Einwohnern „offenkundig Gemeindevermögen verschleudert wurde“. Durch den von der Gemeinde P. abgeschlossenen Immobilien-Leasingvertrag werde der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung in besonders grobem Maße verletzt. Dieser Grundsatz diene sowohl dem Schutz der Gemeinden vor Selbstschädigung durch übermäßige privatrechtliche Verbindlichkeiten als auch dem Interesse der Allgemeinheit.
Der BGH betont, dass in der Rechtssprechung anerkannt ist, dass zur Erfüllung gemeindlicher Aufgaben nicht mehr ausgegeben werden darf, als bei wirtschaftlicher und sparsamer Haushaltsführung notwendig ist, und dass leichtfertige Ausgaben und übertriebener Aufwand zu vermeiden sind. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gelte auch für das kommunale Immobilienleasing. Seine Beachtung sei eine der wichtigsten Anforderungen, die es erfüllen muss.
Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass allen am Abschluss des Vertrages Beteiligten die Umstände, die die Sittenwidrigkeit begründen, auch bekannt waren. Dies gelte nicht nur für die Berater der Gemeinde, sondern auch für den Investor. Die Unverhältnismäßigkeit des Vorhabens sei augenfällig gewesen.
Privates Regelwerk als Inhalt von Satzungsrecht
1. Privates Regelwerk kann durch satzungsrechtliche Inbezugnahme allenfalls dann zum Inhalt des Satzungsrechts erhoben werden, wenn es in einer Weise veröffentlicht ist, die hinsichtlich Zugänglichkeit und Verlässlichkeit der Veröffentlichung in amtlichen Publikationsorganen entspricht. Das ist für DIN-Regelungen allgemein nicht sichergestellt.
2. In jedem Fall muss für so zum Satzungsrecht erhobenes privates Regelwerk in der Satzung eine Fundstelle oder Bezugsquelle angegeben werden.
3. Der DIN 1986 kann nicht entnommen werden, dass jedes an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossene Grundstück über einen im Freien befindlichen Kontrollschacht verfügen muss.
OVG NRW, Urteil vom 9. Mai 2006
- Az.: 15 A 4247/03 -
Die Kläger sind Eigentümer eines Wohnhausgrundstücks, für das der beklagte Bürgermeister hinsichtlich des Anschlusses an die öffentliche Entwässerungsanlage anordnete, im etwa 3 m breiten Vorgarten für die Abwasserleitung zum in der Straße befindlichen Mischwasserkanal einen Kontrollschacht anzulegen. Dabei ging er davon aus, dass sich die Notwendigkeit eines solchen Kontrollschachts aus der Entwässerungssatzung (EWS) unmittelbar oder aus den in dieser Satzung in Bezug genommenen DIN-Vorschriften ergebe. In der Berufungsinstanz hatte die Klage Erfolg.
Nach § 12 Abs. 12 EWS darf die Stadt jederzeit fordern, dass auf den Grundstücken befindliche Entwässerungsanlagen in den Zustand gebracht werden, der den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie dieser Satzung entspricht. Nach dieser Vorschrift kann der Einbau des Kontrollschachtes nicht gefordert werden, da weder die öffentliche Sicherheit oder Ordnung noch die Entwässerungssatzung dies verlangen.
Nach der Entwässerungssatzung sind die DIN-Vorschriften maßgeblich, weil § 12 Abs. 6 Satz 2 EWS anordnet, dass die Arbeiten unter Beachtung der einschlägigen DIN-Vorschriften ausgeführt werden müssen. Damit kann der Entwässerungssatzung entnommen werden, dass sie den Einbau eines Kontrollschachtes verlangt, wenn dies nach den DIN-Vorschriften erforderlich ist.
Diese Einbeziehung außerrechtlicher Regelungen in die Satzungsnorm durch Verweisung ist unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlicher Publizität von Normen unwirksam. DIN-Vorschriften, deren Inhalt durch die Bezugnahme zum geltenden Satzungsrecht erhoben werden soll, werden weder nach dem für Satzungen geltenden Recht (vgl. § 4 der BekanntmVO) noch in sonst für amtliche Bekanntmachungen des Landes oder des Bundes vorgesehenen Amtsblättern veröffentlicht. Selbst wenn man mit der herrschenden Meinung annimmt, dass das in Bezug genommene private Regelwerk lediglich in einer Weise veröffentlicht sein muss, die hinsichtlich Zugänglichkeit und Verlässlichkeit der Veröffentlichung in amtlichen Publikationsorganen entspricht, reicht die hier in Rede stehende Verweisung auf die DIN 1986 nicht aus. Das gilt schon für die Zugänglichkeit zu dem privaten Regelwerk, das der Vermarktung zu erheblichen Preisen durch einen Verlag unterliegt, dessen Verlagsprodukte nicht in gleicher Weise in öffentlichen Bibliotheken zugänglich sind, wie es für amtliche Publikationsorgane der Fall ist. Es fehlt aber auch daran, dass in der verweisenden Satzungsnorm weder eine Fundstelle noch eine Bezugsquelle genannt ist. Zumindest Letzteres ist für nur über private Veröffentlichungen zugängliche Regelwerke erforderlich.
Unabhängig davon, dass die DIN 1986 durch die Verweisung in § 12 Abs. 5 EWS somit nicht zum Inhalt der satzungsrechtlichen Anforderungen geworden ist, ist auch die Frage, ob durch die DIN 1986 hier der Einbau eines Kontrollschachtes vorgeschrieben ist, zu verneinen.
Die DIN 1986 schreibt vor, dass in Grund- und Sammelleitungen mindestens alle 20 m eine Reinigungsöffnung vorzusehen ist und dass sie regelmäßig nahe der Grundstücksgrenze, jedoch in der Regel nicht weiter als 15 m vom öffentlichen Abwasserkanal entfernt anzuordnen ist (Abschnitte 6.5.4 und 6.5.5 der DIN 1986, Teil 1, Ausgabe Juni 1988). Der ganze Abschnitt 6.5 der DIN 1986, Teil 1, betrifft nicht die Anlage von Kontrollschächten, sondern von Reinigungsöffnungen. Eine solche ist hier vorhanden. Ob sie den technischen Anforderungen genügt, ist unerheblich, da jedenfalls, wie die Augenscheinseinnahme ergeben hat, eine womöglich technisch erforderliche Reinigungsöffnung innerhalb des Hauses angebracht werden kann.
Auch gebieten die öffentliche Sicherheit oder Ordnung als alternative Merkmale des § 12 Abs. 12 EWS keinen Kontrollschacht. Das ergibt sich schon daraus, dass die DIN 1986 so weit nicht gehen. Die vom Beklagten als vermeintliche Vorteile von Revisionsöffnungen außerhalb des Hauses gegenüber solchen innerhalb des Hauses dargestellten Umstände spielen für die Frage, ob die öffentliche Sicherheit oder Ordnung - oder auch die Entwässerungssatzung - eine Revisionsöffnung außerhalb des Hauses mit einem den Zugang dazu sichernden Kontrollschacht fordern, keine Rolle.
Festsetzung der Kindergartenbeiträge
Ohne Angaben zu dem durch das behördliche Verlangen bestimmt bezeichneten Jahreseinkommen oder ohne den geforderten und auf das konkrete Jahreseinkommen bezogenen Nachweis ist nach § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK der höchste Elternbeitrag zu leisten. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass in dem Zeitpunkt, in dem die geforderten Angaben und/oder Nachweise vorliegen und sich hieraus die Höhe des bis dahin unklaren Jahreseinkommens ermitteln lässt, eine Korrekturverpflichtung einsetzt, die sämtliche Faktoren erfasst, die Einfluss auf das der Beitragsbemessung zugrunde liegende Einkommen haben (nichtamtliche Leitsätze).
OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2006
- Az.: 12 A 1979/06 -
Zur Festsetzung der Kindergartenbeiträge hatte der Beklagte die Klägerin aufgefordert, das Jahreseinkommen anzugeben und diesbezügliche Belege einzureichen. Als dem nicht entsprochen wurde, setzte der Beklagte gemäß § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK den Höchstbeitrag fest. Den nach Bestandskraft des Bescheides unter Beifügung von Nachweisen gestellten Antrag, den Kindergartenbeitrag auf „0“ festzusetzen, lehnte der Beklagte ab. Der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hiergegen erhobenen Klage gab das VG statt. Der Zulassungsantrag des Beklagten blieb erfolglos.
Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag die Annahme des VG, die Festsetzung des höchsten Elternbeitrags nach § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK sei abzuändern, wenn für den Zeitraum, auf den sich die Erhebung des höchsten Elternbeitrags bezieht, die erforderlichen Angaben nachgeholt und die ggf. erforderlichen Nachweise vorgelegt worden seien, nicht zu erschüttern.
Dabei hat das VG zur Begründung der Abänderungsverpflichtung zutreffend auf § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK abgestellt. § 17 Abs. 5 Satz 3 GTK beinhaltet eine generelle Korrekturverpflichtung, die sämtliche Faktoren erfasst, die Einfluss auf das der Beitragsbemessung zugrunde zu legende Einkommen haben. Eine Änderung in dem zugrunde zu legenden Einkommen findet auch in den von § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK erfassten Fallgestaltungen statt. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 GTK haben die Eltern bei der Aufnahme des Kindes und danach auf Verlangen dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe schriftlich anzugeben und nachzuweisen, welche Einkommensgruppe gemäß der Anlage nach Satz 1 ihren Elternbeiträgen zugrunde zu legen ist. Abgesehen von der Anmeldung des Kindes konkretisiert danach das jeweilige Verlangen, zu welchem Jahreseinkommen Angaben bzw. Nachweise erforderlich sind. Ohne Angaben zu dem durch das behördliche Verlangen bestimmt bezeichneten Jahreseinkommen oder ohne den geforderten und auf das konkrete Jahreseinkommen bezogenen Nachweis ist nach § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK der höchste Elternbeitrag zu leisten, wobei dieser Beitragsfestsetzung aufgrund des fehlenden Nachweises gerade kein konkretes Jahreseinkommen zugrunde liegt.
Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass in dem Zeitpunkt, in dem die geforderten Angaben und/oder Nachweise vorliegen und sich hieraus die Höhe des bis dahin unklaren Jahreseinkommens ermitteln lässt, die Tatbestandsvoraussetzung des § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK „ohne Angaben/Nachweise“ entfällt. Gleichzeitig endet damit auch die auf der Rechtsfolgenseite der Bestimmung normierte Berechtigung, für den Zeitraum, für den das in Rede stehende, bis dahin ungeklärte Jahreseinkommen maßgeblich ist, den höchsten Elternbeitrag zu fordern. Das Gesetz enthält keine Beschränkung der nach Eingang der Angaben bzw. der Nachweise vorzunehmenden Korrektur. Insbesondere gibt es keine Ermächtigungsgrundlage, wonach in zeitlicher Hinsicht eine Korrektur lediglich ex nunc, d. h. erst ab dem Zeitpunkt, in dem die erforderlichen Angaben und Nachweise vollständig vorliegen, in Betracht kommt. Dies würde zum einen dem gesetzlichen Regelfall der Bemessung des Beitrags nach dem Jahreseinkommen und dem hierdurch gewährleisteten Grundsatz der Beitragsbemessung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Beitragsgerechtigkeit widersprechen und zum anderen § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK einen Sanktionscharakter verleihen, der ihm nicht zukommt.
Dem Interesse des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe an einer praktikablen und zeitnahen Beitragserhebung trägt das Gesetz durch die Möglichkeit, zunächst den höchsten Beitrag festzusetzen, Rechnung. Liegen die für die Ermittlung des einschlägigen Jahreseinkommens erforderlichen Angaben und Nachweise vor, besteht kein sachlicher Grund mehr, an der nach § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfolgten Beitragsfestsetzung festzuhalten.
© StGB NRW 2006