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Hauptausschuss 2024
Heft September 2019
Haftung des Eigentümers von Geldspielgeräten für Vergnügungssteuer
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat entschieden, dass eine Gemeinde den Eigentümer von Geldspielgeräten, falls er nicht zugleich der Aufsteller ist, unter bestimmten Umständen für Vergnügungssteuer-Rückstände des Aufstellers haftbar machen kann. (Orientierungssatz)
BVerwG, Urteil vom 23.01.2019
- Az.: 9 C 1.18 -
Die Klägerin ist ein Unternehmen, das Geldspielgeräte entwickelt, herstellt und vertreibt. Die beklagte Stadt erhebt für das Bereitstellen von Geldspielgeräten zur Benutzung durch die Öffentlichkeit Vergnügungssteuern. Steuerschuldner ist nach der Steuersatzung der Aufsteller der Geräte. Neben dem Aufsteller haftet der Inhaber der Räume, in denen steuerpflichtige Geräte aufgestellt sind. Ist der Aufsteller nicht Eigentümer der Geräte, haftet zusätzlich auch der Eigentümer.
Der Steuerschuldner hatte von der Klägerin mehrere betriebsbereite Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit angemietet, wobei ihm Software- und Hardwareänderungen vertraglich untersagt waren. Der Vertragspartner der Klägerin hatte einige Geräte in einer Gaststätte aufgestellt. Nachdem er die ihm gegenüber festgesetzte Vergnügungssteuer nicht gezahlt hatte und ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden war, nahm die Beklagte zunächst den Gaststättenbetreiber auf Zahlung der rückständigen Steuerschuld in Höhe von rund 6000 Euro in Anspruch. Da dieser selbst Zahlungsschwierigkeiten geltend machte und sich nur zur Begleichung des hälftigen Betrages in der Lage sah, setzte die Beklagte die Haftungsschuld auch gegenüber der Klägerin fest und forderte sie zur Zahlung der restlichen ca. 3.000,- Euro auf.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe gab der Klage statt und hob den gegenüber der Klägerin ergangenen Haftungsbescheid auf. Dagegen bestätigte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Inanspruchnahme der Klägerin dem Grunde nach und ermäßigte nur die Höhe des Haftungsbetrages.
Das BVerwG entschied in der Revisionsinstanz, dass eine Gemeinde unter Umständen der hier vorliegenden Art grundsätzlich berechtigt ist, einen Geräteeigentümer zur Haftung für die Spielautomatensteuer heranzuziehen. Will die Gemeinde in einer Steuersatzung neben dem Steuer- einen Haftungsschuldner bestimmen, bedürfe sie dafür einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage und eines hinreichenden Sachgrundes. Ein solcher liege regelmäßig vor, wenn der Haftende in einer besonderen rechtlichen oder wirtschaftlichen Beziehung zum Steuergegenstand steht oder einen maßgebenden Beitrag zur Verwirklichung des steuerbegründenden Tatbestands leistet (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 15.20.1971 - 7 C 17.70). Überlässt der Eigentümer Geldspielgeräte, die wegen ihrer Bauartzulassung (§ 33c Abs. 1 Satz 2, § 33e GewO) nicht verändert werden dürfen, einem Automatenaufsteller entgeltlich zur gewerblichen Nutzung, stehe er regelmäßig in einer derart engen Beziehung zum Gegenstand und Tatbestand der Vergnügungssteuer, dass ihn die Gemeinde für die Steuerschuld des Aufstellers haftbar machen könne.
Allerdings könne die Haftungsregelung in der Satzung der Beklagten ihrem Wortlaut nach auch Konstellationen erfassen, in denen ein Eigentümer in keiner vergleichbar intensiven Beziehung zu dem steuerrelevanten Sachverhalt steht. Die damit zusammenhängenden Fragen müsse der Verwaltungsgerichtshof in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht klären, da hiervon die Wirksamkeit der Satzung und damit die Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Klägerin abhängt. Daher hat das BVerwG die Sache an ihn zurückverwiesen.
OVG entscheidet erstes Hauptsacheverfahren zu neuem Ladenöffnungsgesetz
Das Oberverwaltungsgericht NRW (OVG) hat in seinem ersten Hauptsacheverfahren zum neuen Ladenöffnungsgesetz NRW entschieden , dass die Öffnung der Verkaufsstätten in der Innenstadt von Mönchengladbach am Sonntag, den 28.4.2019, im unmittelbaren Umfeld der „Blaulichtmeile“ auf der Haupteinkaufsstraße rechtmäßig war, und dabei Grundsätzliches zu der Neuregelung über verkaufsoffene Sonntage ausgeführt.
OVG NRW, Urteil vom 17.07.2019
- Az.: 4 D 36/19.NE -
Vor der Veranstaltung hatte das OVG den von der Gewerkschaft ver.di beantragten Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 25.4.2019 - 4 B 517/19.NE - abgelehnt (vgl. Rubrik Gericht in Kürze, StGR 06/2019).
Zur Begründung seines jetzigen Urteils hat das OVG ausgeführt: Der Verordnungsgeber - der Rat der Stadt Mönchengladbach - habe annehmen dürfen, dass die unter Beteiligung zahlreicher Behörden, Organisationen, Verbände und Vereine mit Sicherheitsaufgaben durchgeführte „Blaulichtmeile“ und nicht die Ladenöffnung die Eindrücke der Besucher maßgeblich prägen würde. Er sei in Anwendung der landesgesetzlichen Regelung vertretbar davon ausgegangen, dass das Erscheinungsbild der Hindenburgstraße deutlich von einem gewöhnlichen Werktag abweichen und der Zusammenhang der Ladenöffnung mit der Veranstaltung, der der Ladenöffnung den erforderlichen Ausnahmecharakter verleihe, für die Besucher klar erkennbar sein werde.
Außerdem hat das OVG Grundsätzliches zu der durch das „Entfesselungspaket I“ in Nordrhein-Westfalen eingeführten Neuregelung über verkaufsoffene Sonntage ausgeführt und die Voraussetzungen, unter denen die Sonn- und Feiertagsöffnung zulässig ist, für einen wichtigen praktischen Anwendungsbereich näher präzisiert: Ladenöffnungen im Zusammenhang mit örtlichen Veranstaltungen, die einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen, hält der Senat schon dann für zulässig, wenn sich die Ladenöffnungsmöglichkeit im Wesentlichen auf das unmittelbare Umfeld der Veranstaltung bezieht und zeitgleich mit ihr vorgesehen ist. Einer Besucherprognose bedürfe es dann nicht. Das gelte erst recht, wenn sich Veranstaltung und Ladenöffnungsfreigabe - wie hier - räumlich im Wesentlichen auf einen begrenzten Straßeneinzugsbereich beschränkten. Dies ergebe sich aus einer neuen gesetzlichen Vermutungsregelung, die der Gesetzgeber geschaffen habe, um den Nachweis über das Vorliegen eines Sachgrundes für die ausnahmsweise sonntägliche Ladenöffnung zu erleichtern. Verbunden mit der ausdrücklichen Klarstellung in der Gesetzesbegründung, die Kommunen sollten durch die Neuregelung insbesondere von der bisher erforderlichen Prognoseentscheidung zu den Besucherzahlen befreit werden, verbiete diese Regelung bei gegebenem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Veranstaltung und Ladenöffnung, weitere Voraussetzungen zu fordern. Die gesetzliche Vermutung, die auch die Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität und der Rechtssicherheit berücksichtige, halte sich bei diesem Verständnis im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. An diese gesetzliche Vorgabe sei der Senat gebunden und sehe sich daran gehindert, bei engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Veranstaltung und Ladenöffnung weiterhin zusätzlich insbesondere eine vom BVerwG für verfassungsrechtlich zwingend erforderlich gehaltene Besucherprognose zu fordern.
Hierauf komme es im Streitfall entscheidungserheblich an, weil keine Besucherprognose vorgenommen worden sei und auch keine sonstigen nach der Neuregelung als ergänzende Rechtfertigung der Ladenöffnung möglicherweise geeignete besondere örtliche Problemlagen (z. B. regional begrenzte Fehlentwicklungen oder standortbedingte außergewöhnlich ungünstige Wettbewerbsbedingungen) angeführt worden seien.
Der Senat hat die Revision wegen Abweichung von der Rechtsprechung des BVerwG zugelassen, über die das BVerwG entscheidet.
Festsetzung der Einwohnerzahl im GFG 2014 verfassungsgemäß
Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen (VerfGH) in Münster hat die Verfassungsbeschwerden der Städte Bonn und Velbert und der Gemeinde Much gegen § 27 Abs. 3 Satz 1 des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2014 (GFG 2014) in Verbindung mit Anlage 3 zu diesem Gesetz zurückgewiesen. Dass durch diese Vorschrift die für die Durchführung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2014 maßgebliche Einwohnerzahl auf Grundlage der mit dem Zensus 2011 ermittelten Bevölkerungszahlen bestimmt werde, sei verfassungsgemäß.
VerfGH NRW, Urteil vom 09.07.2019
- Az.: VerfGH 37/14 -
Nach § 27 Abs. 3 Satz 1 GFG 2014 gilt als Einwohnerzahl die in Anlage 3 festgesetzte Bevölkerungszahl. In dieser Anlage sind die Einwohnerzahlen für alle nordrhein-westfälischen Gemeinden aufgeführt. Sie basieren auf den Ergebnissen des im Jahr 2011 durchgeführten Zensus. Für die Durchführung der Gemeindefinanzierungsgesetze früherer Jahre waren demgegenüber Einwohnerzahlen maßgeblich, die auf die Volkszählung im Jahr 1987 zurückgingen. Im Vergleich zu den seit 1987 fortgeschriebenen Werten fielen die auf dem Zensus 2011 basierenden Einwohnerzahlen für die Beschwerdeführerinnen geringer aus. Die jeweilige Einwohnerzahl hat Auswirkungen auf die Höhe der Finanzzuweisungen, die einer Gemeinde zustehen. Die Beschwerdeführerinnen hatten geltend gemacht, die angegriffene Regelung verletze die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung. Die gesetzliche Festlegung der maßgeblichen Einwohnerzahlen führe zu einer Rechtschutzverkürzung. Im Rahmen des Zensus 2011 seien zudem Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern gegenüber kleineren Gemeinden benachteiligt worden. Im Übrigen seien die ermittelten Einwohnerzahlen so fehlerhaft, dass sie dem kommunalen Finanzausgleich nicht zugrunde gelegt werden könnten.
Der VerfGH ist dem nicht gefolgt. Zwar könnten Gemeinden einen Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz geltend machen. Eine Einschränkung des Rechtsschutzes durch die angegriffenen Regelungen sei aber nicht festzustellen. Im Übrigen wäre sie jedenfalls gerechtfertigt, denn die Bestimmung des § 27 Abs. 3 Satz 1 GFG 2014 diene in verhältnismäßiger Weise der Planungs- und Finanzsicherheit der Gemeinden. Mit der Festschreibung der auf Grundlage des Zensus 2011 ermittelten Einwohnerzahlen als für die Anwendung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2014 maßgebliche Daten habe der Landesgesetzgeber sich auch innerhalb des Gestaltungsspielraums gehalten, der ihm bei der Regelung des kommunalen Finanzausgleichs zustehe. Insbesondere liege kein Verstoß gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot vor. Zwar unterschieden sich die Erhebungsmethoden beim Zensus 2011 für Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern von denen für Gemeinden mit weniger Einwohnern. Der Landesgesetzgeber habe aber trotzdem davon ausgehen können, dass mit der Verwendung der ermittelten Einwohnerzahlen keine sachwidrige Benachteiligung von Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern eintreten würde. Das Bundesverfassungsgericht habe sich in seinem Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 - ausführlich mit der Frage der Gleichheitswidrigkeit der unterschiedlichen Erhebungsmethoden im Zensusgesetz 2011 befasst. Es habe dabei die Annahme, die Erhebungsmethoden ließen sowohl für Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern als auch für kleinere Gemeinden eine realitätsgerechte Ermittlung der Einwohnerzahlen erwarten, nicht beanstandet. Dieser Auffassung schließe sich der VerfGH an. Es hätten auch zum Zeitpunkt des Erlasses des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2014 keine weiteren Erkenntnisse vorgelegen, die eine sachwidrige Ungleichbehandlung der beiden Gemeindegruppen durch die Verwendung der im Zensus 2011 ermittelten Zahlen nahegelegt hätten.
Auch habe der Landesgesetzgeber nicht davon ausgehen müssen, dass die ermittelten Einwohnerzahlen zu fehlerhaft waren, um sie der Mittelverteilung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs zugrunde zu legen. Dabei sei auch zu bedenken, dass die Ermittlung der "wahren" oder "richtigen" Einwohnerzahl verfassungsrechtlich schon deshalb nicht gefordert sein könne, weil nach einhelliger Auffassung der insoweit maßgeblichen statistischen Wissenschaft kein praktisch durchführbares Verfahren die Gewähr hierfür bieten könne.