Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
"Nicht einmal ausreichend Mittel für die Grundleistungen"
Zum Beginn des Jahres sprach Präsident Prof. Dr. Christoph Landscheidt mit dem WDR-Mittagsecho über die Perspektiven der Städte und Gemeinden für 2024. Auch in NRW ist die Finanzsituation der Kommunen prekär. Das Interview in Auszügen.
Ohne Kommunen ist kein Staat zu machen. Hört man das nicht in Berlin oder nicht deutlich genug?
Landscheidt Ich fürchte nicht in der Schärfe, wie es bei uns unten vor Ort ankommt. Deshalb ist es gut und richtig, nochmal den Finger in die Wunde zu legen.
Sie sind Bürgermeister, schon lange Jahre. Wie sieht es bei ihnen konkret in Kamp-Lintfort aus?
Landscheidt Wir sind eine Stadt mit knapp 40.000 Einwohnern am Rande des Ruhrgebiets mit einem dauerhaften Defizit im Moment von vier Millionen Euro. Das heißt, jeder Kamp Lintforter, jede Kamp-Lintforterin, ist bei uns mit 4000 Euro verschulde. Wir leben praktisch vom Überziehungskredit, bei uns heißt das nur Kassenkredit.
Wie sieht es bei ihnen aus mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtenden?
Landscheidt Wir haben es durch viel ehrenamtliches Engagement, aber auch das große Engagement der kommunalen Beschäftigten geschafft, bislang keine Turnhallen in Anspruch nehmen zu müssen Die vorhandenen Unterkünfte sind allerdings sehr intensiv belegt Wir haben auch Hotelplätze angemietet und reden aktuell über den Aufbau von Containerstandorten. Als Verband fordern wir dringend und seit vielen Monaten, ja seit Jahren, 70.000 Plätze in den Landesunterkünften, um die Kommunen zu entlasten.
Auch die Sozialkosten sind enorm gestiegen. Gibt es hier kein Einsparpotenzial, ohne Menschen in Not zu bringen?
Landscheidt Ich finde es offen gesagt ein bisschen schräg, bei der Diskussion über die Haushalte so viel über die Ärmsten der Armen zu reden. Für das Bürgergeld haben wir das eruiert: Drei Fünftel der Beziehenden bei uns in Kamp-Lintfort sind Menschen, die im Moment nicht arbeiten können und vielfältige Belastungen zu tragen haben. Das Bild, das so häufig gezeichnet wird, dass das die Betroffenen sind, bei denen man sparen könnte, das zeichnet sich so bei uns nicht ab. Arbeitswillige und Arbeitsfähige kann man sehr wohl in Arbeit vermitteln, das machen wir.
Der Bund der Steuerzahler kritisiert oftmals, die Städte und Gemeinden würden nicht gut wirtschaften und geben Steuergelder nicht immer sinnvoll aus. Hand aufs Herz: Können Sie in Kamp-Lintfort sagen, wir geben alles richtig und gut aus?
Landscheidt Wer kann schon von sich behaupten, dass er frei von Fehlern wäre? Das Problem ist doch ein strukturelles. Wir haben nicht einmal die ausreichenden Mittel für die Grundleistungen, die wir erbringen müssen in Kitas, in Schulen und in vielen anderen Bereichen. Da ist der Landesgesetzgeber gefragt, uns an den Verbundmitteln angemessen zu beteiligen.
Die bundesweit höchsten Grund und Gewerbesteuern gibt es bei uns in Nordrhein-Westfalen. Könnte das noch dicker kommen?
Landscheidt Ich fürchte, ja. Zumal wir im Moment in einer ganz schwierigen Situation sind. Sie wissen, dass wir Covid Belastungen aus den Haushalten zurückstellen konnten. Dies hat der Landesgesetzgeber ohne Not plötzlich aufgegeben. Wir stehen als Kommunen alle vor der Frage, wie es jetzt weitergeht. Wenn es dafür keine Lösung gibt, kann ich Ihnen versichern, dass es in vielen Städten und Gemeinden in den nächsten Monaten Entscheidungen über wesentlich höhere Steuern geben wird.
Eine Aufzeichnung des Interviews vom 3. Januar 2024 ist bis Anfang 2025 in der WDR-Mediathek abrufbar.