Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
"Die Probleme in den Kommunen holen die Falschen auf die Bühne"
Präsident Prof. Dr. Christoph Landscheidt sprach mit dem Kölner Stadtanzeiger über die prekäre Finanzlage der Kommunen, überfällige Investitionen, wachsenden Rechtspopulismus und politische Verantwortung.
Vielen Kommunen droht in den kommenden Jahren die Haushaltssicherung. Leben wir in einem armen Land?
Landscheidt Nein, definitiv nicht. Wir sind immer noch die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die Not der Kommunen wird durch eine falsche Verteilung von Steuermitteln verursacht. Vor 40 Jahren hat das Land den kommunalen Anteil an den Steuereinnahmen von 28,5 auf 23 Prozent gekappt. Seitdem leben wir von der Substanz. Inzwischen reicht es kaum noch für die Pflichtaufgaben. Aber statt uns mehr Geld zu geben, steigen die Belastungen. Die Kommunen steuern auf einen Finanzkollaps zu.
Wer trägt die Verantwortung für den Exodus?
Landscheidt Sowohl das Land als auch der Bund übertragen uns immer mehr Aufgaben, ohne sie ausreichend zu finanzieren. Unser Ansprechpartner ist die Landesregierung. Sie muss einsehen, dass komplizierte Förderprogramme für wechselnde politische Schwerpunkte das Problem nicht lösen. Mehr als 350 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben im vergangenen Herbst einen Brandbrief an Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) geschrieben. Geschehen ist praktisch nichts, echte Hilfen sind nicht in Sicht. Die Landesregierung trägt die politische Verantwortung für die Konsequenzen. Wenn Kommunen Ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, hat das auch Auswirkungen auf die Demokratie.
Ist die Finanzpolitik von Schwarz-Grün ein Erntehelfer der AfD?
Landscheidt Die Erfahrung zeigt, dass Probleme und Missstände in den Kommunen die Falschen auf die politische Bühne holen. Die Unzufriedenheit und die Angst vor der Zukunft sind ein Wegbereiter für Rechtspopulisten und Rechtsextreme. Feindbilder sind ihr Lebenselixier. Alle Parteien, die Verantwortung tragen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass eine falsche Finanzpolitik zur Gefahr für die Demokratie werden kann.
Wenn Turnhallen mit Flüchtlingen belegt werden, sorgt das vor Unmut. Wäre es nicht sinnvoll, dauerhafte Strukturen zu schaffen, statt lageabhängig in Provisorien zu investieren?
Landscheidt Absolut. Die Investitionen können die Kommunen aber nicht allein stemmen. Schon für die laufenden Kosten zahlen wir obendrauf. Die Pauschale, die uns das Land im Jahr pro Flüchtling zahlt, stammt aus 2017 und ist hoffnungslos veraltet. Schon allein wegen der enormen Inflation ist der Betrag viel zu gering. Die Zahl der Flüchtlinge wird weiter zunehmen. Die Unterbringung in Turnhallen sollte die letzte Möglichkeit sein. Die Empörung darüber hilft nur der AfD.
Wo kann der Staat sparen – ist es eigentlich noch sinnvoll, Lehrer zu verbeamten?
Landscheidt Dass Lehrer Beamte sind, ist historisch gewachsen - und ich habe Zweifel, ob das heute noch notwendig ist. Gleichzeitig steht fest, dass wir gute Lehrer brauchen und der Beruf attraktiv sein muss. Wir können es uns nicht leisten, sie nach Bedarf als Saisonkräfte einzustellen.
Wird es in NRW normal, dass Eltern die Klassenräume ihrer Kinder selbst streichen müssen?
Landscheidt Eigentlich ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Eltern auf diese Weise in der Schule engagieren. Das sind zum Teil richtig tolle Aktionen, bei denen ich auch schon mitgemacht habe. Aber das kann und darf natürlich nicht die Regel sein, dass die Arbeit von Eltern für die Grundausstattung einer Schule eingeplant wird.
Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, die vielerorts weitere Raumkonzepte erforderlich macht, schwebt als Damoklesschwert über den Kommunen….
Landscheidt Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung stellt viele Kommunen vor unlösbare Aufgaben – man braucht ab dem Sommer 2026 nicht nur mehr Räume, sondern auch mehr Personal. Schon heute fehlen Tausende Erzieher und niemand weiß, woher diese bis 2026 kommen sollen. Ich erwarte, dass der Bund jetzt ein Einsehen hat und sich den Realitäten stellt. Den Rechtsanspruch müssen wir an den Möglichkeiten vor Ort ausrichten und flexibler machen. Da, wo eine Umsetzung nicht möglich ist, sollten wir ihn verschieben. Das würde vielen Kommunen in NRW dringend benötigte Spielräume verschaffen.
Rechnen Sie damit, dass viele Städte in NRW 2024 Ihre Kita-Gebühren erhöhen?
Landscheidt Durch den Tarifabschluss sind die Kosten für das Personal erheblich gestiegen. Gleichzeitig haben wir viel zu wenig Erzieherinnen und Erzieher. Mit steigenden Gebühren wird man dieser Problematik nicht gerecht. Aber dass manche Städte und Gemeinden sich zu Erhöhungen gezwungen sehen werden, das kann ich nicht ausschließen.
Könnte die von den Linken geforderte härtere Besteuerung hoher Vermögen die Finanznot mildern?
Landscheidt Nach meiner persönlichen Meinung grundsätzlich ja. Durch eine Reform der Erbschaftssteuer zum Beispiel könnte der Staat sicher ganz erhebliche Einnahmen erzielen, die bei einer deutlichen Erhöhung der Freibeträge und einer vernünftigen Lösung für Betriebsvermögen wohl keinem besonders weh tun würden.
Sie fordern ein Aussetzen der Schuldenbremse – steigt die Schuldenlast der Kommunen dann nicht ins Unermessliche?
Landscheidt Ich verlange keine Aussetzung, sondern eine Modifizierung der Schuldenbremse. Für bestimmte Investitionen müssen neue Schulden möglich sein. Eine präventive Sozialpolitik kann für den Staat am Ende günstiger sein, als die „Reparaturkosten“ zu tragen. Das gilt auch für Investitionen in die Klimaanpassung.
Sie sind seit 25 Jahren hauptamtlicher Bürgermeister von Kamp-Lintfort, wollen 2025 nochmal antreten. Was treibt Sie an?
Landscheidt Dass man jeden Tag sieht, was gut und was falsch läuft. Wir sind eine ehemalige Bergbaustadt – und viele haben prophezeit, dass bei uns die Licher ausgehen. So ist es nicht gekommen, und darauf können wir stolz sein. Wo die Zeche stand, haben wir einen Hochschul-Campus gebaut, und der Tourismus floriert. Politik zu gestalten ist ein Privileg, das mir immer noch Spaß macht.