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130 Städte und Gemeinden erheben Verfassungsbeschwerde gegen das nordrhein-westfälische Finanzausgleichssystem
StGB NRW-Pressemitteilung
Düsseldorf,
15.01.1997
Derzeit greifen mindestens 130 Städte und Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen das nordrhein-westfälische Finanzausgleichssystem an. Die Mitgliedsstädte und -gemeinden des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes wenden sich mit Verfassungsbeschwerden gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz 1996, das die Zahlungen des Landes an die Gemeinden und Gemeindeverbände regelt. Noch nie hat es in einem Bundesland eine derartig flächendeckende Auseinandersetzung zwischen den Kommunen und dem Land über die Frage gegeben, ob das Finanzausgleichssystem ausreichend und finanzwissenschaftlich sachgerecht fundiert ist. Dies erklärte heute der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes, Bürgermeister Reinhard Wilmbusse.
Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hatte bereits mit Urteil vom 06.07.1993 rechtliche Bedenken gegen Teile des damaligen kommunalen Finanzausgleichs erhoben, ihn aber für die Jahre 1991 und 1992 für "noch hinnehmbar" erklärt. Daraufhin hatte das Land ein Gutachten des Münchener ifo Instituts eingeholt und sich bei der Struktur des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1996 in weiten Teilen an diesem Gutachten orientiert. Der Nordrhein-Westfälische Städte- und Gemeindebund und der Landkreistag Nordrhein-Westfalen hatten hiergegen schon 1995 massive Einwendungen erhoben.
Diese Strukturveränderungen im nordrhein-westfälischen Finanzausgleichssystem gehen einseitig zu Lasten des kreisangehörigen Raumes. Ausweislich der vorliegenden Berechnungen bewirken die in drei Stufen zu vollziehenden Änderungen eine Umverteilung von rd. 670 Mio DM allein im Zeitraum von 1996 bis 1998 aus dem kreisangehörigen Raum zugunsten des kreisfreien Raumes. Die "Verlierergemeinden" haben zwar 1996 noch einen vollen Ausgleich ihrer "Verluste" erhalten. Die Erstattung wird 1997 jedoch nur noch zwei Drittel, 1998 nur noch ein Drittel betragen, bevor sie 1999 komplett entfällt. Nach den Worten Wilmbusses sind mit schlimmsten Befürchtungen die negativen Auswirkungen insbesondere auf die Struktur der Finanzsituation der Mittelstädte zu sehen, die bis weit in das Jahr 2000 hinein die Zeche für die Umsetzung der Empfehlungen des Gutachtens des ifo Instituts zu zahlen hätten. "Die Großstädte sind die eindeutigen Gewinner. Während der Einwohner in Köln finanztechnisch mit rd. 1.800,-- DM gewichtet wird, zählt der Einwohner in einer Eifelgemeinde nur rd. 1.200,-- DM", so Wilmbusse. "Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1992 ist eine derartige Einwohnerveredelung zugunsten der Großstädte nicht haltbar, weil sich ein überproportionaler Finanzbedarf bei höherer Siedlungsdichte nicht nachweisen läßt." Nach Auffassung von Wilmbusse kommen extreme Benachteiligungen vor allem auf Städte wie Paderborn und Siegen zu, die als Oberzentren über ein großes Umland verfügen, aber nicht entsprechend eingestuft werden.
Die klagenden Städte und Gemeinden erheben zahlreiche Einwendungen gegen die Methodik der Bedarfsermittlung und der Einnahmekraftbestimmung der Kommunen. Insbesondere wenden sie sich gegen die 1996 veränderte Hauptansatzstaffel und beanstanden die Sachgerechtigkeit des Soziallasten- und des Zentralitätsansatzes. Sie halten die stufenweise ab 1996 eingeführten höheren und ab 1998 einheitlichen fiktiven Realsteuerhebesätze für undifferenziert und greifen den Ausgleichsgrad an, weil er die Finanzkraft der Kommunen unzulässig nivelliert.
Eine sachgerechte Erfassung der kommunalen Steuerkraft kann sich aus Sicht der klagenden Städte und Gemeinden nicht auf einen einheitlichen Hebesatz beschränken, denn das Potential für eine Hebesatzanspannung weist in Abhängigkeit von der Zentralität, der Güte der Infrastruktur und der Ergiebigkeit des Arbeitsmarktes deutliche Unterschiede zwischen dem kreisfreien und dem kreisangehörigen Raum auf. So beträgt der Durchschnittshebesatz bei der Gewerbesteuer in den kreisfreien Städten 441 Punkte und im kreisangehörigen Bereich 374 Punkte, während der Landesdurchschnitt 403 Punkte beträgt. Dieses tatsächliche unterschiedliche Hebesatzniveau hat sich über Jahrzehnte auf der Grundlage der bestehenden Standortbedingungen und des wirtschaftlichen Umfeldes entwickelt. Städte und Gemeinden können sich über diese Gegebenheiten nicht hinwegsetzen. Die Anhebung der fiktiven Hebesätze bei der Gewerbesteuer und der Grundsteuer B hat 1996 zu der befürchteten Welle von Hebesatzerhöhungen geführt, die wirtschaftspolitisch außerordentlich bedenklich ist. Dieser Trend wird sich 1997 und in den Folgejahren verstärkt fortsetzen.
Die Beschwerdeführer werden durch den Bonner Fachanwalt für Verwaltungsrecht Prof. Dr. Raimund Wimmer vertreten. Die Verfassungsbeschwerden stützen sich auf ein finanzwissenschaftliches Gutachten, das das Institut für Wirtschaftsforschung Halle und die Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung mbH Bochum im Auftrag des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes und des Landkreistages Nordrhein-Westfalen erarbeitet haben.
Es stützt die Einwendungen der Kommunen und hält das nordrhein-westfälische Finanzausgleichssystem in seinen wesentlichen Elementen nicht für sachgerecht als auch finanzwissenschaftlich nicht für begründet.
V.i.S.d.P.: HGF Christof Sommer, Pressesprecher Philipp Stempel, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Kaiserswerther Straße 199-201, 40474 Düsseldorf, Tel. 0211/ 4587-230, Fax: -287, E-Mail: presse@kommunen.nrw , Internet: www.kommunen.nrw
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