Kommunale Spitzenverbände NRW warnen vor Finanzkollaps

"Ohne gute Ergebnisse der Reform der Gemeindefinanzen steuern die Kommunalhaushalte auf eine Katastrophe zu"

StGB NRW-Pressemitteilung
Düsseldorf, 09.12.2002

Die Lage der Haushalte von Städten, Gemeinden und Kreisen in Nordrhein-Westfalen wird angesichts von schwindenden Steuereinnahmen, hohen Rückzahlungsansprüchen des Landes und wachsenden Aufgaben und Ausgaben immer dramatischer. "In diesem Jahr sind in den kommunalen Verwaltungs-haushalten in NRW Rekorddefizite in Höhe von 3 Milliarden Euro zu befürchten. Viele Kommunen stehen unmittelbar vor dem finanziellen Kollaps", sagte der Vorsitzende des Städtetages Nordrhein-Westfalen, der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma, heute bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der kommunalen Spitzenverbände in Düsseldorf. Nur noch in Ausnahmefällen könnten die großen und größeren Städte in NRW ausgeglichene Haushalte vorlegen, fast alle kreisfreien Städte seien Haushaltssicherungskonzepten unterworfen. Immer mehr Städte und Gemeinden müssten ihre laufenden Ausgaben mit Hilfe von Kassenkrediten finanzieren – dadurch sei der haushaltsrechtliche Ausnahmezustand für einen Großteil der Kommunen in NRW zur absurden Normalität geworden.
 
"Während bislang kommunale Konkurse durch das Haushaltsrecht als so gut wie ausgeschlossen galten, droht für die Zukunft Kommunen in NRW erstmals die Zahlungsunfähigkeit. Schon geringe Zinserhöhungen bei den bislang vergleichsweise billigen Kassenkrediten können bei besonders desolater Finanzlage zur Insolvenz führen. Das hieße, dass dann das Land solchen Städten unmittelbar Hilfe leisten müsste", sagte Schramma. In der Praxis bedeuteten die hohen Kassenkredite und Defizite schon heute, dass immer mehr Kommunen Sozialhilfe für Bedürftige oder Personalkosten für Erzieherinnen, für Bademeister und Museumsmitarbeiter auf Pump finanzieren müssten: "Viele Kommunen sind gezwungen, sich mit diesen dauerhaften Kassenkrediten gewissermaßen außerhalb der Legalität zu bewegen."
 
Schramma verwies auf die dramatischen Folgen, die die Krise der Kommunalfinanzen und der damit verbundene strikte Sparkurs der Städte, Gemeinden und Kreise sowohl für die Qualität der kommunalen Infrastruktur als auch für die lokale Wirtschaft habe: "In den vergangenen zehn Jahren sind die kommunalen Investitionen in Nordrhein-Westfalen um beinahe 40 Prozent von 6 Milliarden Euro auf 3,8 Milliarden Euro zurückgegangen." Die fortgesetzten Sparmaßnahmen ließen die Infrastruktur – zum Beispiel Schulen, Straßen und andere öffentliche Gebäude – mehr und mehr verkommen. Darüber hinaus bedrohten weitere Einschnitte der Kommunen als größter öffentlicher Auftraggeber Arbeitsplätze in derzeit ohnehin Not leidenden kleinen und mittleren Betrieben.
 
Im Bereich der kreisangehörigen Städte und Gemeinden ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Kommunen mit einem Haushaltssicherungskonzept von derzeit 87 auf mehr als 200 im kommenden Jahr sprunghaft ansteigen wird. Angesichts eines strukturellen Defizites in den Kreishaushalten in Höhe von 400 Millionen Euro forderte Thomas Kubendorff, Landrat des Kreises Steinfurt und Vizepräsident des nordrhein-westfälischen Landkreistages, Sofortmaßnahmen, mit denen das Gleichgewicht zwischen kommunalen Einnahmen auf der einen und Aufgaben und Ausgaben auf der anderen Seite wieder hergestellt werden könne. Die Erhöhung der Gewerbesteuer-Umlage, die sich Bund und Länder gegen den Willen der Kommunen im Rahmen der Steuerreform des Jahres 2000 genehmigt hatten, müsse umgehend rückgängig gemacht werden. In Anbetracht des auch im Jahr 2002 weiter sinkenden Gewerbesteuer-Aufkommens sei jegliche Geschäftsgrundlage für diese Maßnahme weggefallen. "Die Kommunen fordern das Land auf, sich der Bundesratsinitiative für eine Absenkung der Gewerbesteuerumlage anzuschließen", sagte Kubendorff: "Über solche Soforthilfe hinaus muss die versprochene Gemeindefinanzreform schnell kommen und zu wirklichen und nachhaltigen Einnahmeverbesserungen der Kommunen führen."
 
Kubendorff setzte sich nachdrücklich dafür ein, in der Landesverfassung ein striktes Konnexitätsprinzip – also den Grundsatz "Wer bestellt, bezahlt" – zu verankern. Nur so könne sichergestellt werden, dass das Land künftig keine kostenträchtigen Aufgaben auf die kommunale Ebene verlagert, ohne für einen entsprechenden finanziellen Ausgleich zu sorgen. Außerdem müsse den kommunalen Spitzenverbänden ein wirksameres Mitspracherecht beim Erlass von kommunal belastenden Gesetzen eingeräumt werden.

Roland Schäfer, Bürgermeister von Bergkamen und Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW, unterstrich, dass die Finanzkrise nicht allein ein Problem der Großstädte sei, sondern dass sich auch die Haushaltslage der kreisangehörigen Städte und Gemeinden katastrophal verschlechtert habe. Nach der jüngsten Umfrage des Verbandes zur Gewerbesteuerentwicklung im Jahr 2002 hätten viele Städte und Gemeinden im ersten Halbjahr 2002 Einbrüche von mehr als 30 Prozent zu verkraften. Die Sparpotenziale seien längst aufgezehrt und alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass die Anzahl auch der kreisangehörigen Kommunen in der Haushaltssicherung im kommenden Jahr dramatisch ansteigen werde.

"Jetzt ist eine sofortige Rettungsaktion für die Kommunen notwendig", sagte Schäfer. Als erste Maßnahme müsse die Gewerbesteuer-Umlage gesenkt werden, um dem Verfall in den Städten und Gemeinden entgegenzuwirken. Das Land müsse dabei seiner Verantwortung für die Kommunen gerecht werden, indem es seinen Einfluss in Berlin für dieses Ziel geltend mache.

Die Gemeindefinanzreform und insbesondere die von der Landesregierung NRW vorgeschlagene Modernisierung der Gewerbesteuer sei richtig und notwendig. Die Finanzprobleme der Kommunen ließen sich allerdings nicht alleine über Verbesserungen auf der Einnahmeseite lösen. Neue Spielräume für eine aktive Politikgestaltung auf der kommunalen Ebene könne man nur gewinnen, wenn endlich die überbordende und längst nicht mehr finanzierbare kommunale Aufgabenlast reduziert werde. "Wir brauchen einen gemeinsamen Pakt der Vernunft und Ehrlichkeit von Land und Kommunen", sagte Schäfer. Nicht alles Wünschenswerte sei künftig auch finanzierbar. Deshalb müsse Schluss sein mit immer weiteren Leistungsversprechen von Bund und Land, deren Umsetzung weitgehend von den Städten und Gemeinden zu finanzieren sei. Als Beispiel nannte Schäfer die von Bund und Land vorgesehene Ausweitung der Ganztagsbetreuung.
 
Parallel zur Reduzierung der Aufgaben müsse ein umfassender Bürokratie- und Standardabbau erfolgen. Dabei dürfe es keine Denkverbote und Tabus geben. So würde es völlig ausreichen, den Sicherstellungsauftrag für Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Abwasser festzulegen und die Art der Umsetzung den Kommunen zu überlassen. In diesem Zusammenhang begrüßte Schäfer ausdrücklich die von NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück angekündigte Initiative zur weiteren Entbürokratisierung. "Wenn künftig Gesetze und alle untergesetzlichen Regelungen ein Verfallsdatum bekommen, wäre eine wichtige Forderung der Kommunen erfüllt", so Schäfer.

V.i.S.d.P.: HGF Christof Sommer, Pressesprecher Philipp Stempel, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Kaiserswerther Straße 199-201, 40474 Düsseldorf, Tel. 0211/ 4587-230, Fax: -287, E-Mail: presse@kommunen.nrw , Internet: www.kommunen.nrw      
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