NW Städte- und Gemeindebund zur Finanzlage der Kommunen:

Kommunen in höchster Not

StGB NRW-Pressemitteilung
Düsseldorf, 10.01.1996

I. Katastrophale Verschlechterung der Kommunalfinanzen  

 Die kreisangehörigen Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen stehen vor dem finanziellen Kollaps. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes, an der 274 oder knapp 77 % der kreisangehörigen Städte und Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen teilgenommen haben. Der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes, Bürgermeister Albert Leifert, MdL, erklärte hierzu heute in Düsseldorf:

1. Zahl der Kommunen mit Haushaltssicherungskonzepten nimmt erschreckend zu

Die Zahl der kreisangehörigen Kommunen, die trotz aller Anstrengungen 1995 und 1996 ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen mußten, nimmt erschreckende Dimensionen an. So mußten im Jahr 1995 49 Kommunen (18 % von 274 Städten und Gemeinden) ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen. Im Jahr 1996 steigt die Zahl auf 74 Kommunen (27 % von 274 Städte und Gemeinden) an. Im Vergleich der Jahre 1995/1996 verdoppelt sich also die Anzahl der kreisangehörigen Städte und Gemeinden, die ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen müssen.

Nach dem jetzigen Planungsstand rechnen diese Kommunen in den angegebenen Jahren damit, den Haushalt auszugleichen:

1997

3

Gemeinden

1998

12

Gemeinden

1999

27

Gemeinden

2000

12

Gemeinden

2001

3

Gemeinden

nicht absehbar

16

Gemeinden

Eine weitere erschreckende Feststellung des Umfrageergebnisses ist, daß nicht nur die Zahl der Städte und Gemeinden mit Haushaltssicherungskonzepten, sondern auch das Volumen der Fehlbedarfe gegenüber dem schon sehr hohen Niveau von 1995 landesweit um weitere 15 %, rd. 500 Mio DM, zunimmt. Hinzu kommt, daß auch etliche Kreise Fehlbedarfe in ihren `96er Verwaltungshaushalten aufweisen, die die kreisangehörigen Städte und Gemeinden über die Kreisumlage zusätzlich belasten.

2. Zahl der Kommunen ohne Hauhaltsausgleich wird weiter dramatisch ansteigen

Ein Ende dieser katastrophalen defizitären Finanzentwicklung für die Städte und Gemeinden ist nicht in Sicht. In 1995 können neben den 49 Städten und Gemeinden mit Haushaltssicherungskonzepten weitere 71 den Haushaltsausgleich nur dadurch erreichen, daß sie ihre Rücklagen auflösen bzw. Vermögensveräußerungen tätigen. Das bedeutet, daß 1995 bei insgesamt 120 Kommunen kein strukturell ausgeglichener Haushalt vorliegt. Für 1996 ist neben den 74 Städten und Gemeinden mit Haushaltssicherungskonzepten mit weiteren 62 zu rechnen, die den Haushaltsausgleich nur durch Rücklagenentnahmen bzw. Vermögensveräußerungen erreichen können. Die Zahl der Kommunen mit strukturell unausgeglichenem Haushalt steigt 1996 auf 136 an.

Die Tatsache, daß im Jahr 1996 62 Städte und Gemeinden gegenüber 71 in 1995 den Haushaltsausgleich nur durch Entnahme aus der allgemeinen Rücklage bzw. Vermögensveräußerung erreichen können, ist nicht auf eine Verbesserung der Finanzsituation, sondern darauf zurückzuführen, daß die vorhandenen Rücklagen erschöpft sind.

“Die Anzahl der Kommunen, die einen Haushaltsausgleich ohne Eingriff in ihre eigene Substanz tätigen und somit einen “echten” Haushaltsausgleich vorweisen können, verringert sich rapide”, so Leifert. “Im Ergebnis ist festzuhalten, daß 1996 jede zweite kreisangehörige Kommune keinen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorweisen kann”.

3. Starker Einbruch bei den Steuereinnahmen 

Die Konjunkturschwäche hat in den Jahren 1993 und 1994 zu dramatischen Einbrüchen bei der Gewerbesteuer (Rückgang 1994 - 4,5 %) geführt. Diese Tendenz hat sich in den ersten drei Quartalen des Jahres 1995 mit - 5,5 % weiter fortgesetzt. Das bedeutet, daß die Gewerbesteuereinnahmen (netto) 1995 nochmals deutlich zurückgehen.

Demgegenüber ist bei den Grundsteuern A und B in den Jahren 1993 und 1994 ein moderates Wachstum zu verzeichnen (+ 5,6 %). Diese Entwicklung hält auch in den ersten drei Quartalen des Jahres 1995 mit + 6,6 % an. Nach dem Ergebnis der Umfrage wird das Aufkommen von Gewerbesteuer (netto) und Grundsteuern A und B für 1996 durchschnittlich rd. 630,-- DM pro Einwohner betragen. Das sind rd. 14,-- DM pro Einwohner bzw. 2,3 % mehr als in 1995.

“Im Ergebnis zeigt die Umfrage bei den Realsteuereinnahmen einen stagnierenden Verlauf auf. Das bedeutet, daß die für 1996 zu erwartende finanzielle Talfahrt auch aufgrund des Rückgangs beim Gemeindeanteil an der Einkommensteuer durch die eigenen Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden nicht aufgehalten werden kann”, so Leifert. “Besorgniserregend ist weiter die Tatsache, daß die Städte und Gemeinden mit Haushaltssicherungskonzepten durchschnittlich um rd. 71,-- DM pro Einwohner geringere Realsteuereinnahmen verfügen als die übrigen Städte und Gemeinden”.

4. Maßvoller Zuwachs bei den Gebühreneinnahmen

Nach dem kräftigen Anstieg der Gebühreneinnahmen in den Jahren 1993 und 1994 (+ 8 % im Jahr 1994) ist in den Jahren 1995 und 1996 mit einem erheblich geringern Zuwachs zu rechnen. So ist in den ersten drei Quartalen des Jahres 1995 bei den Gebühreneinnahmen gegenüber 1994 eine Stagnation zu verzeichnen. Nach dem Umfrageergebnis wird sich diese Entwicklung mit leicht aufwärts gerichteter Tendenz im Jahr 1996 fortsetzen. So haben die kreisangehörigen Städte und Gemeinden bei den Gebühreneinnahmen für 1996 einen leichten Zuwachs von 3 % eingeplant. Damit spiegelt die Steigerungsrate bei den Gebühren im Jahr 1996 in etwa die für 1996 zu erwartenden Preissteigerungsrate wider.

Nach den Worten Leiferts zeigt diese Entwicklung, daß der an die Städte und Gemeinden gerichtete Vorwurf, ihre Haushalte auf Kosten der Gebührenzahler zu sanieren, jeglicher Grundlage entbehrt, denn entscheidend sind die Gesamteinnahmen und nicht die Höhe des Gebührensatzes pro cbm oder Tonne.

5. Anstieg der Kreisumlage nicht zu stoppen  

Ein neuralgischer Punkt auf der Ausgabenseite wird auch im Jahr 1996 die Kreisumlage, die maßgeblich durch die Sozialausgaben beeinflußt wird, sein. Nach dem Umfrageergebnis erwarten die Städte und Gemeinden für 1996 einen Zuwachs bei der Kreisumlagevon 1,15 Punkten auf durchschnittlich 40,75 %. Einwohnerbezogen wird im Jahr 1996 mit einer Belastung bei der Kreisumlage in Höhe von 626,-- DM pro Einwohner gerechnet.

II. Abwehr weiterer Verschlechterungen

Vor diesem Hintergrund richtete der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Städte- und Gemeindebundes, Bürgermeister Albert Leifert, MdL, mit Blick auf die laufenden Verhandlungen über die Gemeindefinanzierung 1996 folgende Forderungen und Appelle an den Landtag und die Landesregierung NRW:

1. Im Gesetzentwurf des GFG 1996 ist für die Zuweisungen des Landes im Rahmen des allgemeinen Steuerverbundes ein Betrag von 13.321,9 Mio DM ausgewiesen. Gegenüber dem GFG 1995 bedeutet dies rein rechnerisch eine Steigerung von 9,1 %. Diese Steigerungsrate ist irreführend und gibt ein verzerrtes Bild wieder. Wird aus dieser Summe die Befrachtung in Höhe von 289,1 Mio DM und der Abrechnungsbetrag aus dem GFG in Höhe von 216,5 Mio DM herausgerechnet, ergibt sich eine Steigerungsrate der allgemeinen Zuweisungen und Zweckzuweisungen 1996 zu 1995 von 5 %. Hält man sich darüber hinaus an die Systematik der Ableitung des Steuerverbundes des Vorjahres, ergibt sich lediglich eine Zuwachsrate von rd. 1 %.
“Aus diesem Grund gehen die von Innenminister Kniola im Rahmen der 1. Lesung des GFG 1996 zitierten 825,5 Mio DM mehr bescherten Gemeindefinanzen” völlig an den Realitäten des `96er Finanzausgleichs vorbei”, so Leifert. “Der Innenminister verschweigt bewußt, daß unter Berücksichtigung der Befrachtung, der Abrechnung aus dem GFG 1994 und der gegenüber dem Vorjahr geänderten Systematik der Ableitung des Steuerverbundes im `96er Finanzausgleichstopf nur rd. 138 Mio DM mehr sind als im GFG 1995.”

2. Die Schlüsselzuweisungen sollen 1996 parallel zum Landesetat um 3 v.H. (312,5 Mio DM) steigen. Wird jedoch der negative Abrechnungsbetrag aus dem GFG 1994 in Höhe von rd. 201,5 Mio DM berücksichtigt, liegt lediglich eine Steigerung von 111,0 Mio DM oder 1,06 % vor - tatsächlich ist also keine Steigerung der Schlüsselmasse 1996 entsprechend der Steigerung des Landeshaushalts gegeben, wie in der Regierungserklärung versprochen.
Außerdem stellte Leifert noch einmal fest, daß es sich beim kommunalen Finanzausgleich nicht um das Recht der Gemeinden auf Landesausgaben, sondern um den gerechten Anteil der Kommunen an den Landessteuereinnahmen handelt. Angesichts der katastrophalen Finanzlage der Städte und Gemeinden ist eine Verstärkung der Schlüsselzuweisungen um mindestens 200 Mio DM unabdingbar, um die Handlungsfähigkeit der Kommunen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1996 zu sichern. Eine solche Verstärkung der allgemeinen Deckungsmittel ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß sich die Finanzkraft aller Städte und Gemeinden 1995 gegenüber 1994 um rd. 1 Mrd DM verringert hat und in 1996 um weitere 370 Mio DM verschlechtern wird, unabdingbar.
Der Nordrhein-Westfälische Städte- und Gemeindebund fordert deshalb, daß die für die Umsetzung des ifo-Gutachtens vorgesehene Anpassungshilfe in Höhe von 250 Mio DM voll der Schlüsselmasse zugeschlagen wird. Dies hat zur Folge, daß die Negativwirkung aus der Abrechnung des Jahres 1994 im Zuge des Finanzausgleichs 1996 ohne jeden Abstrich aufgefangen wird.

3. Die im Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 vorgesehene Befrachtung der Zweckzuweisungen bzw. Entfrachtung des Landesetats in Höhe von rd. 289 Mio DM stößt auf strikteste Ablehnung. Es ist eine unerträgliche Zumutung, daß das Land den kommunalen Steuerverbund zur Konsolidierung des Landesetats in einer Größenordnung von ½ %-Punkt der Verbundmasse heranziehen will. Seitens des Landes wird offensichtlich unterstellt, daß es dem Land finanziell wesentlich schlechter geht als den Kommunen. Diese Annahme ist schlicht unzutreffend.

Abschließend forderte Präsident Leifert, MdL, Finanzminister Schleußer auf, die Auswirkungen der Oktober-Steuerschätzung auf die zu erwartenden Ausfälle bei den Steuereinnahmen des Landes und die Zahllast im Länderfinanzausgleich offenzulegen. “Wenn das Risiko aus Steuereinnahmeausfällen und Länderfinanzausgleich 1,5 Mrd DM beträgt, dann muß für die Städte und Gemeinden umgehend Klarheit geschaffen werden, mit welchen zusätzlichen Belastungen im Zuge des 96er Finanzausgleichs zu rechnen ist”, betonte Leifert.

V.i.S.d.P.: HGF Christof Sommer, Pressesprecher Philipp Stempel, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Kaiserswerther Straße 199-201, 40474 Düsseldorf, Tel. 0211/ 4587-230, Fax: -287, E-Mail: presse@kommunen.nrw , Internet: www.kommunen.nrw      
=> Datenschutz-Hinweise für Empfänger/innen der Benachrichtigungs-Mail

ICON/icon_verband ICON/icon_staedtebau ICON/icon_recht ICON/icon_finanzen ICON/icon_kultur ICON/icon_datenverarbeitung ICON/icon_gesundheit ICON/icon_verkehr ICON/icon_bau ICON/icon_umwelt icon-gemeindeverzeichnis icon-languarge icon-link-arrow icon-login icon-mail icon-plus icon-search