Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Große Rückschläge bei den Kommunalfinanzen
Das Ergebnis der Haushaltsumfrage des Städte- und Gemeindebundes NRW unter seinen Mitgliedskommunen für 2020 und 2021 belegt dringenden Handlungsbedarf von staatlicher Seite.
Im letzten Jahr an gleicher Stelle war die Herausforderung, die Ergebnisse einer in „normalen“ Zeiten begonnenen Haushaltsumfrage den Auswirkungen der hereinbrechenden Corona-Pandemie gegenüber zu stellen. Seinerzeit wusste man noch wenig von Ausmaß, Folgen und Dauer der Krise. Der Mund-Nasen-Schutz war als täglicher Begleiter noch ungewohnt. Um möglichst rasch ein Gefühl für das zu bekommen, was auf die Kommunen zukommt, hatten wir uns zunächst mit eigenen Blitzumfragen beholfen. Klar schien schon zu diesem Zeitpunkt nur, dass es nicht ohne echte Finanzhilfen gehen würde.
Heute ist die Krise Alltag geworden. Man vergisst eher die Aktentasche als seine FFP-2-Maske. Die befürchteten massiven finanziellen Auswirkungen sind in mehreren Steuerschätzungen bestätigt worden. Nach den Ergebnissen der November-Steuerschätzung 2020 drohen den Gemeinden bundesweit in den Jahren 2020 bis 2024 Steuerverluste in Höhe von insgesamt 50 Milliarden Euro. Das genaue Ausmaß verändert sich allerdings weiterhin abhängig vom Ablauf der Pandemie, vor allem von weiteren Lockdowns.
Hilfen von Bund und Land Bund und Land haben im Haushaltsjahr 2020 auf die Krise reagiert: teils mit echten Finanzhilfen - Gewerbesteuerkompensation in Höhe von 2,7 Milliarden Euro und Sonderhilfen für Stärkungspaktkommunen - und teils durch haushaltsrechtliche Anpassung. Außerdem hat das Land den kommunalen Finanzausgleich um fast eine Milliarde Euro aufgestockt und so das Niveau gesichert, mit dem man vor der Krise für 2021 gerechnet hatte. Allerdings hat das Land zugleich angekündigt, sich diese Mittel in besseren Zeiten durch Kürzungen in künftigen Finanzausgleichen wieder zurückzuholen.
Schließlich ist - wenn auch sachlich von den Corona-Hilfen zu trennen - auf die seit langem geforderte dauerhafte Aufstockung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) auf bis zu 75 Prozent hinzuweisen, die rückwirkend ab 2020 gewährt wurde und etwa eine Milliarde Euro jährlich für NRW ausmacht.
NKF-COVID-19-Isolierungsgesetz Unter den haushaltsrechtlichen Maßnahmen sticht das NKF-COVID-19-Isolierungsgesetz heraus, das kurzfristig alle Kommunen verpflichtet, Corona-Schäden rechtlich isoliert darzustellen, so dass sie die Haushalte vorübergehend nicht belasten. Das Volumen der isolierten Schäden ist naturgemäß ein wesentliches Indiz für die finanziellen Auswirkungen der Krise auf kommunaler Ebene und wurde daher in der diesjährigen Haushaltsumfrage erstmals mit abgefragt.
Für 2020 ergibt sich bei den Mitgliedsstädten und -gemeinden danach trotz gewährter Hilfen immer noch ein Wert von 610 Millionen Euro. Deutlich düsterer sieht es dagegen für 2021 aus. Hier liegt der Wert mit rund 1,34 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch, was nochmals deutlich unsere Forderung belegt, dass über die GFG-Aufstockung hinaus dringend weitere echte Finanzhilfen notwendig sind. Denn eines darf nicht vergessen werden: Die Isolierung der Corona-Schäden führt nur zu einer zeitweisen Ausblendung der Schäden. Diese verbleiben aber bei den Kommunen und müssen entweder im Jahr 2024 von der Rücklage abgezogen oder ab 2025 über bis zu 50 Jahre abgeschrieben werden.
Investitionsdefizit und steigende Ausgaben Schaut man auf das Gesamtbild, wird beklemmend deutlich, wie sehr die aktuelle Strategie der Krisenbewältigung insgesamt von der Zukunft lebt. Zu den isolierten Schäden und zu der nur „kreditierten“ Aufstockung des kommunalen Finanzausgleichs kommt ein milliardenschweres kommunales Investitionsdefizit hinzu.
Außerdem drohen in den kommenden Jahren erhebliche Steigerungen bei den kommunalen Sozialausgaben, die indirekt auch von kreisangehörigen Gemeinden getragen werden und bundesweit von 62 Milliarden Euro in 2020 auf 73 Milliarden Euro in 2024 steigen sollen. Schließlich darf keinesfalls die Tatsache vergessen werden, dass die Kommunen schon vor der Krise in einem Zustand struktureller Unterfinanzierung wirtschaften mussten, die vielerorts auch zu erheblichen Altschulden geführt hat.
Zieht man ehrlich Bilanz, steht nach unserer Überzeugung eines fest: Die Kommunen mit ihrer begrenzten Ertragsbasis sind nicht die richtige Ebene im staatlichen Gesamtgefüge, um die zweite große Finanzkrise seit der Jahrtausendwende in solch erheblichem Umfang mitzufinanzieren. Da hilft auch kein Verschieben in die Zukunft, das ohnehin spätestens dann scheitert, wenn die nächste Finanzkrise kommt („nach der Krise ist vor der Krise“). Stattdessen brauchen wir für dieses und die kommenden Jahre weitere echte Finanzhilfen, die ein erster Schritt dahin sein müssen, die Kommunalfinanzen dauerhaft ins Gleichgewicht zu bringen.
Den aktuellen Status quo dokumentieren unterdessen – wie seit Jahrzehnten verlässlich – die Ergebnisse unserer diesjährigen Haushaltsumfrage:
Haushaltssicherung Ein wichtiger Indikator für die Finanzlage bleibt - auch in Pandemiezeiten - die Anzahl der Kommunen mit Haushaltssicherungskonzept (HSK) oder Haushaltssanierungsplan, soweit es sich um Stärkungspaktkommunen handelt. Ein HSK muss aufgestellt werden, wenn eine Kommune ihren Haushalt nicht einmal fiktiv ausgleichen kann und die allgemeine Rücklage mehr als nur unwesentlich verringern muss. 95 StGB NRW-Mitgliedskommunen erwarten diese Situation für 2021. Gegenüber dem Vorjahresstand von 103 Kommunen hat sich die Zahl somit um rund acht Prozent verbessert. Dass die Meldungen insoweit nicht deutlich negativer ausfallen, hängt wesentlich mit der Ausblendung vorhandener Defizite durch das NKF-COVID-19-Isolierungsgesetz zusammen.
Einen unverfälschten Blick auf die Finanzsituation gibt demgegenüber der Parameter des strukturellen Haushaltsausgleichs. Einen solchen planen 2021 nur noch 70 der 360 befragten Kommunen (19,44 Prozent). Im Vorjahr waren es noch 125 Städte und Gemeinden gewesen (34,72 Prozent). Weitere 195 Kommunen (54,16 Prozent, Vorjahr: 132 Kommunen) erreichen einen fiktiven Haushaltsausgleich nur durch eine weitere Reduzierung ihres Eigenkapitals. Ein deutlicher Negativtrend! Der von der NRW-Gemeindeordnung postulierte Normalfall des strukturellen Haushaltsausgleichs bleibt damit weiterhin die Ausnahme statt die Regel.
Schaubild 1: Haushaltswirtschaftliche Lage
Den strengsten Restriktionen sind diejenigen Städte und Gemeinden unterworfen, deren Haushaltssicherungskonzept von der Kommunalaufsicht nicht genehmigt wird, da sie auch auf mittlere Sicht keinen Haushaltsausgleich erreichen können. In der so genannten vorläufigen Haushaltswirtschaft - auch Nothaushaltsrecht genannt - sind den Kommunen freiwillige Ausgaben grundsätzlich untersagt. Nach drei Mitgliedsgemeinden in 2020 trifft diese Situation in 2021 voraussichtlich nur noch ein Mitglied.
HSK-Zeitraum und Stärkungspakt Anteil an der längerfristigen Entwicklung haben nach wie vor die Verlängerung des HSK-Zeitraums in § 76 Gemeindeordnung NRW auf zehn Jahre und das Stärkungspaktgesetz. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2011 ist zur Genehmigung eines Haushaltssicherungskonzepts nicht mehr erforderlich, dass der Haushaltsausgleich innerhalb von fünf Jahren erreicht wird. Eine Genehmigung ist stattdessen auch möglich, wenn der Haushalt innerhalb der kommenden zehn Jahre ausgeglichen werden kann. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Kommunen war und ist mit einer solchen Fristverlängerung freilich nicht verbunden.
Auf der anderen Seite mussten nach dem Stärkungspaktgesetz die wirtschaftlich besonders schlecht gestellten Städte und Gemeinden in einem Haushaltssanierungsplan darstellen, wie und wann sie zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen wollen, und hatten dabei zu drastischen Sparanstrengungen greifen müssen. Für den Großteil der Teilnehmenden endet der Stärkungspakt mit dem Haushaltsjahr 2021.
Eigenkapital und Überschuldung Einen wichtigen Teil der Erfassung bildete auch in diesem Jahr wiederum die Abfrage, inwieweit ein Abbau der Ausgleichsrücklage - des Anteils am Eigenkapital, der haushaltsrechtlich zum fiktiven Haushaltsausgleich eingesetzt werden kann - sowie ein Abbau des Eigenkapitals im Übrigen stattfindet. Insgesamt geben 171 Mitglieder (47,5 Prozent) eine eingetretene oder erwartete Aufzehrung ihrer Ausgleichsrücklage an. Bis Ende 2021 erwarten 120 StGB NRW-Mitgliedstädte und -gemeinden den vollständigen Verbrauch ihrer Ausgleichsrücklage und für die drei Folgejahre noch einmal 51 Städte und Gemeinden. Dies bedeutet, dass im Finanzplanungszeitraum 171 der 360 befragten Kommunen - über 47 Prozent - mit einem vollständigen Verzehr ihrer Ausgleichsrücklage rechnen.
Schaubild 2: Ausgleichsrücklage
13 Kommunen haben bereits jetzt das Eigenkapital vollständig aufgezehrt. Allein diese Zahl belegt die anhaltende Brisanz der finanziellen Situation. Diese StGB NRW-Mitgliedstädte und -gemeinden sind unter anderem diejenigen, die für den Zeitraum von zehn Jahren (bis einschließlich 2020) im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen besondere Konsolidierungshilfen des Landes erhalten hatten.
Mit dem laufenden Jahr endet für 61 Kommunen allerdings der Stärkungspakt. Ihre Haushaltssanierungspläne mussten den Haushaltsausgleich im laufenden Jahr ohne Konsolidierungshilfen darstellen können. Ab dem kommenden Jahr fallen sie wieder unter das reguläre Haushaltsrecht. Nur für die drei Teilnehmenden der sogenannten 3. Stufe des Stärkungspaktes muss der Haushalt erst im Jahr 2023 ohne Konsolidierungshilfe ausgeglichen sein.
Das Erreichen des Haushaltsausgleichs aus eigener Kraft ist für die Teilnehmende ein großer Erfolg, der bekanntermaßen hart erkämpft werden musste. Viele Stärkungspakt-Kommunen sind bei ihren Konsolidierungsanstrengungen bis an die Schmerzgrenze - und stellenweise auch darüber hinaus - gegangen. Dennoch bleibt dieser Zwischenerfolg richtig einzuordnen: Es ist (nur) ein Etappensieg auf dem langen Weg hin zu gesunden Kommunalfinanzen.
Die ursprüngliche Idee eines Überschuldungs- und Altschuldenabbauprogramms musste angesichts der immensen Herausforderungen schon vor Beginn des Stärkungspakts auf ein Etappenziel reduziert werden: den - zumindest bei Abschluss des Programms möglichen - Haushaltsausgleich aus eigener Kraft. Das Ursprungsproblem vielerorts bestehender Überschuldung und Altschulden ist aber weiterhin ungelöst. Die Ankündigung aus dem aktuellen Koalitionsvertrag, den Stärkungspakt zu einer verlässlichen und nachhaltig wirkenden „Kommunalen Kredithilfe“ weiterzuentwickeln, wurde bislang nicht umgesetzt. Es bleibt ein immenses Nachhaltigkeitsproblem, das angesichts der noch bestehenden Niedrigzinsphase rasch angepackt werden muss. Auch hier gilt im Übrigen: Ein Verschieben in die Zukunft, womöglich durch „billige“ Kredite, löst das Grundproblem nicht.
Ertrag aus Gewerbesteuer und Grundsteuer In den Haushaltsplanungen gehen die Kämmereien von einem weiteren Rückgang des Netto-Gewerbesteueraufkommens um 2,6 Prozent gegenüber 2020 auf rund 4,512 Milliarden Euro aus. 2019 hatte dieser Wert noch bei rund 5,1 Milliarden Euro gelegen.
Der durchschnittliche Gewerbesteuerhebesatz liegt 2021 in den StGB NRW-Mitgliedskommunen bei 449 Prozentpunkten. 2020 lag er bei 448. Deutlich lässt sich ein Zusammenhang zwischen Gewerbesteuerhebesatz und Gemeindegröße feststellen. Die tatsächliche Staffelung belegt das unterschiedliche Hebesatzpotenzial der kommunalen Familie. Denn Kommunen im kreisangehörigen Raum müssen den Anreiz niedriger Hebesätze bieten, damit sie im landesweiten Standortwettbewerb um Unternehmen, Arbeitskräfte und Wertschöpfungspotenzial - sprich: im Bemühen um eine positive Entwicklung ihres Gemeinwesens - erfolgreich bestehen und Nachteile, die sich aus Lage oder Größe der Kommune ergeben, zum Teil kompensieren können. Tatsächlich liegt die Spreizung der Hebesätze bei der Gewerbesteuer zwischen 250 Prozentpunkten in Monheim am Rhein und 600 Prozentpunkten in Inden.
Für die Grundsteuer B wird mit einem Aufkommen von 1,863 Milliarden Euro (Plus 1,62 Prozent) gerechnet. Es kommt im Durchschnitt zu einer Anhebung der Hebesätze auf 305 Prozent bei der Grundsteuer A (Plus 2 Punkte) und auf 543 Prozent bei der Grundsteuer B (Plus 6 Punkte). Spitzenreiter ist hier die Stadt Bergneustadt, die auch 2021 den Hebesatz für die Grundsteuer B auf 959 Prozent festgesetzt hat. Hintergrund sind die energischen Bemühungen der Kommunen, ihre Haushaltsnotlage in den Griff zu bekommen. Den niedrigsten Hebesatz hat Verl mit 190 Prozent.
Schaubild 3: Realsteuerhebesätze
Kredite zur Liquiditätssicherung Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben die NRW-Kommunen zum 31. Dezember 2020 Kredite zur Liquiditätssicherung (Kassenkredite) in Höhe von rund 20,1 Milliarden Euro aufgenommen. Davon abgesehen, dass diese Zahlen für sich genommen nur bedingt aussagekräftig sind, weil sie die kommunale Wertpapierverschuldung nicht bei den Kassenkrediten berücksichtigen, obwohl diese zumindest teilweise dieselbe Funktion erfüllt, bleibt das Volumen der Kassenkredite traditionell ein wichtiger Gradmesser für die anhaltend schwierige Lage der Kommunalfinanzen in NRW.
Zwar ist im Moment die Zinsbelastung wegen der äußerst niedrigen Zinssätze für die Kassenkredite moderat. Beim hohen Stand in NRW, der mittlerweile - auch wegen Entschuldungsprogrammen anderer Bundesländer - nahezu zwei Drittel des kommunalen Kassenkreditvolumens in ganz Deutschland ausmacht, birgt das Zinsänderungsrisiko aber eine enorme Sprengkraft. Die Verschlechterung der Zinskonditionen um nur einen Prozentpunkt würde eine zusätzliche Belastung von mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr bedeuten.
Auch in diesem Jahr wurde die Haushaltsumfrage des StGB NRW um eine Abfrage zu Kassen- und Investitionskrediten ergänzt. Danach haben im Jahr 2020 insgesamt 222 Kommunen Kassenkredite aufgenommen, im Jahr 2021 planten dies Anfang des Jahres 212 Kommunen. Investitionskredite wurden im Jahr 2020 von 164 Kommunen aufgenommen; im Jahr 2021 werden 285 Kommunen Investitionskredite aufnehmen.
Zum 31. Dezember 2019 hat der Stand an Kassenkrediten bei den Mitgliedskommunen 6.535.454.367 Euro und zum 31. Dezember 2020 5.563.567.236 Euro betragen. Zum 31. Dezember 2021 wird wiederum mit einem deutlichen Anstieg des Kassenkreditstandes auf 6.337.977.950 Euro gerechnet. Investitionskredite wurden im Jahr 2020 in Höhe von 899.667.593 Euro aufgenommen. Im Jahr 2021 wird mit Investitionskrediten in Höhe von 2.700.393.292 Euro kalkuliert. Der hohe Stand der Liquiditätskredite macht nochmals deutlich, dass es rechtzeitig vor einer - früher oder später zu erwartenden - Zinswende zu einem signifikanten Absenken der Kassenkreditstände kommen muss.
>>Teil 2 des Schwerpunktes befasst sich mit der Entwicklung der Aufwandsteuern
Die Autoren
Claus Hamacher ist Beigeordneter für Finanzen beim Städte- und Gemeindebund NRW
Carl Georg Müller ist Referent für Finanzen beim Städte- und Gemeindebund NRW