Mitteilung
Kosten für Stilllegung von Gasanschlüssen nach NDAV unzulässig
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das OLG Oldenburg entschied, dass § 9 NDAV keine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Stilllegungskosten darstellt. Nach Auffassung des Gerichts erfasst die Norm lediglich die Herstellung eines Netzanschlusses und die Änderung des Netzanschlusses, wenn diese durch die Änderung oder Erweiterung der Kundenanlage verursacht wird. Eine Stilllegung werde in der Vorschrift nicht genannt und könne auch nicht als Form der Änderung verstanden werden. Zwar lasse der Begriff „Änderung“ im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedliche Interpretationen zu, doch spreche die Systematik der NDAV klar dagegen, die Stilllegung unter diesen Begriff zu subsumieren. Das Gericht verwies hierzu insbesondere auf § 8 NDAV, der zwischen Unterhalt, Erneuerung, Änderung, Abtrennung und Beseitigung unterscheidet. Gerade die bewusste Differenzierung dieser Begriffe mache deutlich, dass der Verordnungsgeber unter „Änderung“ nicht sämtliche denkbaren Tätigkeiten, insbesondere nicht die Stilllegung oder Beseitigung eines Netzanschlusses, fassen wollte.
Das Gericht betonte zudem, dass der Verordnungsgeber im Rahmen von § 18 Abs. 3 EnWG ausdrücklich den Schutz der Anschlussnehmer und kostengünstige Lösungen hervorgehoben habe. Aus diesem besonderen Kundenschutz folge, dass Kostentragungspflichten eng auszulegen seien. Eine erweiternde Auslegung, die den Netzbetreibern die Möglichkeit einräumt, Stilllegungskosten auf Kunden zu übertragen, sei daher ausgeschlossen. Das Gericht wies auch darauf hin, dass unterschiedliche Rechtsauffassungen in Literatur und Praxis stark interessegeleitet seien und deren Argumentation keine klaren Schlussfolgerungen hinsichtlich der Auslegung des § 9 NDAV ermögliche. Maßgeblich sei der eindeutige Wille des Verordnungsgebers, wonach die NDAV eine abschließende und nicht erweiterbare Regelung zur Kostentragung darstelle.
Vor diesem Hintergrund verwarf das OLG auch das Argument des Netzbetreibers, dass er Stilllegungskosten andernfalls selbst tragen müsse. Wirtschaftliche Erwägungen könnten eine Erweiterung des Normwortlauts nicht rechtfertigen. Sollte eine Regelungslücke bestehen, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, diese zu schließen. Die laufende Diskussion im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere der Vorschlag des Bundesrates zur Ergänzung des § 9 NDAV um eine ausdrückliche Regelung zu Stilllegungskosten, bestätige, dass der geltenden Rechtslage ein entsprechender Anspruch gerade nicht zu entnehmen sei. Da somit keine Rechtsgrundlage für ein Stilllegungsentgelt besteht, wertete das OLG die entsprechenden Kundeninformationen als irreführend im Sinne des § 5 UWG, da diese beim Verbraucher einen unzutreffenden Eindruck über bestehende Rechte und Pflichten erweckten.
Anmerkung
Aus kommunaler Sicht ist die Entscheidung nicht nur für das unmittelbare Verhältnis zwischen Kunden und Netzbetreibern von Bedeutung, sondern gewinnt vor allem im Hinblick auf das perspektivische Ende der Erdgasversorgung und das Ziel der Klimaneutralität im Wärmesektor bis 2045 erheblich an Relevanz. Mit der zunehmenden Abkehr vom Erdgas und dem vermehrten Wechsel auf erneuerbare Heiztechnologien wird die Zahl der Stilllegungen weiter steigen, wodurch sich die Frage der Kosten- und Verantwortungsverteilung zunehmend verschärft. Für Kommunen und kommunale Unternehmen stellt sich dabei in besonderer Weise die Frage, wie mit den im Boden befindlichen Gasleitungen umzugehen ist, die nicht mehr für die Erdgasversorgung gebraucht werden. Unklar ist bislang insbesondere, wann eine bloße Stilllegung ausreicht bzw. unter welchen Voraussetzungen Leitungen in bestimmten Fällen vollständig zurückgebaut werden müssen und wer dafür die Kosten- und Folgekosten übernimmt. Diese wird aktuell im Rahmen der nationalen Umsetzung des EU-Gas-/Wasserstoffbinnenmarktpakets diskutiert und es liegen hierzu bereits erste Regelungsvorschläge des BMWE vor, die sich zurzeit in der regierungsinternen Abstimmung befinden. Die Bundesregierung die Umsetzung des - aus Richtlinie (EU) 2024/1788 und Verordnung (EU) 2024/1789 bestehenden - EU-Gas- und Wasserstoff-Binnenmarktpakets bis Mitte 2026.
Die kommunalen Spitzenverbände haben sich in der Diskussion stets dahingehend positioniert, dass ein generelles Rückbauinteresse volkswirtschaftlich fraglich ist. In der Praxis wird es jedoch Fälle geben, dass Leitungen zurückgebaut werden müssen, etwa im öffentlichen Straßenraum, wenn andere Nutzungen be- oder verhindert werden. Es bedarf in diesem Fall klarer und präziser gesetzlicher Regelungen, die eindeutig festlegen, dass im Bedarfsfall notwendige Rückbau- und Folgekosten den Unternehmen und nicht den Kommunen zufallen. Dies ist nicht nur im kommunalen Interesse, sondern auch im Interesse der Unternehmen selbst. Nur bei eindeutigen rechtlichen Vorgaben kann zuverlässig beurteilt werden, welche Kosten bilanzwirksam durch Rückstellungen abzusichern sind und welche Kosten im Rahmen der Netzentgeltregulierung nicht dem Effizienzvergleich unterliegen. Die Entscheidung des OLG unterstreicht daher die Notwendigkeit einer zügigen und eindeutigen gesetzlichen Klärung der Rechtsfragen rund um die Stilllegung von Gasanschlüssen, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.
Az: 28.6.1-002/027