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Mitteilungen - Umwelt, Abfall, Abwasser
StGB NRW-Mitteilung 67/2023 from 13.01.2023
EuGH: Kein Schadensersatz bei Gesundheitsschäden wegen schlechter Luftqualität
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 22.12.2022 (Az. C-61/21) entschieden, dass nach der europäischen Richtlinie zur Luftqualität kein Anspruch auf Schadensersatz bei Gesundheitsschäden wegen schlechter Luft besteht. Eine Haftung der Länder aus nationalen Vorschriften sei dagegen möglich.
Hintergrund der Gerichtsentscheidung ist die Klage eines Einwohners der Stadt Paris. Dieser verlangte vom französischen Staat Schadensersatz, weil die zunehmende Luftverschmutzung im Ballungsraum Paris seine Gesundheit geschädigt habe. Nach seiner Ansicht müsse der Staat haften, weil er nicht dafür gesorgt habe, dass EU-weite Grenzwerte eingehalten werden.
Dieser Auffassung ist der EuGH nicht gefolgt. Die EU-Luftqualitätsrichtlinien verpflichteten zwar die EU-Staaten, für saubere Luft zu sorgen. Diese Verpflichtungen dienten jedoch dem allgemeinen Ziel, die menschliche Gesundheit und die Umwelt insgesamt zu schützen. Die europäischen Grenzwerte verliehen Einzelnen jedoch keine individuellen Rechte, durch deren Verletzung ein Schadenersatzanspruch entstehen könne.
Bürgerinnen und Bürger müssen jedoch erreichen können, dass nationale Behörden Maßnahmen für saubere Luft ergreifen. Dazu zählt zum Beispiel ein Luftreinhalteplan. Außerdem stellten die Richter fest, dass die Mitgliedsländer der Europäischen Union unter Umständen nach nationalen Vorschriften haftbar sein könnten.
Anmerkung des DStGB
Das Urteil ist grundsätzlich zu begrüßen. Es stellt einerseits klar, dass individuelle Ansprüche nicht auf die Vorschriften der EU-Luftqualitätsrichtlinie selbst gestützt werden können. Andererseits unterstreicht der EuGH, dass es klare Umsetzungsverpflichtungen der Mitgliedsstaaten zur Luftreinhaltung gibt, die ggf. auch konkrete Ansprüche Einzelner, etwa auf Schadensersatz, nach den nationalen Rechtsvorschriften begründen können.
Erst im Jahr 2021 hatte der EuGH die Bundesrepublik Deutschland auf eine Klage der EU-Kommission hin wegen langjähriger Überschreitung der Stickstoffdioxidwerte in einer Reihe von deutschen Städten verurteilt und eine erhebliche Rechtsverletzung des Umweltrechts durch die Bundesrepublik festgestellt (EuGH, Urteil v. 03.06.2021, C-635/18).
Bund, Länder und Kommunen haben indes in den vergangenen Jahren bereits vielfältige Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität ergriffen. Neben qualifizierten Luftreinhalteplänen existieren in über 50 Städten und Gemeinden nach wie vor Umweltzonen, in denen nur Fahrzeuge fahren dürfen, die bestimmte Abgasstandards einhalten. Dazu haben insbesondere die allgemeine Modernisierung der Fahrzeuge, auch bei kommunalen Fuhrparks, sowie der Ausbau alternativer Verkehrsmittel dazu beigetragen, dass die Luftqualitätsgrenzwerte mittlerweile in Deutschland nahezu überall eingehalten werden.
Da die Programme der Kommunen wirken, hat auch die Diskussion um Fahrverbote an Brisanz verloren. Wichtig wird nun jedoch aus kommunaler Sicht, dass künftige Grenzwerte zur Luftreinhaltung, welche auf europäischer Ebene vor der Überarbeitung stehen, mit Augenmaß gesetzt werden. Erst vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission ihre Überlegungen zu einer weiteren Verschärfung der Grenzwerte zur Luftreinhaltung vorgestellt. Danach soll der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) ab 2030 nun nur noch bei 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen statt wie bisher bei 40. Die Belastung durch Feinstaub mit einer Partikelgröße von bis zu 2,5 Mikrometer soll demnach von 25 auf 10 Mikrogramm pro Kubikmeter reduziert werden. Dabei müssen neue und schärfere Anforderungen an Fahrzeuge technisch realisierbar und verhältnismäßig sein und dürfen die Kommunen nicht überfordern.
Bis 2030 will Deutschland im Übrigen den Ausstoß von Luftschadstoffen weiter senken. Demnach will Deutschland bis 2030 gegenüber dem Jahr 2005 die Feinstaub-Emissionen um 43 Prozent und die Ammoniakemissionen um 29 Prozent reduzieren. Zuletzt wurden verschiedenen Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Luftqualität auf den Weg gebracht:
- TA Luft (unter anderem Verwendung von Abluftreinigungsanlagen in der Intensiv-Tierhaltung)
- Düngeverordnung (weniger Dünger, weniger Ammoniak als Vorläufersubstanz für die Bildung von Feinstaub)
- Kohleausstieg
- Novellierung der 13./17. BImSchV zur Minderung der Emissionen von Großfeuerungsanlagen
- Änderung der 1. BImSchV zur Verminderung der Feinstaubbelastung im Umfeld von Kleinfeuerungsanlagen (sowie fortgesetzter Austausch von sehr alten Anlagen zur Verbrennung von Feststoffen (Holz) durch Neu-Anlagen)
Mit Blick auf mögliche Schadensersatzansprüche Einzelner gegen den Staat wegen einer Gesundheitsschädigung ist im Übrigen auf die diesbezüglich hohen Anforderungen zu verweisen. Dies haben auch die Schlussanträge der Generalanwältin im vorbezeichneten Verfahren vom 05.05.2022 verdeutlicht.
Danach setzt eine Haftung des Staates bei Überschreitung der Luftgrenzwerte gegenüber dem Einzelnen voraus, dass die durch die EU-Richtlinien aufgestellten Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft in der Wohn- bzw. Arbeitsumgebung des konkret Betroffenen tatsächlich überschritten wurden. Die Verletzung der Regeln über den Schutz der Luftqualität muss des Weiteren qualifiziert und vorwerfbar sein. Diese Voraussetzung ist regelmäßig dann gegeben, wenn von Seiten des Staates keine effektiven Luftreinhaltepläne erarbeitet bzw. umgesetzt wurden, um eine nachhaltige Verbesserung der Luftqualität zu erreichen. Schließlich muss der konkrete Nachweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen einer qualifizierten Verletzung der Regeln über die Luftqualität und dem eingetretenen konkreten Gesundheitsschaden erbracht werden. Eine solche Nachweiskette dürfte in der Praxis nur schwer zu erbringen sein.
Az.: 27.2.1-003/002 gr