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Hauptausschuss 2024
Heft April 2008
Verfassungsbeschwerde gegen Erhöhung der Mehrwertsteuer
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde eines Ehepaars und eines der insgesamt sechs Kinder gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 01.01.2007 von 16 auf 19 Prozent nicht zur Entscheidung angenommen. Bereits 1998 hatte das Gericht festgestellt, dass die relativ stärkere Belastung der Familien im System der indirekten Steuern notwendig angelegt sei. Sie müsse deshalb ggf. eine Kompensation bei der direkten Besteuerung durch die Einkommensteuer nach Maßgabe des wesentlich dort verankerten Systems des Familienleistungsausgleichs zur Folge haben (nichtamtliche Leitsätze).
BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2007
- Az.: 1 BvR 2129/07 -
Die Beschwerdeführer - ein Ehepaar und eines seiner insgesamt sechs Kinder - wendeten sich gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 von 16 Prozent auf 19 Prozent. Sie sind der Meinung, dass die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes das Prinzip der Steuergerechtigkeit verletze. Eine Familie mit Kindern werde durch die Steuererhöhung mehr belastet als Kinderlose gleichen Einkommens. Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das BVerfG hatte bereits aus Anlass der Umsatzsteuererhöhung von 15 Prozent auf 16 Prozent zum 1. April 1998 ausgeführt, dass zwar bei der Einkommensteuer eine Berücksichtigung der Familienverhältnisse möglich und nach dem gegenwärtigen System des Familienlastenausgleichs auch geboten sei, nicht hingegen bei der indirekt das Steuergut erfassenden Umsatzsteuer. Zwar belaste die Erhöhung der indirekt erhobenen Umsatzsteuer Familien mit Kindern stärker als Kinderlose, weil sie wegen ihres höheren Bedarfs mehr Waren und Leistungen erwerben müssten. Diese relativ stärkere Belastung der Familien sei jedoch im System der indirekten Steuern notwendig angelegt. Sie müsse deshalb gegebenenfalls eine Kompensation bei der direkten Besteuerung durch die Einkommensteuer nach Maßgabe des wesentlich dort verankerten Systems des Familienlastenausgleichs zur Folge haben.
Diese Erwägungen gelten uneingeschränkt auch für die hier angegriffene Erhöhung der Umsatzsteuer. Soweit die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang beanstanden, dass das von der Einkommensteuer frei bleibende Existenzminimum für Kinder nicht entsprechend erhöht worden sei, können sie dies im Rahmen ihres Angriffs gegen die Vorschriften des Umsatzsteuerrechts nicht mit Erfolg geltend machen.
Mit ihrem Begehren, die zu Kindererziehungszwecken verbrauchten Güter und Leistungen generell von der Umsatzsteuer freizustellen, verkennen die Beschwerdeführer, dass der nationale Gesetzgeber auf diesem Gebiet Bindungen durch gemeinschaftsrechtliche Vorgaben unterliegt, die dies ausschließen. Die Besteuerung derartiger Güter der Art und der Höhe nach ist durch die „Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie“ europarechtlich vorgegeben. Dem nationalen Gesetzgeber steht danach kein Spielraum zu, zu Kindererziehungszwecken verbrauchte Güter von der Umsatzsteuer gänzlich freizustellen oder zumindest generell mit einem ermäßigten Steuersatz zu versehen.
Inbetriebnahme der Kohlenmonoxid-Pipeline Dormagen-Krefeld
Die schon weitgehend verlegte Kohlenmonoxid-Rohrfernleitung von Dormagen nach Krefeld/Uerdingen darf zwar zu Ende gebaut werden, die Inbetriebnahme muss aber vorerst unterbleiben (nichtamtlicher Leitsatz).
OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Dezember 2007
- Az.: 20 B 1586/07 und 20 B 1667/07 -
Mit Planfeststellungsbeschluss vom 14.02.2007 hatte die Bezirksregierung Düsseldorf die rechtsrheinisch verlaufende Rohrfernleitung der Firma Bayer Material Science AG (BMS) zugelassen. Gegen das Vorhaben wenden sich Privatpersonen und Gemeinden, deren Gebiet von der Leitung berührt wird. Die Rechtsbehelfe richten sich gegen den Planfeststellungsbeschluss und gegen auf diesem Beschluss aufbauende vorzeitige Besitzeinweisungen. Da die Bezirksregierung die sofortige Vollziehung sowohl des Planfeststellungsbeschlusses wie auch der vorzeitigen Besitzeinweisungen angeordnet hat, konnten die Bauarbeiten bereits aufgenommen und weit fortgeführt werden.
Zwei Privatpersonen, die in der Nähe der Trasse leben und deren Grundbesitz in Anspruch genommen werden soll, haben beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss erhoben. Außerdem hatten sie im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen beantragt. Diesen Antrag hatte das VG Düsseldorf mit Beschluss vom 18.09.2007 abgelehnt. Auf die Beschwerde der Antragsteller hat das OVG nunmehr mit den o. g. Beschlüssen entschieden, dass die schon weitgehend verlegte Rohrfernleitung zwar zu Ende gebaut werden darf, die Inbetriebnahme aber vorerst unterbleiben muss.
Zur Begründung hat das OVG ausgeführt: Gegen den Planfeststellungsbeschluss bestünden Bedenken, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht auszuräumen seien. So fehle eine vertiefte und überzeugende Darstellung der Bedeutung, die die von der Firma BMS, einem privaten Unternehmen, betriebene Rohrleitungsanlage für die Allgemeinheit habe, um den staatlichen Zugriff auf das Eigentum Dritter zu rechtfertigen. Es sei auch fraglich, ob der erstrebte positive Effekt für die Allgemeinheit, also vorrangig die Stärkung der Wirtschaftskraft der Industriesparte und der Region, für die Zukunft hinreichend abgesichert sei. Klärungsbedarf bestehe auch hinsichtlich der Entscheidung für die planfestgestellte Trasse, insbesondere hinsichtlich des Verzichts auf eine linksrheinische Trassenführung und der Bedeutung einer angestrebten gemeinsamen Verlegung mit anderen geplanten Leitungen.
Demgegenüber bestünden gegen die sicherheitstechnische Bewertung der Anlage keine grundsätzlichen Bedenken. Allerdings könne problematisch sein, inwieweit wegen der Gefährlichkeit von Kohlenmonoxid und des Verlaufs der Rohrleitung über die Grundanforderungen des technischen Regelwerks hinausgehende Sicherheitsmaßnahmen erforderlich und ergriffen seien. Unter Abwägung der berührten Interessen sei es angemessen, der Firma BMS die Möglichkeit zu belassen, auf eigenes Risiko die Leitung zu Ende zu bauen. Für die Nutzung der Rohrfernleitung sei dagegen ein überwiegendes öffentliches Interesse oder ein entsprechendes Interesse der Firma nicht gegeben. Mit der Betriebsaufnahme würden die Risiken, insbesondere für die Gesundheit, sofort aktuell. Dies sei den Antragstellern, die den Planfeststellungsbeschluss zur Abwehr solcher Risiken angefochten hätten, derzeit nicht zuzumuten. Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
Kostendeckungsvorschlag eines Bürgerbegehrens
Personalkosten einer vom Bürgerbegehren angestrebten Maßnahme bedürfen eines Kostendeckungsvorschlags unabhängig davon, dass diese Kosten auch bei anderweitiger Verwendung des Personals entstehen würden.
OVG NRW, Beschluss vom 21.01.2008
- Az.: 15 A 2697/07 -
Der N.-Kreis betrieb seit 1969/70 zwei sog. Bücherbusse, die insbesondere in entlegenen Gebieten des Kreises das Angebot der städtischen und gemeindlichen Büchereien ergänzen sollten. Im Jahre 2006 beschloss der beklagte Kreistag, den Betrieb der Bücherbusse einzustellen. Die Kläger verfolgten daraufhin das Bürgerbegehren „Rettet den Bücherbus“. Der beklagte Kreistag stellte die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens fest. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde zurückgewiesen. Die Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.
Das VG ist zutreffend davon ausgegangen, dass das hier in Rede stehende Bürgerbegehren, das sich gegen den Beschluss des Beklagten zur Einstellung des Bücherbusses wendet, gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 KrO einen Kostendeckungsvorschlag enthalten muss.
Wie das OVG wiederholt entschieden hat, umfasst der Begriff der Kosten auch etwa eine Vermögensminderung, die durch das Unterlassen kostenmindernder Maßnahmen entsteht (z.B. Schließung einer kostenträchtigen gemeindlichen Einrichtung). Eine dementsprechende Einrichtung ist der sog. Bücherbus, für dessen Erhalt sich das vorliegende Bürgerbegehren einsetzt.
Der in dem Bürgerbegehren enthaltene Kostendeckungsvorschlag genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.
Dies gelte zunächst insoweit, als es in den diesbezüglichen Passagen des Bürgerbegehrens heißt, „bei einem Volumen von weit über 300 Millionen Euro, bei einem ausgeglichenen Kreishaushalt, müsse der Betrag von ca. 265.000 Euro für den Bücherbus an anderer Stelle des Gesamthaushalts eingespart werden können“. Dieser pauschale Kostendeckungsvorschlag werde dem Sinn der gesetzlichen Vorgabe nicht gerecht. Durch das Gebot eines Kostendeckungsvorschlags wolle der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Bürger in finanzieller Hinsicht über Tragweite und Konsequenzen der im Wege des Bürgerbegehrens vorgeschlagenen Entscheidung unterrichtet werden.
Ein ausreichender Kostendeckungsvorschlag muss deshalb neben einer überschlägigen, nachvollziehbaren Kostenschätzung auch einen konkreten, nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag enthalten, wie die Kosten gedeckt werden können. Kosten einer Maßnahme können entweder durch Einsparungen an anderer Stelle, durch Veräußerung von Vermögensgegenständen oder aber durch (weitere) Kreditaufnahme gedeckt werden. Hätte der Gesetzgeber für einen Kostendeckungsvorschlag die pauschale Angabe als ausreichend erachtet, auf welchem dieser drei Wege die Kostendeckung erreicht werden soll, so hätte dies in der Gesetzesformulierung Ausdruck gefunden.
Bereits aus dem Erfordernis eines „nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren“ Vorschlags ist aber zu schließen, dass es eines darüber hinaus konkretisierten Vorschlags bedarf. Denn nur ein solcher Vorschlag kann daraufhin überprüft werden, ob er nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbar ist. Im Übrigen trägt nur dieses Verständnis dem gesetzgeberischen Anliegen einer Unterrichtung der Bürger über die finanziellen Konsequenzen eines Bürgerbegehrens ausreichend Rechnung. Dabei hängt der erforderliche Konkretisierungsgrad davon ab, wie die Kostendeckung erreicht werden soll. Geht es um eine Finanzierung im Wege der Kreditaufnahme, so werden weitere Angaben im Allgemeinen nicht erforderlich sein. Soll hingegen an anderer Stelle gespart oder ein Vermögensgegenstand veräußert werden, so bedarf es jedenfalls näherer Konkretisierungen.
Den vorstehenden Vorgaben genügt der in Rede stehende Kostendeckungsvorschlag auch nicht insoweit, als es hinsichtlich der Personalkosten i. H. v. ca. 200.000 Euro heißt, diese Kosten könnten ohnehin nicht kurzfristig eingespart werden. Ist eine mit einem Bürgerbegehren verfolgte Maßnahme mit Personalkosten verbunden, so handelt es sich dabei um „Kosten der verlangten Maßnahme“ i. S. v. § 23 Abs. 2 Satz 1 KrO, und es bedarf für diese Kosten eines Deckungsvorschlags. Dies gilt unabhängig davon, in welchem Umfang die entsprechenden Personalkosten auch ohne die verlangte Maßnahme anfallen würden und dann der Erfüllung anderer kommunaler Aufgaben zuzurechnen wären.
© StGB NRW 2008