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Hauptausschuss 2024
Heft April 2014
Degressiver Steuertarif für Zweitwohnungen
Wenn ein degressiver Zweitwohnungsteuertarif nicht durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt ist, verletzt er das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (nichtamtlicher Leitsatz).
BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2014
- Az.: 1 BvR 1656/09 -
Die Stadt Konstanz, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, zog den Beschwerdeführer für die Jahre 2002 bis 2006 aufgrund einer Satzung zur Zweitwohnungsteuer heran. Die Steuertarife orientieren sich am jährlichen Mietaufwand als steuerlicher Bemessungsgrundlage und pauschalieren den Steuerbetrag durch Bildung von fünf (Satzung 1989) beziehungsweise acht Mietaufwandsgruppen (Satzungen 2002/2006). Die konkrete Ausgestaltung der Steuertarife führt insgesamt zu einem - in Relation zum Mietaufwand - degressiven Steuerverlauf. Zwar steigt der absolute Betrag der Zweitwohnungsteuer mit zunehmender Jahresmiete in Stufen an. Der sich aus dem Mietaufwand und dem zu zahlenden Steuerbetrag ergebende Steuersatz sinkt mit steigendem Mietaufwand ab.
Der Beschwerdeführer hatte eine Zweitwohnung im Stadtgebiet inne. Die Beklagte zog ihn für diesen Zeitraum zur Zweitwohnungsteuer heran. Widerspruch und Klage des Beschwerdeführers hiergegen blieben ohne Erfolg. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen begründet. Die degressive Ausgestaltung der Zweitwohnungsteuertarife sowie die Entscheidungen der Beklagten und der Fachgerichte verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Der degressive Steuertarif in den konkreten Zweitwohnungsteuersatzungen verletzt das Grundrecht auf Gleichbehandlung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Als örtliche Aufwandsteuer muss die von der Beklagten erhobene Zweitwohnungsteuer dem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit genügen. Das wesentliche Merkmal einer Aufwandsteuer besteht darin, die in der Einkommensverwendung zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu treffen; diese spiegelt der jeweilige Mietaufwand als Bemessungsgröße der Zweitwohnungsteuer wider.
Der degressive Steuertarif bewirkt eine Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, weil er weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher belastet als wirtschaftlich leistungsfähigere. Denn aus dem Stufentarif ergibt sich mit steigendem Mietaufwand weitgehend ein sinkender Steuersatz.
Degressive Steuertarife sind nicht generell unzulässig, weil der Normgeber nicht ausnahmslos zu einer reinen Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips verpflichtet ist. Bei der Rechtfertigung unterliegt er jedoch über das bloße Willkürverbot hinausgehenden Bindungen durch das Leistungsfähigkeitsprinzip als materiellem Gleichheitsmaß. Vom Bundesverfassungsgericht ist hierbei nur zu untersuchen, ob der Normgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat, nicht ob er die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.
Die Ungleichbehandlung aufgrund der degressiven Steuertarife ist im vorliegenden Fall nicht mehr gerechtfertigt. Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse könnten grundsätzlich sachliche Gründe für eine Einschränkung der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit bilden. Von vornherein nicht zur Vereinfachung geeignet sei der insgesamt - das heißt über verschiedene Steuerstufen hinweg - degressiv gestaltete Verlauf des Steuertarifs. Hingegen bewirkten die Steuerstufen zwar eine gewisse Vereinfachung dadurch, dass nicht in jedem Einzelfall die exakte Jahresnettokaltmiete ermittelt werden muss. Jedoch sei dieser Effekt nicht von hinreichendem Gewicht.
Auch Lenkungszwecke rechtfertigten die Ungleichbehandlung im vorliegenden Fall nicht. Es stelle ein legitimes Ziel dar, die Steuerpflichtigen nach den Maßgaben des Melderechts zur Ummeldung des Nebenwohnsitzes in einen Hauptwohnsitz zu veranlassen. Ein weiterer zulässiger Lenkungszweck liege in der Erhöhung des Wohnungsangebots für die einheimische Bevölkerung. Die steuerliche Differenzierung durch einen degressiven Tarifverlauf erweise sich jedoch zur Erreichung dieser Lenkungszwecke weder als geeignet noch als erforderlich.
Beamtenrechtliches Streikverbot
Beamtete Lehrer dürfen sich auch weiterhin nicht an Streiks beteiligen, zu denen die Gewerkschaften ihre angestellten Kollegen aufrufen (nichtamtlicher Leitsatz).
BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014
- Az.: BVerwG 2 C 1.13 -
Die Klägerin, eine beamtete Lehrerin, blieb im Jahr 2009 dreimal dem Unterricht fern, um an Warnstreiks teilzunehmen, zu denen die Gewerkschaft GEW während der auch von ihr geführten Tarifverhandlungen aufgerufen hatte. Die Gewerkschaft wollte ihrer Forderung nach einer Gehaltserhöhung von 8 Prozent und deren anschließender Übernahme in die Beamtenbesoldung Nachdruck verleihen. Die Klägerin hatte ihr Fernbleiben der Schulleiterin angekündigt, die sie auf das beamtenrechtliche Streikverbot hingewiesen hatte.
Die Beklagte verhängte gegen die Klägerin durch Disziplinarverfügung eine Geldbuße von 1.500 Euro wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst. Die Anfechtungsklage ist in der Berufungsinstanz vor dem OVG erfolglos geblieben. Die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht dem Grunde nach zurückgewiesen; es hat jedoch die Geldbuße auf 300 Euro ermäßigt.
Nach deutschem Verfassungsrecht gelte für alle Beamten unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich ein generelles statusbezogenes Streikverbot. Dieses Streikverbot gelte auch für Beamte außerhalb des engeren Bereichs der Hoheitsverwaltung, der nach Art. 33 Abs. 4 GG in der Regel Beamten vorbehalten ist. In der deutschen Rechtsordnung stellt das Streikverbot einen wesentlichen Bestandteil des beamtenrechtlichen Gefüges von Rechten und Pflichten dar. Es sei Sache der Dienstherren, diese Rechte und Pflichten unter Beachtung insbesondere der verfassungsrechtlichen Bindungen zu konkretisieren und die Arbeitsbedingungen der Beamten festzulegen.
Demgegenüber entnimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) deren Art. 11 Abs. 1 ein Recht der Staatsbediensteten auf Tarifverhandlungen über die Arbeitsbedingungen und ein daran anknüpfendes Streikrecht. Diese Rechte können von den Mitgliedstaaten des Europarats nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK nur für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der hoheitlichen Staatsverwaltung generell ausgeschlossen werden. Nach der Rechtsprechung des EGMR gehören nur solche Staatsbedienstete der hoheitlichen Staatsverwaltung an, die an der Ausübung genuin hoheitlicher Befugnisse zumindest beteiligt sind. Die deutschen öffentlichen Schulen gehören nicht zur Staatsverwaltung im Sinne der EMRK. Die Bundesrepublik ist völkervertrags- und verfassungsrechtlich verpflichtet, Art. 11 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR in der deutschen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen.
Damit enthalte die deutsche Rechtsordnung derzeit einen inhaltlichen Widerspruch in Bezug auf das Recht auf Tarifverhandlungen und das Streikrecht derjenigen Beamten, die außerhalb der hoheitlichen Staatsverwaltung tätig sind. Zur Auflösung dieser Kollisionslage zwischen deutschem Verfassungsrecht und der EMRK ist der Bundesgesetzgeber berufen. Hierfür stehen ihm voraussichtlich verschiedene Möglichkeiten offen.
Für die Übergangszeit bis zu einer bundesgesetzlichen Regelung verbleibe es bei der Geltung des verfassungsunmittelbaren Streikverbots. Hierfür sei von Bedeutung, dass den Tarifabschlüssen für die Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes aufgrund des Alimentationsgrundsatzes nach Art. 33 Abs. 5 GG maßgebende Bedeutung für die Beamtenbesoldung zukommt. Bund und Länder seien verfassungsrechtlich gehindert, die Beamtenbesoldung von der Einkommensentwicklung, die in den Tarifabschlüssen zum Ausdruck kommt, abzukoppeln.
Gewerbliche Sammlung von Alttextilien
Die Untersagung einer gewerblichen Alttextiliensammlung kann wegen Unzuverlässigkeit des Sammlers erfolgen, wenn ein massives und systematisches Fehlverhalten des Sammlers im Zusammenhang mit dem Aufstellen von Sammelcontainern vorliegt.
OVG NRW, Beschluss vom 11. Dezember 2013
- Az.: 20 B 444/13 -
Die Antragstellerin zeigte dem Antragsgegner, einem Kreis, an, auf dessen Gebiet eine Alttextiliensammlung durchzuführen. Der Antragsgegner untersagte die Sammlung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgelds. Das VG lehnte den vorläufigen Rechtsschutzantrag ab. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin, auf dessen Prüfung das OVG nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt eine Änderung des angegriffenen Beschlusses nicht. Dies gilt hinsichtlich des auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung gerichteten Begehrens schon deshalb, weil die Antragstellerin insoweit keine eigenständigen Beschwerdegründe geltend gemacht hat.
Hinsichtlich der im Weiteren von der Antragsgegnerin verfügten Sammlungsuntersagung hat das VG die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzantrags der Antragstellerin im Wesentlichen damit begründet, dass die im Rahmen von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzustellende Interessenabwägung zulasten der Antragstellerin ausfalle, weil die angefochtene Ordnungsverfügung auf der Grundlage von § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG aufgrund vorliegender Unzuverlässigkeit der Antragstellerin (offensichtlich) rechtmäßig sei. Dem setzt die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegen.
Den vom VG für die Annahme der Unzuverlässigkeit angeführten Aspekten tritt die Antragstellerin in der Sache nicht entgegen. Mit ihrer Auffassung, der Unzuverlässigkeitsbegriff dürfe nicht in Anlehnung an das Gewerberecht ausgelegt werden, sondern es komme lediglich auf umwelt- bzw. abfallrechtliche Aspekte an, dringt sie nicht durch. Im Allgemeinen sei unzuverlässig, wer nicht die Gewähr dafür bietet, dass er die in Rede stehende Tätigkeit zukünftig ordnungsgemäß ausübt.
Da es hier zunächst einmal um die Tätigkeit des (Ein-)Sammelns von Abfällen gehe, seien sämtliche als nicht ordnungsgemäß zu qualifizierende Begebenheiten und Geschehnisse für die Zuverlässigkeitsbeurteilung von Relevanz, die einen Zusammenhang mit dem Sammlungsgeschehen aufweisen. Dies treffe ohne Weiteres auf die vom VG angeführten „Unregelmäßigkeiten“ bei der Aufstellung von Sammelbehältern zu, gelte aber auch hinsichtlich des vom VG erhobenen Vorwurfs, die Antragstellerin verschleiere gegenüber Behörden Verantwortlichkeiten bei Sammlungen.