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Hauptausschuss 2024
Heft Dezember 2019
Zum Akteneinsichtsrecht von Ratsmitgliedern
1. Das Akteneinsichtsrecht aus § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW dient nicht der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle von bereits gefassten Ratsbeschlüssen, für welche dem einzelnen Ratsmitglied auch sonst keine eigenen organschaftlichen Rechte in der Gemeindeordnung eingeräumt sind.
2. Das Auskunftsrecht aus § 55 Abs. 1 Satz 2 GO NRW wird durch grundrechtlich geschützte Positionen privater Dritter begrenzt.
3. Bestehen solche Belange, hat der Bürgermeister nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er die begehrte Auskunft erteilt oder nicht.
4. Der pauschale Verweis auf datenschutzrechtliche Vorschriften genügt dem nicht.
(Orientierungssätze)
VG Düsseldorf, Urteil vom 03.05.2019
- Az.: 1 K 3063/18 -
Der Kläger - ein Ratsmitglied - hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zur vertraulichen Einsichtnahme sämtliche Unterlagen, Dokumente, Aufstellungen und Schriftstücke in Bezug auf die Einzelwertberichtigungen in der Bilanz der Stadt zum 31.12.2015, insbesondere im Bereich der Gebühren, Beiträge, Steuern, Transferleistungen, sonstiger öffentlich-rechtlicher Forderungen, privatrechtlicher Forderungen und sonstiger Vermögensgegenstände vorzulegen. Hilfsweise hat er beantragt, festzustellen, dass die Versagung der Beklagten, ihm nähere Auskunft zu den im Jahresabschluss 2015 ausgewiesenen Wertberichtigungen gemeindlicher Forderungen zu erteilen, rechtswidrig war.
Das Gericht gab der Klage nur teilweise statt. Gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW sei jedem Ratsmitglied zwar vom Bürgermeister auf Verlangen Akteneinsicht zu gewähren, soweit die Akten der Vorbereitung (Alt. 1) oder der Kontrolle (Alt. 2) von Beschlüssen des Rates, des Ausschusses oder der Bezirksvertretung dienen, der es angehört. Anders als dem Rat, dem § 55 Abs. 3 Satz 2 GO NRW zum Zwecke der Überwachung des Bürgermeisters und der ihm unterstellten Gemeindeverwaltung ein Akteneinsichtsrecht einräumt, handele es sich bei dem Akteneinsichtsrecht des einzelnen Ratsmitglieds allerdings nicht um ein allgemeines, sondern um ein zweckgebundenes Recht. § 55 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 GO NRW erfasse den Fall, dass ein bestimmter Verwaltungsvorgang für seine Umsetzung einer Ermächtigung oder eines Beschlusses des Rates, eines Ausschusses oder einer Bezirksvertretung bedarf. Im Prozess der Vorbereitung eines solchen Beschlusses solle das Akteneinsichtsrecht dem Ratsmitglied ermöglichen, sich über die Vorbereitung des Beratungsgegenstandes zu informieren, sobald dieser nach Auffassung des Hauptverwaltungsbeamten für das Gremium entscheidungsreif abgeschlossen ist. § 55 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 GO wiederum diene der Kontrolle, ob ein bereits gefasster Beschluss eines der in § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW genannten Organe von der Verwaltung ordnungsgemäß umgesetzt wird. Das einzelne Ratsmitglied hat danach Anspruch auf Einsicht in solche Verwaltungsvorgänge, die Aufschluss über den Stand des Beschlussumsetzungsverfahrens geben. Die Regelung diene hingegen nicht der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle von bereits gefassten Ratsbeschlüssen, für welche dem einzelnen Ratsmitglied auch sonst keine eigenen organschaftlichen Rechte in der Gemeindeordnung eingeräumt sind. Ein anderes Verständnis sei auch nicht im Lichte von § 43 Abs. 4 Buchst. a GO NRW geboten. Danach haften die Ratsmitglieder, wenn die Gemeinde infolge eines Beschlusses des Rates einen Schaden erleidet und sie in vorsätzlicher oder grob fährlässiger Verletzung ihrer Pflicht gehandelt haben. Gerade zu diesem Zweck räume die Gemeindeordnung NRW dem einzelnen Ratsmitglied Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte in § 55 Abs. 1 Satz 2, 5 Satz 1 Alt. 1 GO NRW ein. Eine die Haftung nach § 43 Abs. 4 GO NRW auslösende Pflichtverletzung liege hingegen nicht vor, wenn es das Ratsmitglied unterlässt, einen bereits gefassten Beschluss nachträglich einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle zu unterziehen. Auch ein Recht auf Akteneinsicht zum Zwecke der Kontrolle der Geschäfte der laufenden Verwaltung folge aus § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW nicht.
Teilweise Erfolg hat demgegenüber die hilfsweise erhobene Feststellungsklage. Die Versagung einer einzelfallbezogenen Begründung der Einzelwertberichtigungen von gemeindlichen Forderungen mit einem Nennwert von über 5.000,- Euro unter pauschalem Verweis auf datenschutzrechtliche Vorschriften erweise sich als rechtswidrig. Darüber hinaus habe die Beklagte ihrer Informationspflicht genügt. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 GO NRW ist der Bürgermeister verpflichtet, einem Ratsmitglied auf Verlangen Auskunft zu erteilen oder zu einem Tagesordnungspunkt Stellung zu nehmen. Dem liege die Erwägung zugrunde, dass das Ratsmitglied aufgrund seines Mandats berufen ist, eigenverantwortlich an den Aufgaben mitzuwirken, die dem Rat obliegen. Das setze voraus, dass es über die dafür erforderlichen Informationen verfügt. Dabei dürfe es nicht auf die Informationen verwiesen werden, die die Stadtverwaltung von sich aus zur Verfügung stellt. Eine besondere Begründung oder der Nachweis eines besonderen Interesses werde vom Gesetz nicht gefordert. Mit dem Fragerecht korrespondiere grundsätzlich die Antwortpflicht des Bürgermeisters. Aus der Funktion des Fragerechts, welches der sachlichen Aufgabenerfüllung des Ratsmitglieds diene, ergebe sich allerdings eine Beschränkung der Antwortpflicht insoweit, als dass es sich im Rahmen des Aufgabenbereichs des Rates zu halten hat. Demgemäß könne sich die Antwortpflicht des Bürgermeisters nur auf solche Bereiche erstrecken, für die er unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist und die den Zuständigkeitsbereich des Rates oder seiner Ausschüsse berühren. Außerdem sei die Antwortpflicht auf solche Informationen begrenzt, die dem Bürgermeister vorliegen oder die mit zumutbarem Aufwand beschafft werden können. Zugleich gebiete der Grundsatz der Organtreue die Respektierung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Stadtverwaltung. Zu deren Wahrung dürfe der Bürgermeister innerhalb einer rechtlich umgrenzten Einschätzungsprärogative über Art und Weise der Antwort befinden. Dabei müsse er sich an der Pflicht zu vollständiger und zutreffender Antwort orientieren. Schließlich werde die Pflicht zur Beantwortung von Anfragen von Ratsmitgliedern dadurch begrenzt, dass hierbei die grundrechtlich geschützten Positionen privater Dritter zu beachten sind.
Hier habe der Kläger zur Vorbereitung der Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses sowie zur Vorbereitung der Feststellung des Jahresabschlusses 2015 durch den Rat eine Begründung zu den im Jahresabschluss 2015 ausgewiesenen Wertberichtigungen und damit eine Auskunft zu einer Angelegenheit begehrt, die in den Aufgabenbereich des Rates fällt. Für eine sachgerechte Beschlussfassung seien die Ratsmitglieder auf eine umfassende Information über die der Jahresrechnungsprüfung zugrunde liegenden Daten durch die Verwaltung angewiesen. Bei der Werthaltigkeitsprüfung der Forderungen mit einem Nennwert unter 5.000,- Euro habe die Beklagte von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, pauschale Risikoannahmen zugrunde zu legen. Einwände gegen die zur Anwendung gelangte pauschale Risikoannahme habe der Kläger nicht erhoben. Die Werthaltigkeit von Forderungen mit einem Nennwert über 5.000,- Euro hingegen habe die Beklagte einzelfallbezogen beurteilt. Soweit die Beklagte diesbezüglich das weitergehende Auskunftsersuchen unter pauschalem Verweis auf datenschutzrechtliche Vorschriften abgelehnt habe, sei dies ermessensfehlerhaft gewesen. Zwar könne die Auskunft verweigert werden, soweit ihr schutzwürdige Belange Betroffener oder Dritter entgegenstehen. Solche Belange könnten sich namentlich aus den Grundrechten, datenschutzrechtlichen Bestimmungen oder auch aus der Gemeindeordnung selbst ergeben. Bestehen solche Belange, habe der Bürgermeister nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er die begehrte Auskunft erteilt oder nicht. Dies bedürfe grundsätzlich der umfassenden Abwägung der beteiligten Interessen. Dabei sei die hohe Bedeutung des Informationsanspruches des Ratsmitglieds als wichtiges Kontrollinstrument im demokratisch organisierten Gemeinwesen in den Blick zu nehmen. Dem sei die Schwere eines aus der Weitergabe personenbezogener Daten resultierenden Eingriffes in die schutzwürdigen Belange Betroffener oder Dritter gegenüberzustellen und zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie deren Interessen bei Gewährung der verlangten Auskunft hinreichend geschützt werden können. Sei der erforderliche Schutz der betroffenen Belange - etwa durch Anonymisierung der Information - möglich, werde die Ermessensentscheidung zu Gunsten des um die Auskunft nachsuchenden Ratsmitglieds auszufallen haben. Die Möglichkeit der Anonymisierung könne dabei nicht von vornherein unter Verweis auf den damit verbundenen Verwaltungsaufwand verneint werden. Einen Automatismus in dem Sinne, dass jedem Auskunftsbegehren nach § 55 Abs. 1 Satz 2 GO NRW schon deshalb zu entsprechen wäre, weil das um die Auskunft nachsuchende Ratsmitglied zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, gebe es aber nicht. Je schwerer der Eingriff in die zu schützenden Belange wirke, desto eher werde allein der Verweis auf die bestehende Verschwiegenheitspflicht nicht ausreichen, um der begehrten Auskunft zu entsprechen.
Glücksspielrechtliche Erlaubnisse zum Betrieb von Spielhallen
Nach einem Urteil des OVG NRW muss die Stadt Wuppertal neu über Anträge auf glücksspielrechtliche Erlaubnisse zum Betrieb von Spielhallen entscheiden. (Orientierungssatz)
OVG NRW, Urteil vom 25.10.2019
- Az.: 4 A 1826/19 und 4 A 665/19 -
Das Oberverwaltungsgericht NRW hat entschieden, dass die Stadt Wuppertal erstmals nach einem Auswahlverfahren entscheiden muss, ob einem Spielhallenbetreiber eine glücksspielrechtliche Erlaubnis zu erteilen ist (4 A 1826/19). In einem weiteren Urteil hat es entschieden, dass ein Spielhallenbetreiber, der an einem solchen Auswahlverfahren zu beteiligen ist, nicht erfolgreich die einem Konkurrenten erteilte Härtefallerlaubnis anfechten kann, die diesem unter Befreiung von der Einhaltung des gesetzlichen Mindestabstands von 350 m zu anderen Spielhallen erteilt worden ist (4 A 665/19). Es hat damit die erstinstanzlichen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf im Wesentlichen bestätigt.
Zur Begründung führt das Gericht aus, dass nach den Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags Spielhallen nach Ablauf einer zuvor bestehenden Übergangsfrist zueinander grundsätzlich einen Mindestabstand von 350 m Luftlinie einhalten müssten. Die Entfernung sei zwischen den Eingängen der Spielhallen zu messen. Begehrten nach Ablauf der Übergangsfrist mehrere Betreiber von Spielhallen, die zueinander den gesetzlichen Mindestabstand nicht einhielten, die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis, bedürfe es einer Auswahlentscheidung, für welche Spielhalle eine Erlaubnis erteilt werde. Bei der Auswahlentscheidung seien in Nordrhein-Westfalen insbesondere auch die Ziele des Glücksspielstaatsvertrags (Verhinderung und Bekämpfung von Glücksspielsucht, Kanalisierung und Begrenzung des Glücksspielangebots, Jugend- und Spielerschutz, Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Spiels und Schutz vor Kriminalität) zu berücksichtigen. Die Behörde dürfe einen Betreiber nicht wegen seiner Bestands- und Vertrauensschutzinteressen (wie etwa des längeren Bestehens des Spielhallenstandortes) auswählen, wenn die Spielhalle eines Konkurrenten besser geeignet sei, die Ziele des Staatsvertrags zu erreichen. Von der Notwendigkeit, nach Ablauf der Übergangsfrist eine Auswahlentscheidung zu treffen, werde die Behörde nicht dadurch entbunden, dass sie sogenannte Härtefallerlaubnisse erteile. Der erforderliche Vergleich der Konkurrenten im Hinblick auf die Erreichung der Ziele des Staatsvertrags finde dann nicht statt. Das gesetzlich vorausgesetzte Auswahlverfahren würde der Sache nach nicht durchgeführt werden. Dass dieses nach Ablauf der Übergangsfrist aber notwendig sei, sei bereits durch das Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich geklärt.
Diese Vorgaben habe die Stadt Wuppertal nicht beachtet. Sie müsse deshalb das Auswahlverfahren unter Beteiligung aller konkurrierenden Betreiber noch durchführen, also auch über den Antrag des klagenden Betreibers neu entscheiden. In die Auswahl seien auch die Bewerber einzubeziehen, die bisher bereits Härtefallerlaubnisse erhalten hätten. Zur Abweisung der Klage gegen die Härtefallerlaubnis, die einem Konkurrenten des Klägers unter Befreiung von der Einhaltung des Mindestabstandsgebots erteilt worden war, führte das Gericht aus, dass diese den klagenden Betreiber nicht in seinen Rechten verletze. Denn eine solche Erlaubnis könne einem konkurrierenden Betreiber, der wie der Kläger an dem nach Ablauf der Übergangsfrist durchzuführenden Auswahlverfahren zu beteiligen sei, nicht mit Blick auf das Mindestabstandsgebot entgegengehalten werden. Andernfalls würde die gesetzlich vorausgesetzte und erforderliche Auswahlentscheidung ersetzt bzw. in Frage gestellt.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen die Urteile nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.