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Hauptausschuss 2024
Heft Januar-Februar 2015
Konnexitätsprinzip lückenhaft
Das landesverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip verpflichtet den Landesgesetzgeber nicht, im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 29. Juni 2011 (BGBl. I S. 1306) einen Ausgleich finanzieller Mehrbelastungen der zuständigen Kreise und kreisfreien Städte durch das Land zu regeln (nichtamtlicher Leitsatz).
VerfGH NRW, Urteil vom 9. Dezember 2014
- Az.: VerfGH 11/13 -
Der Verfassungsgerichtshof NRW hat damit die Verfassungsbeschwerden von elf kreisfreien Städten und drei Kreisen zurückgewiesen. Die Verfassungsbeschwerde ist zwar zulässig. Die Beschwerdeführer haben geltend gemacht, der Landesnormgeber sei einer Regelungspflicht nicht nachgekommen, die ihm die Verfassung zum Schutz der finanziellen Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung auferlegt habe. Ein derartiges Unterlassen sei angesichts des Fehlens anderweitiger Rechtsschutzmöglichkeiten mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde angreifbar. An seiner bisher gegenteiligen Rechtsprechung hält der Verfassungsgerichtshof nicht mehr fest.
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Das landesverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip (Art. 78 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Landesverfassung NRW) verpflichte den Landesgesetzgeber bei der Übertragung neuer oder der Veränderung bestehender kommunaler Aufgaben, gleichzeitig einen finanziellen Ausgleich für die entstehenden notwendigen, durchschnittlichen Ausgaben zu schaffen.
Ebenso wie die erstmalige Aufgabenübertragung löse auch eine Veränderung bestehender, den Kommunen bereits landesgesetzlich zugewiesener Aufgaben aber nur dann eine Ausgleichspflicht aus, wenn sie durch Landesrecht unmittelbar verursacht worden sei. Dies sei bei einer Aufgabenänderung durch den Bundesgesetzgeber nicht der Fall, wenn sich der Beitrag des Landes auf eine vorausgegangene allgemeine Zuständigkeitszuweisung an die Kommunen beschränke, bei der die in Rede stehende Aufgabenänderung noch nicht absehbar gewesen sei.
Dass die Kommunen aufgrund der landesgesetzlichen Zuständigkeitszuweisung zur Ausführung der Aufgabe im nachträglich erweiterten Umfang verpflichtet seien, ändere daran nichts. Zwar werde damit bei Aufgabenänderungen durch Bundesrecht der wesentliche Zweck des Konnexitätsprinzips, die Kommunen vor zusätzlichen und erweiterten Aufgaben ohne gleichzeitigen Kostenausgleich zu schützen, häufig nicht erreicht. Diese Schutzlücke sei jedoch durch die derzeitige Ausgestaltung der landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsregelung und des Konnexitätsausführungsgesetzes bedingt. Sie könne nur durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geschlossen werden.
Nach diesen Maßstäben bestehe hier keine Pflicht zur Regelung eines Kostenausgleichs. Auf die Frage, ob das Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 29. Juni 2011 eine kostensteigernde Veränderung der betroffenen Aufgaben der Jugendhilfe zur Folge habe, komme es nicht an. Die Aufgaben nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz seien bereits Ende des Jahres 2008 durch Landesgesetz auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen worden.
Die von den Beschwerdeführern angeführte Aufgabenveränderung durch erhöhte Standards in der Amtsvormundschaft und -pflegschaft beruhe auf einem Bundesgesetz. Im Zusammenhang mit dessen Inkrafttreten sei der Landesgesetzgeber nicht (erneut) tätig geworden. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer werde eine Ausgleichspflicht des Landes auch nicht durch das Unterlassen einer Änderung der bestehenden Zuständigkeitszuweisung an die Kreise und kreisfreien Städte ausgelöst.
Vergnügungssteuer und neues Glücksspielrecht
Angesichts des grundlegenden Unterschieds zwischen den Steuergegenständen des Aufwands für Vergnügungen mit dem Glücksspiel an Geldspielgeräten einerseits und des Aufwands für die Hundehaltung und des Gewerbeertrags von Gewerbebetrieben andererseits gibt es unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten keinerlei Verpflichtung der Gemeinde, die genannten Steuern nur in Abhängigkeit voneinander zu erhöhen.
Auch unter Berücksichtigung des neuen Glücksspielrechts ist es unbedenklich, wenn der Satzungsgeber die Vergnügungssteuer auch zu Lenkungszwecken wie die Bekämpfung der Spielsucht einsetzt (nichtamtliche Leitsätze).
OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2014
- Az.: 14 A 1470/14 -
Der Kläger, ein Geldspielgeräteaufsteller, wandte sich gegen einen Vergnügungssteuerbescheid u. a. mit dem Einwand, die Vergnügungssteuer dürfe nicht auf bloß satzungsrechtlicher Grundlage erhoben werden, die Erhöhung der Vergnügungssteuer sei unzulässig, weil Hunde- und Gewerbesteuer nicht gleichermaßen erhöht worden seien, und angesichts des neuen Glücksspielrechts sei die Verfolgung eines Lenkungszwecks der Bekämpfung der Spielsucht unzulässig. Das VG hat die Klage abgewiesen. Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen aus den in der Antragsbegründung aufgeführten Gründen nicht. Solche Zweifel bestehen nicht deshalb, weil, wie die Klägerin meint, Steuererhebungen in der vorliegenden Höhe und Abfolge der Erhöhungen nur durch Gesetz, nicht durch Satzung erlaubt wären. Soweit es um den allgemeinen rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes geht, der für Eingriffe „in Freiheit und Eigentum“ eine formell-gesetzliche Grundlage - also nicht nur eine satzungsrechtliche - erfordert, ist dem mit der Ermächtigung zur Steuererhebung durch die Gemeinden in § 3 KAG Genüge getan.
Der Gesetzgeber hat sich auch nicht darauf beschränkt, die Gemeinden zur Steuererhebung zu ermächtigen und alles andere ihrer Regelungsbefugnis unterworfen. Vielmehr hat er durch die weiteren Regelungen des Kommunalabgabengesetzes, insbesondere durch die Anordnung weitgehender entsprechender Anwendung der Abgabenordnung (§ 12 Abs. 1 KAG) alle grundrechtsrelevanten Umstände der Steuererhebung selbst geregelt. Der Steuersatz selbst und dessen Erhöhungen unterfallen jedoch nicht dem Parlamentsvorbehalt, sondern dürfen Gegenstand des der Gemeinde verbliebenen Regelungsbereichs sein.
Die Vergnügungssteuersatzung mit ihrer letzten Steuererhöhung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nichtig, weil die Hunde- und die Gewerbesteuer nicht in ähnlichem Umfang erhöht worden sein sollen. Der Steuergesetzgeber hat bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Spielraum. Will er eine bestimmte Steuerquelle erschließen, andere hingegen nicht, dann ist der allgemeine Gleichheitssatz solange nicht verletzt, wie die Differenzierung auf sachgerechten Erwägungen, insbesondere finanzpolitischer, volkswirtschaftlicher, sozialpolitischer oder steuertechnischer Natur, beruht.
Angesichts des grundlegenden Unterschieds zwischen den Steuergegenständen des Aufwands für Vergnügungen mit dem Glücksspiel an Geldspielgeräten einerseits und des Aufwands für die Hundehaltung und des Gewerbeertrags von Gewerbebetrieben andererseits gibt es unter Gleichheitsgesichtspunkten keinerlei Verpflichtung der Gemeinde, die genannten Steuern nur in Abhängigkeit voneinander zu erhöhen.
Schließlich sei es auch unter Berücksichtigung des neuen Glücksspielrechts unbedenklich, die Vergnügungssteuer auch zu Lenkungszwecken wie die Bekämpfung der Spielsucht einzusetzen. Dass mit der Steuer Lenkungszwecke verfolgt werden dürfen, sei gesicherte Rechtsauffassung.
Ob auch in Ansehung des neuen, den Spielhallenbetrieb einschränkenden Glücksspielrechts ein Bedarf für eine Lenkung in Richtung der Senkung des Bestands an Geldspielgeräten besteht, obliege der politischen Einschätzung der Gemeinde, nicht der Entscheidung des Gerichts. Ein etwaig mit der Steuer verfolgter Lenkungszweck zur Eindämmung des Bestands an Geldspielgeräten stünde hier gerade im Einklang mit der Zielrichtung des Ausführungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag. Auch könne dem Gesetz nicht entnommen werden, dass eine Unterstützung der Ziele des Gesetzes durch die - im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes bereits existierende - Steuer ausgeschlossen sein sollte.
Einheitsbewertung des Grundvermögens
Der Bundesfinanzhof hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig sind. Der BFH geht davon aus, dass die festgestellten Einheitswerte, die für die Berechnung des Grundsteuermessbetrages maßgeblich sind, spätestens seit dem Feststellungszeitpunkt 1. Januar 2009 nicht mehr verfassungsgemäß sind (nichtamtliche Leitsätze).
BFH, Beschluss vom 22. Oktober 2014
- Az.: R 16/13 -
In dem Verfahren, das dem Vorlagebeschluss des BFH zugrunde liegt, hatte der Kläger im Jahr 2008 ein Ladenlokal im ehemaligen Westteil von Berlin erworben. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass der gegenüber dem Voreigentümer festgestellte Einheitswert für das Ladenlokal ihm gegenüber keine Bindungswirkung entfalten könne, weil die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens wegen des lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunktes 1. Januar 1964 verfassungswidrig seien. Die Einheitswertfeststellung müsse daher zum 1. Januar 2009 ersatzlos aufgehoben werden.
Die für die Grundsteuererhebung maßgeblichen Einheitswerte resultieren in den alten Bundesländern und dem ehemaligen Westteil von Berlin aus einem Hauptfeststellungsverfahren aus dem Jahr 1964. Der BFH ist der Ansicht, dass die Maßgeblichkeit dieser veralteten Werteverhältnisse spätestens seit dem 1. Januar 2009 wegen des 45 Jahre zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunktes nicht mehr mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung des Steuerrechts vereinbar ist.
Durch den Verzicht auf weitere Hauptfeststellungsverfahren sei es zu dem Gleichheitssatz widersprechenden Wertverzerrungen bei den Einheitswerten gekommen. Die seit dem Jahr 1964 eingetretene rasante städtebauliche Entwicklung gerade im großstädtischen Bereich, die Fortentwicklung des Bauwesens nach Bauart, Bauweise, Konstruktion und Objektgröße sowie andere tiefgreifende Veränderungen am Immobilienmarkt fänden keinen angemessenen Niederschlag im Einheitswert.
Der BFH vertritt nicht die Ansicht, dass das Niveau der Grundsteuer insgesamt zu niedrig sei und angehoben werden müsse. Vielmehr gehe es darum, dass die einzelnen wirtschaftlichen Einheiten innerhalb einer Gemeinde im Verhältnis zueinander realitätsgerecht bewertet werden müssten. Nur eine solche Bewertung könne gewährleisten, dass die Belastung mit Grundsteuer sachgerecht ausgestaltet werde und mit dem Gleichheitssatz vereinbar sei.