Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Heft Januar-Februar 2022
Auswahlverfahren für Beigeordnetenstelle
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen hat der Stadt Duisburg vorläufig untersagt, die von ihr ausgeschriebene Stelle einer Beigeordneten/eines Beigeordneten für das Dezernat für Umwelt und Klimaschutz, Gesundheit, Verbraucherschutz und Kultur mit dem vom Rat gewählten Bewerber zu besetzen. Es hat damit der Beschwerde einer im Auswahlverfahren unterlegenen Bewerberin stattgegeben, die mit ihrem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf noch erfolglos geblieben war. Der Rat der Stadt Duisburg muss nun eine erneute Auswahlentscheidung treffen.
OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2021
- Az.: 6 B 1176/21 -
Zur Begründung führt das OVG aus, das Auswahlverfahren zur Besetzung der in Duisburg ausgeschriebenen Beigeordnetenstelle verletze den Grundsatz der Bestenauslese. Danach hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Die Wahl eines Beigeordneten durch den Rat sei zwar als freie und nur den Bindungen des Gesetzes und des Gewissens unterworfene Entscheidung der Ratsmitglieder einer inhaltlichen gerichtlichen Kontrolle entzogen. Das zur Wahl führende Verfahren müsse aber dem Grundsatz der Bestenauslese genügen und der Rat darf die Auswahlentscheidung auch nicht in Teilen Dritten überlassen. Hier habe der Rat der Stadt Duisburg sich durch das von ihm beauftragte externe Personalberatungsunternehmen nicht lediglich - was zulässig gewesen wäre - organisatorisch unterstützen und fachlich beraten lassen. Vielmehr habe er diesem eine Vorauswahl der Bewerber überlassen, ohne selbst hierfür objektiv überprüfbare Kriterien festzulegen. Hierdurch habe er die allein ihm obliegende Auswahlentscheidung in unzulässiger Weise aus der Hand gegeben. Das durch das beauftragte Personalberatungsunternehmen durchgeführte Vorauswahlverfahren habe zudem die Chancengleichheit der Kandidaten verletzt. Denn der Rat sei durch die Personalberater über die Qualifikation der Bewerber nicht objektiv informiert worden und daher bei der Wahl des vorgeschlagenen Kandidaten zum Beigeordneten von einem verzerrt dargestellten Sachverhalt ausgegangen. Auch aus diesem Grund sei dem Rat eine eigene Eignungsbeurteilung und eigenverantwortliche (Vor-)Auswahlentscheidung nicht möglich gewesen.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Wettbürosteuer der Stadt Koblenz
Das OVG Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass die Satzung der Stadt Koblenz über die Erhebung einer Wettbürosteuer (Wettbürosteuersatzung) wirksam ist. Das Gericht bejaht in seiner Entscheidung die Annahme einer örtlichen Aufwandsteuer wegen der Lage des Wettbüros im Gemeindegebiet auch bei Wetten, die sich auf vor Ort (live) mitverfolgbare Wettereignisse und Wetten auf Wetterereignisse bezögen.
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.11.2021
- Az.: 6 A 10341/21.OVG –
Die Klägerin betreibt im Stadtgebiet von Koblenz zwei Wettbüros, in denen Pferde- und Sportwetten eines in Malta ansässigen Wettveranstalters vermittelt werden und neben der Annahme von Wettscheinen auch das Mitverfolgen von Wettereignissen auf Monitoren ermöglicht wird. Hierfür wird sie von der Stadt Koblenz nach der zum 01.02.2019 in Kraft getretenen Wettbürosteuersatzung zu einer Wettbürosteuer herangezogen. Mit ihrer gegen diese Heranziehung erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, es fehle an einer tauglichen Rechtsgrundlage für die Erhebung der Wettbürosteuer. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Das Oberverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung und wies die Berufung der Klägerin zurück.
Die Wettbürosteuersatzung sei wirksam. Die beklagte Stadt sei zu deren Erlass befugt gewesen. Nach der Regelung des Grundgesetzes (Art. 105 Abs. 2a GG) hätten die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig seien. Diese Befugnis sei durch das Kommunalabgabengesetz an die Kommunen übertragen worden. Bei der Wettbürosteuer handele es sich entgegen der Auffassung der Klägerin um eine örtliche Aufwandsteuer. Sie knüpfe an die Lage des Wettbüros im Gemeindegebiet an, so dass der erforderliche örtliche Bezug gegeben sei. Dies gelte nicht nur für diejenigen Wetten, die sich auf vor Ort (live) mitverfolgbare Wettereignisse bezögen, sondern auch für Wetten auf sonstige Wettereignisse. Denn die Wettbürosteuer betreffe den Konsumaufwand des Wettkunden für das Wetten in einem Wettbüro, das sich durch seine Ausstattung insbesondere mit Monitoren und die Möglichkeit des Mitverfolgens von Wettereignissen von reinen Wettvermittlungsstellen unterscheide und eine Art Gesamtvergnügungsveranstaltung darstelle. Besteuert werde nicht nur der Aufwand für das Wetten in einem Wettbüro, sondern die mit dem Wettvorgang verbundene und zum Verweilen einladende Vergnügungsveranstaltung, durch die eine zum Wetten anreizende Atmosphäre gefördert werde, die sich nicht in Wetten auf vor Ort (live) verfolgbare Ereignisse erschöpfe. Die kommunale Wettbürosteuer sei auch nicht mit der bundesrechtlich im Rennwett- und Lotteriegesetz geregelten Sportwettensteuer gleichartig. Bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung aller Merkmale der beiden Steuern seien neben Gemeinsamkeiten auch entscheidende Unterschiede in der Zielsetzung und dem Steuergegenstand festzustellen sowie ein stark abweichendes Aufkommen der beiden Steuern und ein abweichender Kreis der Steuerschuldner. Die Besteuerung verletze auch nicht die unionsrechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit.
BVerfG zu Erschließungsbeiträgen
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Kommunalabgabengesetzes Rheinland-Pfalz (KAG RP) mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) insoweit unvereinbar ist, als danach Erschließungsbeiträge nach dem Eintritt der Vorteilslage zeitlich unbegrenzt erhoben werden können. Die Beitragspflichten verjähren in Rheinland-Pfalz zwar vier Jahre nach Entstehung des Abgabeanspruchs. Der Beginn der Festsetzungsfrist knüpft damit allerdings nicht an den Eintritt der Vorteilslage an, weil die Entstehung des Abgabeanspruchs von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt. So bedarf es unter anderem einer öffentlichen Widmung der Erschließungsanlage, die erst nach tatsächlicher Fertigstellung der Anlage erfolgen kann. Die tatsächliche Vorteilslage und die Beitragserhebung können somit zeitlich weit auseinanderfallen. Dies verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und ?vorhersehbarkeit. Die Entscheidung ist auch für Nordrhein-Westfalen relevant.
BVerfG, Beschluss vom 03.11.2021
- Az.: 1 BvL 1/19 -
Der Kläger des Ausgangsverfahrens, der Eigentümer mehrerer Grundstücke in Rheinland-Pfalz ist, wendet sich gegen die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung einer Straße. In den Jahren 1985/1986 wurde die an die Grundstücke des Klägers angrenzende Straße vierspurig mit einer Länge von knapp 200 Metern gebaut. 1991 zog die Stadt den Kläger zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag heran. Die zunächst vorgesehene vierspurige Fortführung der Straße wurde 1999 endgültig aufgegeben. Die Straße wurde stattdessen in den Jahren 2003/2004 zweispurig weitergebaut und in ihrer vollen Länge 2007 als Gemeindestraße gewidmet. Die Stadt setzte daraufhin für die hier maßgeblichen Flurstücke Erschließungsbeiträge fest. Dabei brachte sie die vom Kläger gezahlten Vorausleistungen in Abzug. Nachdem das Verwaltungsgericht zunächst zwei Bescheide aufhob, setzte die Stadt die beanstandeten Beitragsbescheide 2011 neu fest und erhob für ein einzelnes Flurstück einen Nacherhebungsbeitrag. Die dagegen gerichtete Klage blieb vor Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht überwiegend erfolglos. Die Beitragspflicht sei erst mit Widmung der Straße im Jahr 2007 entstanden. Die vierjährige Festsetzungsfrist sei somit erst am 31.12.2011 abgelaufen, also nach Erlass der angefochtenen Bescheide. Sie sei auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
Auf die Revision des Klägers setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1 AO mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und ?vorhersehbarkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar sei, soweit er die Erhebung von Erschließungsbeiträgen zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage erlaubt.
Laut BVerfG-Beschluss ist § 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar, soweit danach die Möglichkeit besteht, dass nach dem Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage unbefristet Beiträge erhoben werden. Das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerte Gebot der Belastungsklarheit und ?vorhersehbarkeit schütze davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Es erstrecke sich auf alle Abgaben zum Vorteilsausgleich und gilt in allen Fällen, in denen die abzugeltende tatsächliche Vorteilslage in der Sache eintritt, die daran anknüpfenden Beitragsansprüche aber wegen des Fehlens einer sonstigen Voraussetzung nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können.
Das Gebot der Belastungsklarheit und ?vorhersehbarkeit verlange, dass Betroffene nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Der Zeitpunkt, in dem der abzugeltende Vorteil entsteht, müsse daher für die Betroffenen unter Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizonts auch erkennbar sein. Der Begriff der Vorteilslage müsse somit an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten anknüpfen und rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld außen vor lassen.
Nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung komme es im Erschließungsbeitragsrecht für die abzugeltende Vorteilslage allein auf die tatsächliche bautechnische Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme an. Eine derartige Vorteilslage sei anzunehmen, wenn eine beitragsfähige Erschließungsanlage den an sie zu stellenden technischen Anforderungen entspricht und dies für den Beitragspflichtigen erkennbar ist. Diese fachgerichtliche Rechtsprechung konkretisiere die Anforderungen an die Entstehung der erschließungsrechtlichen Vorteilslage aus der Perspektive des Gebots der Belastungsklarheit und ?vorhersehbarkeit in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise.
Danach verstoße es gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, dass das rheinland-pfälzische Landesrecht in § 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP die zeitlich unbegrenzte Festsetzung von Erschließungsbeiträgen ermöglicht. Es gestatte in Fällen, in denen die mit Erschließungsbeiträgen abzugeltende tatsächliche Vorteilslage eingetreten ist, aber noch nicht alle Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht gegeben sind, die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen ohne zeitliche Begrenzung. Denn der Beginn der Festsetzungsfrist hänge von der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht ab, obwohl die tatsächliche Vorteilslage schon im Falle einer zulässigen tatsächlichen Nutzbarkeit der Erschließungsanlage und damit bereits vor dem Vorliegen sämtlicher Beitragsentstehungsvoraussetzungen eintreten kann. Die Regelung verschiebe auf diese Weise den Verjährungsbeginn ohne zeitliche Obergrenze nach hinten. Dies werde den Anforderungen des Gebots der Belastungsklarheit und ?vorhersehbarkeit nicht gerecht. Auch aus sonstigen Regelungen ergäben sich keine zeitlichen Grenzen der Erhebung von Erschließungsbeiträgen, die allein an den Zeitpunkt der Erlangung des tatsächlichen Vorteils anknüpfen.
Es sei nun Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Ob dabei die in jedem Fall notwendige zeitliche Obergrenze adäquat bemessen ist, stelle eine primär dem Gesetzgeber überantwortete Frage dar. Jedenfalls genüge eine dreißigjährige Ausschlussfrist losgelöst von den Besonderheiten der Wiedervereinigung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.