Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Heft Juli 2000
Verhältnismäßigkeit einer Abrissverfügung
Allein die Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsfläche löst unabhängig vom Grad der mit der Abstandsunterschreitung verbundenen Beeinträchtigung des Nachbarn einen nachbarlichen Abwehranspruch aus, dem die Bauaufsichtsbehörde mit einer Abrißverfügung Rechnung zu tragen hat (nichtamtlicher Leitsatz).
- OVG NW, Urt. v. 13.10.1999
- Az.: 7 A 998/99 -
Der Kläger, Miteigentümer eines Hausgrundstücks, welches unter Mißachtung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen errichtet worden war, wandte sich mit der Klage gegen eine Abrißverfügung. Die Klage wurde vom VG abgewiesen. Die vom OVG zugelassene Berufung blieb erfolglos.
Die Abrißverfügung, mit der der Kläger aufgefordert worden war, binnen 3 Monaten nach Bestandskraft und rechtskräftiger Aufhebung der Baugenehmigung sein Gebäude zu beseitigen, sei durch die Ermächtigungsgrundlage des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NW gedeckt, da das Gebäude formell illegal errichtet worden sei und auch nicht gem. § 75 Abs. 1 BauO NW genehmigungsfähig, und damit materiell illegal sei.
Der Beklagte habe bei Erlaß der Abrißverfügung das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die allein als ermessensfehlerfrei getroffene Entscheidung des Beklagten sei zutreffend auf den vollständigen Abbruch des Gebäudes gerichtet. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehe dem nicht entgegen, da der Rückbau des Hauses auf ein zulässiges, die Einhaltung der Abstandsfläche sicherstellendes Maß, kein milderes Mittel sei, das der Beklagte anstelle des vollständigen Abrisses hätte wählen können und müssen. Eine solche Wahl sei ihm vielmehr aus Rechtsgründen verschlossen, da viele Möglichkeiten denkbar seien, wie der Rückbau hier erfolgen könnte und dem Bauherrn nicht eine bestimmte Form des Gebäudes aufgedrängt werden dürfe.
Auch konnte der Beklagte bei der von ihm getroffenen Ermessensentscheidung fehlerfrei davon absehen zu berücksichtigen, inwieweit die Unterschreitung der Abstandsfläche tatsächlich zu einer Wertminderung des Nachbargrundstücks und zu einer Beeinträchtigung des Nachbarn führte. Allein die Nichteinhaltung der nach § 6 BauO NW erforderlichen Abstandsfläche löse unabhängig vom Grad der mit der Abstandsunterschreitung verbundenen Beeinträchtigung des Nachbarn einen nachbarlichen Abwehranspruch aus, dem der Beklagte mit der Abrißverfügung Rechnung zu tragen hatte.
Nicht zu beanstanden sei auch, daß der Beklagte die wirtschaftlichen Interessen des Klägers an einem Erhalt des Gebäudes nicht mit in die Ermessensentscheidung eingestellt hat. Errichte ein Bauherr rechtswidrig ein Nachbarrechte verletzendes Gebäude, so handele er vielmehr auf eigenes wirtschaftliches Risiko.
Verkehrssicherungspflicht gegenüber Radfahrern
Benutzt ein Rennradfahrer einen Radweg nicht, obwohl er nach § 2 Abs. 4 StVO dazu verpflichtet ist, muß er sich selbst bei einem verkehrswidrigen Zustand der Fahrbahn und einer schuldhaften Pflichtverletzung ein so erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen, daß das Verschulden des Verkehrssicherungspflichtigen dahinter zurückzutreten hätte (nichtamtlicher Leitsatz).
- LG Köln, Urt. v. 02.02.1999
- Az.: 5 O 310/98 -
Der Kläger war mit seinem Rennrad in ein - seiner Behauptung nach - ca. 30 cm tiefes und 60 cm x 40 cm langes bzw. breites Loch in der Fahrbahn gefahren und verlangte nunmehr Schadensersatz vom Verkehrssicherungspflichtigen.
Das Gericht wies die Klage ab, da dem Kläger kein Anspruch aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG wegen einer behaupteten Verkehrssicherungspflichtverletzung gegen die Beklagte zustehe.
Eine schuldhafte Verletzung der der Beklagten gem. § 9 a Straßen- und Wegegesetz NW obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht sei nicht feststellbar. Ob der Fahrbahnschaden tatsächlich vorgelegen habe und es sich hierbei um einen verkehrswidrigen Zustand handele, der auch unfallursächlich gewesen sei, sei irrelevant, da der Kläger nichts dazu vorgetragen habe, daß der Beklagten dieser Umstand bekannt gewesen sei und sie daher zur Vermeidung des Schadens hätte Abhilfe schaffen müssen.
Selbst wenn ein verkehrswidriger Zustand und eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten anzunehmen wäre, müßte sich nach Auffassung des Gerichts der Kläger ein so erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen, daß ein unterstelltes Verschulden auf der Beklagtenseite nach § 254 BGB dahinter zurückzutreten hätte. Der Kläger hätte nach § 2 Abs. 4 StVO den für ihn maßgeblichen Radweg benutzen müssen. Das Vorbringen des Klägers, er fahre ein Rennrad, bei dem erheblich höhere Geschwindigkeiten zu verzeichnen seien als bei normalen Fahrrädern und er daher als Rennradfahrer eine Gefahrenquelle für den ansonsten auf dem Fahrradweg stattfindenden üblichen Fahrradverkehr darstelle, könne nur als befremdlich angesehen werden.
© StGB NRW 2000