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Heft Juli-August 2022
Örtliche Übernachtungsteuer
Mit am 17. Mai 2022 veröffentlichtem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vier Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die die Erhebung einer Steuer auf entgeltliche Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben (Übernachtungsteuer) in der Freien und Hansestadt Hamburg, in der Freien Hansestadt Bremen sowie in der Stadt Freiburg im Breisgau betreffen.
BVerfG, Beschluss vom 22. März 2022
- Az.: 1 BvR 2868/15, 1 BvR 354/16, 1 BvR 2887/15, 1 BvR 2886/15 -
Seit dem Jahr 2005 führten zahlreiche Städte und Gemeinden unter Berufung auf Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG eine Steuer auf entgeltliche Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben im Gemeindegebiet ein. Diese so genannte „Übernachtungsteuer“, „Hotelsteuer“ oder „Bettensteuer“ (im Folgenden: Übernachtungsteuer) beläuft sich zumeist auf einen niedrigen Prozentsatz des Preises einer beruflich veranlassten Übernachtung (Nettoentgelt) und wird in der Regel vom Übernachtungsgast (Steuerträger) bei der Buchung oder der Anmeldung im Beherbergungsbetrieb erhoben. Steuerschuldner ist der jeweilige Beherbergungsbetrieb. Er führt die Übernachtungsteuern an das Finanzamt ab.
Sämtliche Beschwerdeführerinnen sind Beherbergungsbetriebe. Ihre Beschwerden richten sich gegen die Erhebung von Übernachtungsteuern in Hamburg, Bremen und der Stadt Freiburg im Breisgau. Neben einem Verstoß der Regelungen gegen die Gesetzgebungskompetenz für die Aufwandsteuer gemäß Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG rügen die Beschwerdeführerinnen insbesondere eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, ihrer vermögensrechtlichen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG und ihres Gleichheitsgrundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Verfassungsbeschwerden hatten jedoch keinen Erfolg. Die streitgegenständlichen Gerichtsurteile und die ihnen zugrundeliegenden Normen griffen zwar in die allgemeine Handlungsfreiheit der Beschwerdeführerinnen im vermögensrechtlichen Bereich aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie in ihre Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ein. Diese Eingriffe sind laut BVerfG jedoch gerechtfertigt.
Die streitigen Übernachtungsteuern seien örtliche Aufwandsteuern im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG, die bundesgesetzlich geregelten Steuern nicht gleichartig sind. Gegenstand der Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG ist die Verwendung von Einkommen für den persönlichen Lebensbedarf. Als Aufwand gelte dabei ein äußerlich erkennbarer Konsum, für den finanzielle Mittel verwendet werden und der typischerweise Ausdruck und Indikator wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ist, ohne dass es darauf ankäme, von wem und mit welchen Mitteln dieser Konsum finanziert wird und welchen Zwecken er dient. Bei der Hamburgischen Kultur- und Tourismustaxe, der Bremischen Tourismusabgabe und der Freiburger Übernachtungsteuer handele es sich demnach um Aufwandsteuern. Steuergegenstand sei jeweils der Aufwand des Beherbergungsgastes für die Möglichkeit einer entgeltlichen Übernachtung in einem Beherbergungsbetrieb. Dieser von den Übernachtungsgästen betriebene Aufwand werde bei den Beherbergungsbetrieben als Steuerschuldner erhoben (indirekte Steuererhebung). Die Übernachtungsteuer sei damit auf Abwälzung auf die Konsumenten angelegt.
Die hier streitigen Steuern seien zudem weder der Umsatzsteuer noch einer anderen bundesrechtlich geregelten Steuer gleichartig.
Die Übernachtungsteuern seien schließlich auch materiell verfassungsgemäß. Die Besteuerung beruht in Hamburg und Bremen auf einer landesgesetzlichen Grundlage, in Freiburg auf einer Satzung, die selbst auf landesgesetzlicher Grundlage steht. Der mit der Besteuerung verbundene Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG sei gerechtfertigt, weil die Ausgestaltung der Übernachtungsteuerregelungen die Anforderungen des Gleichheitsgrundrechts (Art. 3 Abs. 1 GG) wahre und die Beschwerdeführerinnen nicht unverhältnismäßig belaste. Die Bestimmung der Beherbergungsbetriebe zu Steuerschuldnern verletze den Grundsatz der gerechten Lastenverteilung nicht. Die indirekte Erhebung der Übernachtungsteuern bei den Beherbergungsbetrieben sei im Sinne einer gleichheitsgerechten Steuererhebung nachvollziehbar und nicht willkürlich. Die Beherbergungsbetriebe stünden in einer besonderen rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehung zum Steuergegenstand, denn sie leisten einen maßgebenden Beitrag zur Verwirklichung des steuerbegründenden Tatbestands der Übernachtung. Die Übernachtungsteuer sei zudem auf Abwälzung angelegt. Die Beschwerdeführerinnen könnten die Übernachtungsteuer ohne Weiteres von den Übernachtungsgästen, die aus nicht-beruflichem Anlass übernachten, vereinnahmen.
Auch die Ausnahmen von der Besteuerung für beruflich veranlasste Übernachtungen seien mit dem Gleichheitsgrundrecht (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar. Bei den Ausnahmetatbeständen handele es sich um Abweichungen von der – mit der Wahl des Steuergegenstandes „entgeltliche Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben“ – einmal getroffenen Belastungsentscheidung, die ihrerseits am Gleichheitssatz zu messen sind. Danach könne ein Normgeber die berufliche Veranlassung als Anknüpfungspunkt für eine Differenzierung bei der Aufwandbesteuerung wählen und für die Berufsausübung zwingend erforderliche Übernachtungen von der Besteuerung ausnehmen, um etwa der (lokalen) Wirtschaftsförderung zu dienen. Der Gesetzgeber sei indes von Verfassungs wegen nicht dazu gezwungen, von einer Besteuerung beruflich veranlasster Übernachtungen abzusehen.
Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerinnen aus Art. 12 Abs. 1 GG durch deren Indienstnahme als Zahlstelle für die Übernachtungsteuer sei ebenfalls gerechtfertigt. Eine für die Beschwerdeführerinnen weniger belastende Bestimmung zum Steuerentrichtungspflichtigen stelle kein gleich geeignetes Mittel dar, da die Haftung als Steuerschuldner für die Durchsetzung der Steuerpflicht offensichtlich effektiver ist. Eine direkte Erhebung bei den Übernachtungsgästen wäre nicht praktikabel. Den Beschwerdeführerinnen sei es insgesamt zumutbar, die Steuererhebung durch ihre Mitwirkung zu ermöglichen. Durch die Pflichten insbesondere zur Steueranmeldung sowie zur Abführung der Steuer entstehe ihnen zwar ein zusätzlicher, allein der Übernachtungsteuer geschuldeter Aufwand. Diese zusätzlichen Pflichten im Besteuerungsverfahren stellten aber eine unternehmenstypische Tätigkeit dar, die über ähnliche Belastungen des Melderechts und des Umsatzsteuerrechts nicht hinausgeht.
Heranziehung zu Anschlussbeiträgen nach erfolgtem Wechsel des Aufgabenträgers
Mit am 31. Mai 2022 veröffentlichtem Beschluss hat das BVerfG zwei Verfassungsbeschwerden stattgegeben, mit denen sich die Beschwerdeführerinnen gegen ihre Heranziehung zu Anschlussbeiträgen nach erfolgtem Wechsel des Aufgabenträgers wandten. Die fachgerichtlichen Entscheidungen verletzten die Beschwerdeführerinnen jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG), so die Kammer.
BVerfG, Beschluss vom 12. April 2022
- Az.: 1 BvR 798/19, 1 BvR 2894/19 -
Mit ihren Verfassungsbeschwerden machen die Beschwerdeführerinnen unter anderem eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) geltend. Sie meinen, dass der verfassungsrechtlich garantierte Vertrauensschutz die Erhebung von Anschlussbeiträgen durch einen neuen Aufgabenträger verbiete, wenn unter dem alten Aufgabenträger hypothetische Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
Laut Gericht verstießen die angegriffenen Entscheidungen bereits gegen die Bindungswirkung eines älteren Beschlusses der 2. Kammer des Ersten Senats (Beschluss vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14 und 1 BvR 3051/14; Pressemitteilung Nr. 94/2015 vom 17. Dezember 2015). Danach verletze die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n. F. in Fällen, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a. F. nicht mehr erhoben werden könnten, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Grundsatz des Vertrauensschutzes). Diese Entscheidung war für die Verwaltungsgerichte gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindend. Dies gelte auch dann, wenn es zwischenzeitlich zu einem Wechsel des Aufgabenträgers gekommen ist. Im Falle der erfolgten Eingemeindung sah die Kammer ebenfalls einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als gegeben an, ging also davon aus, dass der Wechsel eines Aufgabenträgers der Berufung auf die hypothetische Festsetzungsverjährung nicht entgegensteht. Bei einem Beitritt einer Gemeinde zu einem Zweckverband oder der Gründung eines Zweckverbands durch mehrere Gemeinden gelte nichts anderes.
Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ließen sich im Übrigen auch nicht mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Grundsatz des Vertrauensschutzes) vereinbaren. Der Gesetzgeber in Brandenburg habe zwar für Kommunalabgaben Verjährungsregelungen und eine (verfassungsgemäße) Regelung zur zeitlichen Höchstfrist (§ 19 Abs. 1 KAG Bbg) getroffen. Die Auslegungspraxis der Verwaltungsgerichte führe jedoch dazu, dass das durch den Eintritt der hypothetischen Verjährung begründete Vertrauen der Beschwerdeführerinnen, dass die erlangten tatsächlichen Vorteile nicht mehr durch Beiträge ausgeglichen werden müssen, für unbeachtlich erklärt wird, ohne dass Gründe ersichtlich wären, die es rechtfertigen könnten, nachträglich in die von Verfassungs wegen geschützte Vertrauensposition einzugreifen. Zwar treffe die Annahme der Verwaltungsgerichte zu, dass diejenigen, die daraus besonderen wirtschaftlichen Nutzen ziehen können, dass ihnen das Gemeinwesen in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eine besondere Einrichtung zur Verfügung stellt, auch zu den Kosten deren Errichtung und Unterhaltung beitragen sollen. Ist die abzugeltende Vorteilslage eingetreten, dann muss der Bürger damit rechnen, dass er zur Zahlung von Beiträgen herangezogen wird. Je weiter dieser Zeitpunkt zurückliege, desto mehr verflüchtige sich allerdings die Legitimation zur Erhebung von Beiträgen für diese Vorteilslage. Sie sei ausgeschlossen, wenn (hypothetische) Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Daran könnten auch die Änderung der Größe einer kommunalen Anlage und der Wechsel des Aufgabenträgers nichts ändern. Die Leistung der (früheren) Kommune, hier der Anschluss an die Wasser- und Abwasseranlage, habe sich durch das Aufgehen in ein größeres Verbandsgebiet nicht verändert. Damit beginne auch die Frist für das Vertrauen nicht wieder neu zu laufen. Anderenfalls würden Beitragspflichtige wegen eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs letztlich doch dauerhaft im Unklaren gelassen, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Das wäre mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit der Rechtsordnung als Garanten einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht zu vereinbaren.
Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern
Mit am 5. Mai 2022 veröffentlichtem Beschluss hat das BVerfG entschieden, dass das Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks in Mecklenburg-Vorpommern (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz - BüGembeteilG) ganz überwiegend mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dieses Gesetz verpflichtet die Betreiber von Windenergieanlagen (Vorhabenträger), Windparks nur durch eine eigens dafür zu gründende Projektgesellschaft zu betreiben und Anwohnerinnen und Anwohner sowie standortnahe Gemeinden durch den Erwerb von Gesellschaftsanteilen oder stattdessen durch den Erwerb von Sparprodukten durch die Anwohner und die Zahlung einer Abgabe an die Gemeinde mit insgesamt mindestens 20 % an deren Ertrag zu beteiligen. Dadurch soll die Akzeptanz für neue Windenergieanlagen verbessert und so der weitere Ausbau der Windenergie an Land gefördert werden. Die damit verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor Beeinträchtigungen durch den Klimawandel und der Sicherung der Stromversorgung seien hinreichend gewichtig, um den mit der Beteiligungspflicht verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen zu können.
BVerfG, Beschluss vom 23. März 2022
- Az.: 1 BvR 1187/17 -