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Hauptausschuss 2024
Heft März 2008
Arbeitsgemeinschaften im Rahmen von Hartz IV
Die in § 44b SGB II geregelte Pflicht der Kreise zur Aufgabenübertragung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (Grundsicherung für Arbeitsuchende) auf die Arbeitsgemeinschaften und die einheitliche Aufgabenwahrnehmung von kommunalen Trägern und der Bundesagentur für Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften verletzt die Gemeindeverbände in ihrem Anspruch auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung und verstößt gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes (nichtamtlicher Leitsatz).
BVerfG, Urteil vom 20. Dezember 2007
- Az.: 2 BvR 2433/04; 2 BvR 2434/04 -
Mit diesem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts Kommunalverfassungsbeschwerden von Kreisen und Landkreisen gegen organisatorische Regelungen des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (Grundsicherung für Arbeitsuchende) teilweise stattgegeben. Soweit sich die Beschwerdeführer gegen die Zuweisung der Zuständigkeit für einzelne Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV") ohne vollständigen Ausgleich der sich daraus ergebenden finanziellen Mehrbelastungen gewandt hatten, wurden die Beschwerden zurückgewiesen.
Die in § 44b SGB II geregelte Pflicht der Kreise zur Aufgabenübertragung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (Grundsicherung für Arbeitsuchende) auf die Arbeitsgemeinschaften und die einheitliche Aufgabenwahrnehmung von kommunalen Trägern und der Bundesagentur für Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften verletzt jedoch die Gemeindeverbände in ihrem Anspruch auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung und verstößt gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes.
Die Arbeitsgemeinschaften sind als Gemeinschaftseinrichtung von Bundesagentur und kommunalen Trägern nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht vorgesehen. Besondere Gründe, die ausnahmsweise die gemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmung in den Arbeitsgemeinschaften rechtfertigen könnten, existieren nicht. Zudem widerspricht die Einrichtung der Arbeitsgemeinschaft dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung, der den zuständigen Verwaltungsträger verpflichtet, die Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen.
Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31. Dezember 2010, bleibt die Norm jedoch anwendbar. Dem Gesetzgeber muss für eine Neuregelung, die das Ziel einer Bündelung des Vollzugs der Grundsicherung für Arbeitsuchende verfolgt, ein der Größe der Umstrukturierungsaufgabe angemessener Zeitraum belassen werden.
Der Richter Broß, die Richterin Osterloh und der Richter Gerhardt haben eine abweichende Meinung angefügt. Sie sind der Auffassung, dass § 44b SGB II im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
Getrennte Gebühr für Regenwasser-Beseitigung
Die Abrechnung der Kosten der Regenwasserbeseitigung über den einheitlichen Frischwassermaßstab (Frischwasser = Abwasser) ist unzulässig (nichtamtlicher Leitsatz).
OVG NRW, Urteil vom 18. Dezember 2007
- Az.: 9 A 3648/04 - nicht rechtskräftig -
Mit diesem Urteil hat das OVG NRW endgültig klargestellt, dass jede Stadt/Gemeinde in Nordrhein-Westfalen verpflichtet ist, die Kosten der Regenwasserbeseitigung über eine gesonderte Gebühr, namentlich eine von der Schmutzwassergebühr getrennte Regenwassergebühr, abzurechnen.
Zur Begründung wird Folgendes ausgeführt: Der Frischwassermaßstab (Frischwasser = Abwasser) ist lediglich für die Abrechnung der Kosten der Schmutzwasser-Beseitigung ein geeigneter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der mit dem Äquivalenzprinzip in § 6 Abs. 3 Satz 2 KAG NRW vereinbar ist. Es ist nämlich ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Menge des bezogenen Frischwassers, die einem an die Abwasseranlage angeschlossenen Grundstück zugeführt wird, in etwa der anfallenden Schmutzwassermenge entspricht.
Ein solcher Zusammenhang ist aber bei der Niederschlagswasserentsorgung von einem Grundstück nicht gegeben. Der Frischwasserverbrauch ist keine geeignete Bezugsgröße, die einen verlässlichen Rückschluss darauf erlaubt, wie viel Niederschlagswasser von dem betreffenden Grundstück der kommunalen Abwasseranlage zugeführt wird. Der Frischwasserverbrauch ist regelmäßig personen- und produktionsabhängig. Die Menge des eingeleiteten Niederschlagswassers hängt hingegen von Größen wie Topographie, Flächengröße, Oberflächengestaltung und der Menge des Niederschlags ab. Damit besteht kein verlässlicher Zusammenhang zwischen dem Frischwasserbezug eines Grundstücks und der von diesem Grundstück zu entsorgenden Niederschlagsmenge.
Das OVG NRW hat damit seine bisherige Rechtsprechung komplett aufgegeben, wonach bei einer einheitlichen Bebauungsstruktur im Gemeindegebiet oder aber auf der Grundlage des sog. Grundsatzes der Typengerechtigkeit die Abrechnung der Kosten der Regenwasserbeseitigung über den Frischwassermaßstab noch gerechtfertigt werden konnte.
Das OVG NRW geht insoweit davon aus, dass einerseits eine einheitliche Bebauungsstruktur in einer Gemeinde kaum vorzufinden ist und andererseits auch unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der Typengerechtigkeit das Ein- und Zweifamilienhaus-Grundstück als Regeltyp nicht in Betracht kommt, weil auch diese so unterschiedlich genutzt werden, dass bei ihnen nicht von der erforderlichen annähernd gleichen mengenmäßigen Relation zwischen Frischwasserverbrauch und Niederschlagswassermenge ausgegangen werden kann.
Dies zeige sich auch in dem entschiedenen Fall, wonach bei einer Abrechnung der Kosten der Regenwasserbeseitigung über den Frischwasserverbrauchsmaßstab bei Einfamilienhaus-Grundstücken eine Familie mit 2 Kindern (also 4 Personen) das Vierfache für die Regenwasserbeseitigung bezahlt als ein Ein-Personen-Haushalt. Hieraus folge, dass selbst dann, wenn nur die Nutzung eines Einfamilienhauses mit vergleichbarer Größe der Grundstücksversiegelung in den Blick genommen wird, u.a. Familien mit Kindern gegenüber Einzelpersonen/Kleinhaushalten zu erheblich höheren Gebühren herangezogen werden, obwohl die zu beseitigende Niederschlagswassermenge in etwa gleich ist.
Hinzu komme, dass selbst bei Ein- und Zweifamilienhäusern erhebliche Unterschiede in der Oberflächengestaltung bestehen können, die maßgeblichen Einfluss auf die Menge des zu entsorgenden Niederschlagswassers haben. Ein Einfamilienhaus könne je nach Lage nicht nur über einen befestigten Kfz-Parkplatz, sondern auch über mehrere verfügen. Auch diese Unterschiede werden nach dem OVG NRW bei der Kostenumlage für die Entsorgung des Niederschlagswassers auf der Grundlage des Frischwasserverbrauchsmaßstabes in keiner Weise berücksichtigt.
Das Gericht lässt auch nicht gelten, dass Einführungskosten und Kosten durch die Pflege des Datenbestandes für eine gesonderte Regenwassergebühr auf der Grundlage eines flächenbezogenen Maßstabes (pro Quadratmeter bebaute und/oder versiegelte, abflusswirksame Fläche) entstehen. Einer Gemeinde stehe es frei, z.B. ohne großen finanziellen Aufwand im Rahmen einer Selbstveranlagung der Gebührenschuldner die an die gemeindliche Abwasseranlage angeschlossenen versiegelten Flächen zu ermitteln und sich auf eine stichprobenweise Überprüfung zu beschränken.
Schließlich lehnt das OVG NRW auch eine Rechtfertigung des Frischwassermaßstabes für die Abrechnung der Kosten der Regenwasserbeseitigung auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerwG (Beschluss vom 12.6.1972 - Az.: VII B 117.70 - KStZ 1873, S. 92) ab, wonach eine Differenzierung nicht erforderlich ist, wenn die durch Gebühren zu deckenden Kosten der Niederschlagswasserentsorgung als geringfügig angesehen werden können und jedenfalls nicht mehr als 12 Prozent der gesamten Abwasserentsorgungskosten betragen.
Zum einen werde in der Fachliteratur ein derartig geringer Kostenanteil für nahezu ausgeschlossen gehalten. Zum anderen ergab sich aus dem Gebührensatz der beklagten Gemeinde für einen Teilanschluss Schmutzwasser im Vergleich zu dem Gebührensatz für einen Vollanschluss (Schmutzwasser und Regenwasser), dass die Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung bei über 38 Prozent lagen und damit der Anteil der Kosten für die Niederschlagswasserentsorgung erheblich über dem vom Bundesverwaltungsgericht angehaltenen Schwellenwert lag.
Das Urteil des OVG NRW ist noch nicht rechtskräftig. Die betroffene Stadt wird Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einlegen. Erst wenn diese zurückgewiesen wird, ist das Urteil rechtskräftig.
© StGB NRW 2008