Eindrücke vom
Hauptausschuss 2024
Heft Mai 2001
Artenschutz in bebauten Ortslagen
Der naturschutzrechtliche Artenschutz gilt auch in bebauten Ortslagen. Jedoch hindert er nicht schlechthin die nach § 34 BauGB im Innenbereich zulässige Bebauung einer im Laufe der Jahre strauch- und baumbewachsene Baulücke, auf der heimische Vögel nisten und brüten (nichtamtlicher Leitsatz).
- Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.01.2001
– Az.: 4 C 6.00 –
In dem vom BVerwG entschiedenen Fall sollte auf einem Teil eines ca. 3.300 qm großen Grundstücks in Magdeburg ein dreigeschossiges Polizeidienstgebäude errichtet werden. Die Baugenehmigung wurde erteilt, jedoch wenig später auf Anweisung des Regierungspräsidiums wieder zurückgenommen. Auf dem alten Villengrundstück mit einem seit über 60 Jahren verwilderten Baumbestand und den angrenzenden durchgrünten Grundstücken seien 23 Brutvogelarten festgestellt worden. Durch die Ausführung des Bauvorhabens würden die Nist-, Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten dieser Vögel beschädigt oder zerstört. Das sei nach § 20 f Abs.1 Nr.1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) auch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile verboten. Das Polizeigebäude ist inzwischen an anderer Stelle errichtet worden.
Das BVerwG hat der Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Rücknahmebescheids stattgegeben und das gegenteilige Urteil des OVG Magdeburg aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das OVG habe verkannt, dass der besondere Artenschutz für wild lebende Tiere innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nur beschränkt gelte. Das Bauen in den schon bebauten Ortsteilen sei ein zugelassener Eingriff in Natur und Landschaft. Jedoch sei es verboten, bei der Ausführung solcher Vorhaben Tiere der besonders geschützten Arten "absichtlich" zu beeinträchtigen. Damit trage das BNatSchG, soweit es um heimische Vogelarten geht, der europäischen Vogelschutz-Richtlinie Rechnung.
Das BVerwG versteht den Begriff "absichtlich" in einem objektivierenden Sinn. Nicht entscheidend sei, ob die Beschädigung oder Zerstörung der Nist- und Brutstätten einziger oder Hauptzweck einer Handlung sei. Das Gesetz verlange, dass auch bei einer nach den baurechtlichen Vorschriften zulässigen Bebauung eines Grundstücks die Beeinträchtigung der Vögel auf das Unvermeidbare beschränkt werde. Das bedeutet, dass die baurechtlichen Bebauungsmöglichkeiten nicht ohne weiteres bis zum Äußersten ausgeschöpft werden dürfen. Die Bauaufsichtsbehörde hat vielmehr, wenn die Bauabsichten des Investors den artenschutzrechtlichen Anforderungen nicht entsprechen, die erforderlichen Anordnungen zu treffen, z.B. im Hinblick auf die Art und das Maß der Bebauung, die überbaubare Grundstücksfläche, die Erhaltung oder Neuanpflanzung von Bäumen und Sträuchern mit Nist- und Brutmöglichkeiten, die Bauausführung außerhalb der Brutzeiten und ähnliches. Dies alles hatte die Behörde bei der Rücknahme der Baugenehmigung nicht bedacht. Der Rücknahmebescheid war deshalb rechtswidrig.
Ob die Baugenehmigung für das Polizeigebäude in dem beantragten Umfang uneingeschränkt hätte erteilt werden dürfen, hatte das BVerwG nicht zu entscheiden. Der tragende Grund für die Rücknahmeentscheidung der Behörde, das Grundstück könne wegen des Artenschutzes überhaupt nicht mit einem solchen Gebäude bebaut werden, war rechtswidrig und hat die Behörde daran gehindert, Erwägungen über die Möglichkeit einer Teilrücknahme der Baugenehmigung oder darüber anzustellen, ob diese nachträglich in anderer Weise, etwa durch Auflagen beschränkt werden konnte.
OVG NRW zum "Preußen-Park Münster"
Der Bebauungsplan "Preußen-Park" der Stadt Münster ist wegen vorliegender Abwägungsmängel nichtig (nichtamtlicher Leitsatz)
- OVG NRW, Urteil vom 07.12.2000
– Az.: 7a D 60/99 –
Die Stadt Münster hatte im Dezember 1998 den Bebauungsplan "Preußen-Park" mit folgendem Inhalt beschlossen: Sondergebiet "Sport, Münsterland-Stadion" für das bestehende "Preußen-Stadion"; Sondergebiet "Einkaufszentrum" mit Einzelhandelsflächen von max. 25.000 qm Verkaufsfläche, max. 5.000 qm Geschoßfläche für endverbraucherorientierte Dienstleistungen und 1.500 qm Geschoßfläche für Büronutzung. Der Standort liegt ca. 2 km vom eigentlichen Stadtzentrum Münsters entfernt. Nach dem Vorbild des sog. "Uetrechter Modells" verkaufte die Stadt Münster im Jahr 1999 ihr mit dem Einkaufszentrum überplantes Grundstück an die Firma ECE. Die Firma ECE verpflichtete sich, als Gegenleistung das "Preußen-Stadion" zu einem bundesligatauglichen "Münsterland-Stadion" umzubauen. Der Wert dieser Gegenleistung wurde mit ungefähr 50 Mio. DM angesetzt.
An dem Bebauungsplan wurde vielfach Kritik geübt, unter anderem auch von den Umland-Kommunen. Vor allem wurde geltend gemacht, das Einkaufszentrum sei von der Stadt Münster nur deshalb beschlossen worden, um den bundesligareifen Ausbau des "Preußen-Stadions" durch die Firma ECE zu ermöglichen.
Obwohl durch die Verknüpfung mit der Sanierung des "Preußen-Stadions" gewichtige Zweifel daran bestanden, ob der Bebauungsplan im Sinn von § 1 Abs. 3 BauGB für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist, hat das OVG diese städtebauliche Rechtfertigung noch als gegeben angesehen. Der Bebauungsplan stelle keine rein privatnützige Planung dar. "Die mit dem Bebauungsplan ausdrücklich verfolgten Anliegen, einen Schwerpunkt für sportliche Einrichtungen mit regionalem Einzugsbereich durch den Umbau des "Preußen-Stadions" zu einem "Münsterland-Stadion" zu entwickeln und die Ergänzung des vorhandenen Einzelhandelsangebots der Stadt Münster durch die Errichtung eines Einkaufs- und Dienstleistungszentrums zu befördern, sind durchaus beachtliche städtebauliche Belange, die die Planung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB rechtfertigen". Den Argumenten, die städtebaulichen Zielvorstellungen seien nur vorgeschoben worden, ist das OVG nicht gefolgt. Im Ergebnis ist das OVG somit der Behauptung nicht gefolgt, die Stadt Münster habe "Hoheitsrechte verkauft", also den Bebauungsplan nur als Gegenleistungen für die Stadioninvestitionen der Firma ECE beschlossen.
Das OVG sieht auch keinen Verstoß gegen die Ziele der Raumordnung (§ 1 Abs. 4 BauGB), insbesondere gegen die Forderung von § 24 Abs.. 3 Landesentwicklungsprogramm, wonach Sondergebiete für großflächige Handelsbetriebe nur ausgewiesen werden sollen, soweit die vorgesehenen Nutzungen räumlich und funktional den Siedlungsschwerpunkten zugeordnet sind. Das OVG gibt insoweit den Kommunen eine wesentlich weitergehende Planungsfreiheit als der nordrhein-westfälische Einzelhandelserlaß (Erlaß vom 07.05.1996 zur Ansiedlung von Einzelhandelsgroßbetrieben (Ministerialblatt 1996, S. 922)).
Diese sehr zurückhaltende Argumentation des OVG bringt letztlich die Gefahr, daß die Vorschrift des § 1 Abs. 4 BauGB (Anpassung des Bebauungsplans an die Ziele der Raumordnung) im Fall einer gerichtlichen Prüfung weitgehend leerläuft.
Die Nichtigkeit des Bebauungsplans wurde vom OVG schließlich lediglich wegen vorliegender Abwägungsmängel ausgesprochen. Die Stadt habe sich keine hinreichende Klarheit über die städtebaulichen Auswirkungen des Einkaufszentrums verschafft. Dies verstoße gegen § 11 Abs. 3 BauNVO. Außerdem habe die Stadt den Verkehrsauswirkungen des Vorhabens nicht das ihnen zukommende Gewicht beigemessen. Schließlich habe die Stadt auch die schutzwürdigen Belange der benachbarten Wohnbevölkerung nicht in ausreichendem Maße in die Abwägung eingestellt.
© StGB NRW 2001