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Hauptausschuss 2024
Heft November 2002
Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens
- Der Streit über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens hindert die Gemeindevertretung nicht, weiterhin über den Gegenstand des Bürgerbegehrens zu verfügen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung in NRW).
- Ein Kostendeckungsvorschlag ist für die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens auch dann erforderlich, wenn der Verzicht auf die Durchführung der von der Gemeindevertretung beschlossenen und mit dem Bürgerbegehren angegriffenen Maßnahme zu einem Einnahmeausfall bei der Gemeinde führen würde.
VG Köln, Beschluss vom 26.2.2002
- Az: 4 L 53/02 -
Nach einem Ratsbeschluß zur Zustimmung zum Verkauf der von der Stadt K. an verschiedenen Gesellschaften gehaltenen Aktien bzw. Gesellschaftsanteile wurde das "Bürgerbegehren für den Erhalt der städtischen Anteile gem. § 26 GO NRW" eingeleitet, in dem die Antragsteller als Vertretungsberechtigte aufgeführt sind. Nach Übergabe der Unterschriftenlisten hatte der Rat der Stadt K. mit Beschluß vom 20.12.2001 unter Bezugnahme auf ein eingeholtes umfangreiches Rechtsgutachten die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens verneint, hierüber wurden die Antragsteller in Kenntnis gesetzt. Der gegen diese Entscheidung eingelegte Widerspruch der Antragsteller wurde als unbegründet zurückgewiesen. Mit der am 19.2.2002 hiergegen erhobenen Klage verfolgen die Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Bürgerbegehren für zulässig zu erklären. Im Januar haben die Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Dieser Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Den Antragstellern fehlte bereits der Sicherungsanspruch, da die Kammer der GO NRW keinen Anspruch darauf entnehmen kann, daß während eines Rechtsmittelverfahrens über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens die Organe der Gemeinde (Bürgermeister bzw. Gemeindevertretung) die ihnen zustehenden Befugnisse in Bezug auf den Gegenstand des Bürgerbegehrens nicht mehr ausüben dürfen. Nach § 26 Abs. 8 GO NRW hat ein erfolgreicher Bürgerentscheid die Wirkung eines Ratsbeschlusses. Weitergehende Regelungen über eine Sperrwirkung im Vorfeld eines Bürgerentscheids, namentlich im Verfahren des Bürgerbegehrens, enthält die GO NRW nicht, was nach Auffassung der Kammer als sog. beredtes Schweigen des Normgebers angesehen werden muß.
Ohne im Rahmen des Verfahrens auf die übrigen Streitfragen einzugehen, hat das VG jedenfalls erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens, weil ein Finanzierungsvorschlag vollständig fehlt. Vom Wortlaut des Gesetzes sind Vorschläge zur Kostendeckung in jedem Fall notwendig. Die Auffassung der Antragsteller, es bedürfe hier keines Kostendeckungsvorschlages, weil ohne den Verkauf der städtischen Unternehmensbeteiligungen der Vermögensbestand unverändert bleibe, werde Sinn und Zweck der Notwendigkeit eines Kostendeckungsvorschlages nicht gerecht. Nach Auffassung des VG ist ein Kostendeckungsvorschlag im Sinne des § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW auch dann erforderlich, wenn der Verzicht auf die Durchführung der vom Rat beschlossenen und mit dem Bürgerbegehren bekämpften Maßnahme zu einem Ausfall von Einnahmen der Gemeinde führen wird. Sollen mit Hilfe eines Bürgerbegehrens die Einnahmen aus dem angestrebten Verkauf der Unternehmensbeteiligungen unterbunden werden, müssen jedenfalls grundlegende Überlegungen dazu, wie derartige Einnahmeausfälle anderweitig kompensiert werden können, in einen Deckungsvorschlag einfließen. Ein Bürger, der mit seiner Unterschrift bei einem Bürgerbegehren erhebliche Verantwortung übernehmen soll, müsse wissen, ob seine Entscheidung unter Umständen dazu führen kann, daß etwa ein Schwimmbad geschlossen wird oder (freiwillige) Leistungen der Sozialhilfe gekürzt oder gestrichen werden.
Sparkassen-Kredite und EU-Genehmigungspflicht
Eine Maßnahme muß dem Staat zurechenbar sein, damit sie als staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV qualifiziert werden kann. Diese Zurechenbarkeit kann aber nicht allein daraus abgeleitet werden, daß die Maßnahme von einem öffentlichen Unternehmen getroffen wurde. Die Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme eines öffentlichen Unternehmens muß aus einem Komplex von Indizien abgeleitet werden, die sich aus den Umständen des konkreten Falles und aus dem Kontext ergeben, in dem diese Maßnahme ergangen ist. (nichtamtlicher Leitsatz)
EuGH, Urteil vom 16.5.2002, Rechtssache C-482/99
Art. 87 Abs. 1 EGV erklärt staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, für mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedsstaaten beeinträchtigen (generelles Beihilfenverbot). Nach Rspr. des EuGH ist dabei nicht danach zu unterscheiden, ob die Beihilfe unmittelbar vom Staat oder von öffentlichen oder privaten Einrichtungen, die von ihm zur Durchführung der Beihilferegelung errichtet oder beauftragt wurden, gewährt wird. Damit jedoch Vergünstigungen als Beihilfen i.S.d. Art. 87 Abs. 1 EGV eingestuft werden können, müssen sie zum einen unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden und zum anderen dem Staat zuzurechnen sein.
Eine solche Zurechenbarkeit kann aber nicht allein daraus abgeleitet werden, daß die Maßnahme von einem öffentlichen Unternehmen getroffen wurde. Der EuGH vertritt die Auffassung, daß, auch wenn der Staat in der Lage ist, ein öffentliches Unternehmen zu kontrollieren und einen beherrschenden Einfluss auf dessen Tätigkeit auszuüben, nicht ohne Weiteres vermutet werden kann, daß diese Kontrolle immer tatsächlich ausgeübt wird. Ein öffentliches Unternehmen kann je nach dem Maß an Selbständigkeit mehr oder weniger unabhängig handeln. Die bloße Tatsache, daß ein öffentliches Unternehmen unter staatlicher Kontrolle steht, genügt daher nicht, um Maßnahmen dieses Unternehmens dem Staat zuzurechnen. Es muß außerdem geprüft werden, ob davon auszugehen ist, daß die Behörden in irgendeiner Weise am Erlass dieser Maßnahmen beteiligt waren. Ein solcher Nachweis muß jedoch nicht auf der Grundlage einer genauen staatlichen Anweisung erfolgen, aufgrund derer das öffentliche Unternehmen konkret veranlaßt wurde, die fragliche Beihilfemaßnahme zu treffen. Die Zurechenbarkeit einer Beihilfemaßnahme kann vielmehr aus einem Komplex von Indizien abgeleitet werden, die sich aus den Umständen des konkreten Falles und aus dem Kontext ergeben, in dem diese Maßnahme ergangen ist.
Damit können auch Kredite kommunaler Sparkassen nicht schon deshalb als staatliche Maßnahmen angesehen werden, weil das jeweilige Kreditinstitut in einer kommunalen Trägerschaft steht.
Besetzung des Jugendhilfe-Ausschusses
§ 71 SGB VIII und das Ausführungsgesetz zum KJHG treffen in Bezug auf die Zusammensetzung des Jugendhilfeausschusses eine abschliessende Regelung, die selbst eine ergänzende Heranziehung der Vorschriften der GO NRW betreffend die Zusammensetzung kommunaler Ausschüsse nach § 3 Abs. 1 AG KJHG ausschließt. (nicht amtlicher Leitsatz) Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
VG Köln, Urteil vom 16.8.2002
- Az: 4 K 1682/00 -
Die Klägerin ist eine aus zwei Mitgliedern bestehende Fraktion im Rat der beklagten Stadt T., die die Entsendung eines Fraktionsangehörigen als beratendes Mitglied in den Jugendhilfeausschuss erstrebt. Nachdem die Fraktion mit einem entsprechenden Antrag in der Ratssitzung der Stadt T. gescheitert und eine Anfrage an die Kommunalaufsicht dahingehend beantwortet worden war, dass in der Satzung über das Jugendamt von T. von der Möglichkeit, weitere beratende Mitglieder in diesen Ausschuss aufzunehmen, kein Gebrauch gemacht worden sei, hatte das VG mit Beschluss vom 13.06.2000 (Az.: 4 L 441/0) der Beklagten auf Antrag der Klägerin im Wege der einstweiligen Verfügung aufgeben, Herrn H. vorläufig zum beratenden Mitglied des Jugendhilfeausschusses zu bestellen. Diese Entscheidung wurde durch das OVG Münster mit Beschluss vom 27.06.2000 (Az.: 15 B 911/00) geändert und der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt.
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Das VG hat einen Anspruch der Klägerin auf Bestellung eines von ihr benannten Fraktionsmitglieds als beratendes Mitglied des Jugendhilfeausschusses durch die Beklagte abgelehnt.
Es kommt zu dem Ergebnis, dass § 71 SGB VIII und das AG KJHG in Bezug auf die Zusammensetzung des Jugendhilfeausschusses eine abschliessende Regelung treffe, die selbst eine ergänzende Heranziehung der Vorschriften der GO NRW betreffend die Zusammensetzung kommunaler Ausschüsse nach § 3 Abs. 1 AG KJHG ausschliesse. Bereits aus dem Wortlaut des § 5 AG KJHG schliesst das Gericht die abschliessende Spezialität der Regelung in Bezug auf beratende Mitglieder im Jugendhilfeausschuss, indem es diesen vor dem Hintergrund der in § 4 Abs. 1 AG KJHG gewählten Formulierung heranzieht, die exakt der Vorgabe des § 71 Abs. 1 S. 1 SGB VIII entspricht. Da diese bundesrechtliche Vorschrift unstreitig abschliessend sei, könne für § 4 Abs. 1 AG KJHG nichts anderes gelten. Dies spreche auch für die abschliessende Spezialität von § 5 AG KJHG, da der Gesetzgeber sonst eine andere Formulierung gewählt hätte.
Historisch habe der Gesetzgeber zudem die Entscheidung einer Einbeziehung weiterer beratender Mitglieder in den Jugendhilfeausschuss bewusst den Kommunen überlassen, was darauf hindeute, dass dazu auch nur diese im Rahmen der Satzungsermächtigung nach § 5 Abs. 3 S. 1 AG KJHG befugt seien.
Auch die systematische Auslegung des Regelungsgefüges bestätige diese Auffassung, da grosse Teile der die Besetzung von Ausschüssen betreffenden Regelungen des § 58 GO NRW ersichtlich bezüglich der Besetzung des Jugendhilfeausschusses nicht einschlägig seien. Das gelte insbesondere für den die Grundlage der folgenden Sätze des § 58 Abs. 1 GO NRW bildenden Satz 1, da die Bildung und Zusammensetzung des Jugendhilfeausschusses weitgehend bundesrechtlich und durch anderweitiges Landesrecht vorgegeben sei. Ebenso werde § 58 Abs. 1 S. 3 GO NRW durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 AG KJHG ersetzt, da diese Norm sonst keinen eigenen Regelungsbereich hätte. Gegen eine ergänzende Anwendung von § 58 Abs. 1 GO NRW spreche zudem, dass auf diese Weise zum einen das in § 5 Abs. 3 Satz 2 AG KJHG enthaltende Gebot der Geschlechterparität unterlaufen werden könne, ohne dass der Satzungsgeber darauf Einfluss habe.
Zum anderen könne dadurch das im Grundsatz bereits durch den Bundesgesetzgeber vorgegebene Verhältnis zwischen "politischen" und aus fachlichen Gründen entsandten Mitgliedern des Jugendhilfeausschusses gefährdet werden, da so der politische Einfluss stärker werden könne als die Fachkompetenz.
Darüber hinaus seien die in § 58 Abs. 3 und 4 GO NRW enthaltenen rechtlichen Vorgaben auf die Besetzung des Jugendhilfeausschusses nicht übertragbar. Dies sowie die in § 5 Abs. 3 S. 1 AG KJHG enthaltene Öffnungsklausel, die bei ergänzender Anwendung der Vorschriften der GO NRW überflüssig sei, belege die Nichtanwendbarkeit von § 58 GO NRW auf diese Bereiche.
Zwar diene § 58 Abs. 1 S. 7 GO NRW dem Minderheitenschutz. Allerdings könne Sinn und Zweck des § 58 Abs. 1 GO NRW das gefundene Ergebnis nicht in Frage stellen. Der Jugendhilfeausschuss weise eine Vielzahl von Besonderheiten auf, die ihn von den anderen kommunalen Ausschüssen unterscheide. Der Minderheitenschutz sei u.a. Ausfluss des Repräsentationsprinzips, das für die Besetzung des Jugendhilfeausschusses nach den bundes- und landesgesetzlichen Vorgaben jedoch zumindest nicht maßgeblich sei, da hier die Sachkunde der Mitglieder eindeutig im Vordergrund stehe, so dass eine Durchbrechung des Minderheitenschutzes durch den Landesgesetzgeber durchaus sachgerecht erscheine.
Diese Sonderstellung bestätige sich darüber hinaus dadurch, dass der Landesgesetzgeber in § 7 AG KJHG ein eigenes außerhalb des Rates angesiedeltes Widerspruchs- und Beanstandungsrecht normiert habe, so dass auch § 57 Abs. 4 S. 2 GO NRW für den in Frage stehenden Ausschuß unstreitig nicht gelte.
© StGB NRW 2002