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Hauptausschuss 2024
Heft November 2013
Rückwirkender Wegfall eines Investitionsabzugs-Betrags
1. Der Wegfall der Investitionsabsicht vor Ablauf der Investitionsfrist hat zur Folge, dass die Gewinnminderung durch den Investitionsabzugsbetrag rückgängig zu machen ist.
2. Die aus diesem Grund festgesetzte Einkommensteuer war vor Inkrafttreten des § 7 g Abs. 3 Satz 4 EStG i.d.F. des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 26. Juni 2013 nach § 233 a Abs. 2a AO zu verzinsen.
BFH, Urteil vom 11. Juli 2013 - Az.: IV R 9/12 -
Mit dem Urteil hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass der Wegfall der Investitionsabsicht ein rückwirkendes Ereignis nach § 233 a Abs. 2 a AO darstellt. Es darf damit für die Vergangenheit keine rückwirkende Verzinsung der Einkommensteuernachzahlung bei rückwirkendem Wegfall eines Investitionsabzugsbetrags erfolgen. Gibt der Unternehmer die Absicht zu einer Investition auf, für die er einen Steuerabzugsbetrag nach § 7 g des Einkommensteuergesetzes erhalten hat, verliert er rückwirkend den Anspruch auf die Steuervergünstigung. Die betreffende Einkommensteuer muss er dann nachzahlen, und zwar ohne einen Zinszuschlag. Der BFH hat damit die in zahlreichen Betriebsprüfungen erörterte Frage nach der rückwirkenden Verzinsung der Steuernachforderung zugunsten der Unternehmer entschieden, allerdings nur mit Wirkung für die Vergangenheit. Denn für ab 2013 beanspruchte Investitionsabzugsbeträge ist die rückwirkende Verzinsung bei rückwirkendem Wegfall des Anspruchs kürzlich ausdrücklich gesetzlich geregelt worden (durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26. Juni 2013). Im entschiedenen Fall hatte eine Dachdecker-KG im Jahr 2007 Investitionsabzugsbeträge u. a. in Höhe von 6.400 Euro für den für 2009 geplanten Einbau von Schiebetoren und von 14.000 Euro für den für 2010 geplanten Erwerb eines Kastenwagens erhalten. Mit Einreichung der Bilanz für 2009 erklärte die KG, dass sie beide Investitionen nicht mehr durchführen werde. Dies hatte zur Folge, dass rückwirkend der Gewinn des Jahres 2007 um 20.400 Euro erhöht wurde. Die KG verlangte die zusätzliche Feststellung, dass die Änderung auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 233 a Abs. 2 a der Abgabenordnung beruhe. Diese Feststellung hat zur Folge, dass Zinsen auf die Steuernachzahlung nicht rückwirkend erhoben werden. Wie schon das Finanzgericht gab auch der BFH dem Antrag der KG statt und widersprach damit der gegenteiligen Gesetzesauslegung durch die Finanzverwaltung. Das Gesetz habe die rückwirkende Verzinsung lediglich für die rückwirkende Streichung eines Investitionsabzugsbetrags nach durchgeführter Investition wegen Nichteinhaltung bestimmter Nutzungsvoraussetzungen geregelt. Dem Gesetzgeber sei bewusst gewesen, dass sich bei Ausbleiben der Investition eine vergleichbare Rechtslage ergebe. Gleichwohl habe er für diesen Fall die rückwirkende Verzinsung nicht ausdrücklich angeordnet. Von einem Versehen des Gesetzgebers sei nicht auszugehen. Deshalb gelte der Grundsatz, dass auf einem rückwirkenden Ereignis beruhende Steuernachzahlungen nicht rückwirkend zu verzinsen seien.
Aufwendungen für selbst beschafften Krippenplatz
Ein Kind, dessen Rechtsanspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes nicht erfüllt wird, hat unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch darauf, dass die Aufwendungen der Eltern für seine Unterbringung in einer privaten Kindertagesstätte ersetzt werden (nichtamtlicher Leitsatz).
BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 - Az.: 5 C 35.12 -
Im Streitfall ging es um den Ersatz der Aufwendungen, die durch die Unterbringung der damals zweijährigen Tochter in der Kinderkrippe einer privaten Elterninitiative von April bis Oktober 2011 entstanden sind. Die Eltern ließen die Tochter dort betreuen, weil die beklagte Stadt während dieser Zeit keinen Krippenplatz zur Verfügung stellen konnte. Das hier anwendbare Kindertagesstättengesetz Rheinland-Pfalz sieht vor, dass Kinder vom vollendeten zweiten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf Erziehung, Bildung und Betreuung im Kindergarten haben.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, die in dem genannten Zeitraum entstandenen Aufwendungen für die private Kinderkrippe in Höhe von ca. 2.200 Euro zu erstatten. Dieses Urteil hat das OVG im Ergebnis bestätigt. Die Beklagte habe den nach Landesrecht bestehenden und von der Mutter rechtzeitig geltend gemachten Anspruch auf einen Kindergartenplatz nicht erfüllt. Deshalb müsse sie die Kosten des selbst beschafften Ersatzplatzes in einer privaten Kinderkrippe übernehmen. Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen. Das OVG habe ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass im Fall der Nichterfüllung des landesrechtlichen Anspruchs auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für einen selbstbeschafften Platz besteht. Soweit das OVG davon ausgegangen ist, das Bundesrecht sehe einen entsprechenden Anspruch vor und das Landesrecht folge dem, sei dies nicht zu beanstanden. Der bundesrechtliche Anspruch ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 36 a Abs. 3 Achtes Buch Sozialgesetzbuch.
Dieser verleiht einen Anspruch auf Aufwendungsersatz, wenn bestimmte Ansprüche auf Jugendhilfeleistungen nicht erfüllt werden. Der Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen setzt voraus, dass der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Bedarf rechtzeitig in Kenntnis gesetzt hat, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorgelegen haben und die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Ob im vorliegenden Einzelfall die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs vorliegen, entzieht sich der revisionsgerichtlichen Kontrolle, weil es sich insoweit um die Anwendung von Landesrecht handelt.
E-Zigarette kein Arzneimittel
Nikotinhaltige Flüssigkeiten (sog. Liquids), die mithilfe von E-Zigaretten verdampft und inhaliert werden, sind keine Arzneimittel. Dementsprechend sind die E-Zigaretten selbst keine Medizinprodukte (nichtamtlicher Leitsatz).
OVG NRW, Urteile vom 17. September 2013
- Az.: 13 A 2448/12, 13 A 2541/12 und 13 A 1100/12 -
Im ersten Fall hatte eine Frau geklagt, die in Wuppertal einen Laden für E-Zigaretten und Liquids betreibt und der das Gesundheitsamt der Stadt Wuppertal den Vertrieb nikotinhaltiger Liquids mit der Begründung untersagt hatte, es handele sich dabei um nicht zugelassene Arzneimittel. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte ihre Klage in erster Instanz abgewiesen. Im Berufungsverfahren gab das OVG der Klage statt.
Gegenstand des zweiten Verfahrens war eine Pressemeldung des Gesundheitsministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011, in der vor dem Vertrieb von nikotinhalten Liquids gewarnt wurde, weil sie Arzneimittel seien, deren Vertrieb ohne Zulassung strafbar sei. Auch hier hatte das VG Düsseldorf die Klage eines Herstellers solcher Liquids auf Unterlassung dieser Äußerung abgewiesen, obschon das OVG in einem vorausgegangenen Eilverfahren dem Land Nordrhein-Westfalen per einstweiliger Anordnung aufgegeben hatte, diese Äußerung zu unterlassen: Solche Liquids seien keine Arzneimittel (vgl. Pressemitteilung des OVG NRW vom 23. April 2012). Auch hier gab das OVG im Hauptsacheverfahren der Klage statt.
Im dritten Fall klagten zwei Unternehmen, die nikotinhaltige Liquids und E-Zigaretten herstellen bzw. vertreiben. Sie wollten gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gerichtlich feststellen lassen, dass die Liquids keine Arzneimittel und die für deren Verdampfen notwendigen E-Zigaretten keine Medizinprodukte seien. Dieser Klage hatte bereits das Verwaltungsgericht Köln stattgegeben. Das OVG hat dieses Urteil im Berufungsverfahren bestätigt.
Zur Begründung der drei Urteile hat das OVG im Wesentlichen ausgeführt: Nikotinhaltige Liquids seien keine Präsentationsarzneimittel, weil sie nicht als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet oder empfohlen (präsentiert) würden. Die Liquids seien aber auch kein Funktionsarzneimittel. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müsse die Entscheidung, ob ein Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel sei, von Fall zu Fall getroffen werden, wobei alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen seien, also Zusammensetzung, Modalitäten des Gebrauchs, Umfang der Verbreitung, Bekanntheit bei Verbrauchern und Risiken der Verwendung. Die Anwendung dieser Kriterien führe zu dem Ergebnis, dass nikotinhaltige Liquids keine Arzneimittel seien. Arzneimittel hätten typischerweise eine therapeutische Eignung und eine therapeutische Zweckbestimmung. Beide Voraussetzungen seien bei nikotinhaltigen Liquids nicht gegeben.
Das OVG hat in allen drei Fällen die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.