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Hauptausschuss 2024
Heft November 2015
Befangenheit von Ratsmitgliedern
Der Ausschließungsgrund des § 31 Abs. 1 S. 1 GO NRW soll bereits den „bösen Schein“ einer Interessenverflechtung unterbinden, weshalb nicht entscheidend ist, ob tatsächlich eine individuelle Betroffenheit besteht oder nicht. Es genügt vielmehr, dass der Eintritt eines Vorteils oder Nachteils aufgrund der fraglichen Entscheidung konkret möglich ist und hinreichend wahrscheinlich erscheint (nichtamtliche Leitsätze).
OVG NRW, Beschluss vom 08.05.2015
- Az.: 5 A 1523/14 -
Der Kläger war im Zeitraum 2009 bis 2014 Ratsmitglied einer NRW-Kommune. Die Tochter des Klägers besuchte in diesem Zeitraum die Gemeinschaftsgrundschule an einem bestimmten Teilstandort der Gemeinde. In einer Ratssitzung im September 2012 standen mehrere Anträge im Zusammenhang mit der Neuordnung der Grundschullandschaft der Kommune zur Beratung und Entscheidung an, darunter auch die auslaufende Schließung des Teilstandorts, an dem die Tochter des Klägers zur Schule ging. Nach einem Hinweis der Bürgermeisterin auf das Vorliegen eines den Kläger betreffenden Mitwirkungsverbots erklärte der Rat den Kläger mehrheitlich für befangen. Der daraufhin erhobenen Klage blieb sowohl erstinstanzlich wie auch im Rahmen einer Berufung der Erfolg versagt.
Das OVG NRW hat den Ausschluss des Klägers von der fraglichen Ratssitzung als rechtmäßig erachtet. Dieser hatte zwar eingewandt, mit der Verlängerung des Schulwegs seiner Tochter infolge einer auslaufenden Schließung des Teilstandorts sei entgegen der Annahme des erstinstanzlichen Urteils kein erheblicher zeitlicher Mehraufwand verbunden. Dieses (mögliche) Argument gegen eine individuelle Befangenheit spielte aus Sicht des Gerichts allerdings deshalb keine Rolle, weil rechtlich bereits die Möglichkeit einer individuellen Betroffenheit zum Ausschluss führt.
Gemäß §§ 31 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 2 GO NRW darf ein Ratsmitglied weder beratend noch entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung einer Angelegenheit ihm selbst oder einem seiner Angehörigen einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Dem Zweck des Mitwirkungsverbots entsprechend solle damit - so das OVG - bereits der „böse Schein“ einer Interessenverflechtung vermieden werden. In ständiger Rechtsprechung zählt daher nicht, ob tatsächlich eine individuelle Betroffenheit besteht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr der Umstand, dass der Eintritt eines Vorteils oder Nachteils aufgrund der fraglichen Entscheidung konkret möglich und hinreichend wahrscheinlich erscheint.
Diese Voraussetzungen sah das Gericht vorliegend als erfüllt an. Mit einer räumlichen Ausdehnung des Schulwegs von 1,1 km auf 3,7 km gehe potenziell ein konkreter, nicht unerheblicher zeitlicher Mehraufwand einher, was genüge, um bei objektivierender Betrachtung anzunehmen, die Entscheidung könne dem Kläger bzw. dessen Tochter je nach Ausgang einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen, und damit Zweifel an seiner Objektivität zu wecken. Soweit der Kläger hingegen betont habe, dass in einer Entfernung von etwa 430 m zu seinem Wohnhaus eine Bushaltestelle gelegen sei und der Schulbus zu einer anderen Schule von dort nicht mehr Zeit benötige, als seine Tochter zu Fuß zum Schulgebäude der alten Schule brauche, komme es darauf nicht entscheidend an.
Ob eine Verlängerung des Schulwegs in dem vorliegenden Umfang tatsächlich zu einem beachtlichen zeitlichen Mehraufwand führe, sei letztlich nur eine Frage der individuellen Handhabung. Ihre Beantwortung im konkreten Einzelfall hielt das Gericht daher nicht für geeignet, den Anschein möglicher Parteilichkeit auszuschließen. Außerdem komme hinzu, dass ein Schulweg von 3,7 km selbst von einem Kind im vierten Schuljahr nicht mehr ohne weiteres selbstständig zurückgelegt werden könne, sondern es regelmäßig eines Transports bzw. einer Begleitung bedürfe. Auch ohne den Aspekt des zeitlichen Mehraufwands sei daher die Möglichkeit eines Nachteils gegeben, der dazu angetan ist, die Unvoreingenommenheit eines Ratsmitglieds in Zweifel zu ziehen.
Schließlich greife auch der Ausnahmetatbestand des § 31 Abs. 3 Nr. 1 GO NRW nicht ein. Danach gilt ein gemäß Abs. 1 der Vorschrift bestehendes Mitwirkungsverbot dann nicht, wenn der Vorteil oder Nachteil nur darauf beruht, dass jemand einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt werden. Selbst aber, wenn die von den fraglichen Entscheidungen unmittelbar betroffenen Schüler bzw. deren Eltern als eine lediglich nach allgemeinen Gesichtspunkten definierbare Bevölkerungsgruppe anzusehen wären, wären diese - anders als in § 31 Abs. 3 Nr. 1 GO NRW vorausgesetzt - nicht nur in einem kollektiven Interesse berührt, wie das Gericht klarstellt.
Art und Ausmaß der mit einer Standortentscheidung verbundenen unmittelbaren Vor- und Nachteile würden jenseits eines bloßen Gruppeninteresses an der Erhaltung eines bestimmten Schulstandorts maßgeblich durch die jeweiligen familiären Lebensumstände geprägt. Mit Blick darauf könne daher nicht davon gesprochen werden, dass die in Rede stehenden Vor- bzw. Nachteile allein Ausfluss der Zugehörigkeit zu einer in einem Kollektivinteresse berührten Gruppe gewesen seien. Für ein Sonderinteresse der Klägerseite wird schließlich angeführt, dass mit der Schließung eines Schulstandorts nicht zwangsläufig eine (potenziell) nachteilbegründende Verlängerung des Schulwegs einhergehen müsse, sondern es hierfür entscheidend auf den konkreten Wohnort des jeweils Betroffenen und damit auf dessen persönliche Lebenssituation ankomme. Im Fall des Klägers kam es indes zu einer solch potenziell nachteilbegründenden Verlängerung.
Nutzungsanspruch an kommunale Internet-Domain
Wenn eine Gemeinde eine Internet-Domain als kommunale Einrichtung zur Verfügung stellt, besteht ein Nutzungsanspruch - wie bei anderen öffentlichen Einrichtungen - nur im Rahmen der Zweckbestimmung nach Maßgabe der jeweiligen Benutzungsordnung sowie in den Grenzen der vorhandenen Kapazitäten. Bei Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen oder bei anderweitigen (zu erwartenden) Rechtsverletzungen bei der Nutzung der öffentlichen Einrichtung ist ein Ausschluss von der Benutzung zulässig - hier in Form einer Domain-Sperrung -, wenn darüber Verletzungen des Persönlichkeitsrechts Dritter begangen werden (nichtamtliche Leitsätze).
OVG NRW, Beschluss vom 19.05.2015
- Az.: 15 A 86/14 -
Eine NRW-Kommune stellte ihren Bürgern kostenlos eine über die städtische Internet-Seite laufende Internet-Domain zur Verfügung. Zugangsrechte vergaben die Stadtwerke bzw. deren Tochtergesellschaft, die Nutzungsbedingungen stellte ein dafür von der Stadt eingeschalteter eingetragener Verein (e. V.) auf. Der spätere Kläger nutzte die Domain als Homepage. Nach einem Hinweis auf dort publizierte, gegen eine bestimmte Person gerichtete ehrverletzende Äußerungen ließ die Stadt die Domain sperren. Eine dagegen von dem Nutzer gerichtete Klage wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen.
Das OVG NRW erkannte gegen einen Anspruch des Klägers auf Wiederherstellung und Entsperrung seiner Homepage. Zwar sind gemäß § 8 Abs. 2 GO NRW alle Einwohner einer Gemeinde im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. Allerdings bestehe, so das Gericht, ein solcher Anspruch nur im Rahmen der Zweckbestimmung der öffentlichen Einrichtung nach Maßgabe der jeweiligen Benutzungsordnung, in der die Gemeinde aufgrund ihrer Organisationsbefugnis Regelungen über die Voraussetzungen, Bedingungen sowie Art und Umfang der Benutzung treffen kann, sowie in den Grenzen der vorhandenen Kapazitäten. Bei Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen oder bei anderweitigen (zu erwartenden) Rechtsverletzungen bei der Nutzung der öffentlichen Einrichtung sei ein Ausschluss von der Benutzung zulässig. Eine Gemeinde sei unmittelbar aus § 8 GO NRW berechtigt, Maßnahmen zu ergreifen, die den ordnungsgemäßen Betrieb und den Widmungszweck einer von ihr betriebenen öffentlichen Einrichtung sicherstellten.
Danach sei der Ausschluss des Klägers von der Nutzung der Internet-Domain rechtmäßig gewesen. Nach den Nutzungsbedingungen des e. V., dessen sich die Beklagte beim Betrieb der öffentlichen Einrichtung bedient, könne eine missbräuchliche Nutzung der Dienste den sofortigen Entzug der Zugangsberechtigung und eine Löschung der Inhalte zur Folge haben. Eine missbräuchliche Nutzung sei dabei u. a. dann anzunehmen, wenn über die von der Beklagten öffentlich-rechtlich verantwortete Internetseite - gewissermaßen unter ihrem Namen - Verletzungen des Persönlichkeitsrechts Dritter begangen werden. Diese Wertung gelte auch vor dem Hintergrund der insoweit abzuwägenden widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange - auf Klägerseite insbesondere die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.
Im Übrigen brächten die Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch den Kläger die Stadt in die konkrete Gefahr, nachdem sie von ihnen Kenntnis erlangt hatte, von dem verletzten Dritten als Störerin gemäß § 1004 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 185 ff. StGB auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden, und gäben ihr somit auch unter diesem Aspekt die Befugnis zur Sperrung der Internetseite nach § 8 GO NRW.
Erdrosselnde Wirkung der Vergnügungssteuer
Erst ein Vergnügungssteuersatz, dessen Höhe eine volle Abwälzung der Steuer nicht mehr ermöglichte, machte die hauptberufliche Aufstellung von Spielgeräten in der Regel wirtschaftlich unmöglich. Er hätte damit erdrosselnde Wirkung und verstieße deshalb gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Dafür ist bei einem in Rede stehenden Steuersatz von 20 Prozent nicht einmal im Ansatz etwas ersichtlich (Orientierungssätze).
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.03.2015
- Az.: - 2 KN 1/15 -
Ein Spielhallenbetreiber, der in mehreren Spielhallen und Gaststätten in einer schleswig-holsteinischen Gemeinde Geldspielgeräte betreibt, setzte sich gegen die Anhebung der örtlichen Vergnügungssteuer auf Geldspielgeräte von 12 Prozent auf 20 Prozent im Wege eines Normenkontrollantrags zur Wehr. Besteuert wurde vor und nach dieser Erhöhung das Ergebnis der elektronisch gezählten Bruttokasse, d. h. das Einspielergebnis.
Das Gericht wies den Antrag des Betreibers zurück, die entsprechende Nachtragssatzung, mit der die Steuererhöhung umgesetzt worden war, für unwirksam zu erklären. In seiner Urteilsbegründung zu diesem immer wiederkehrenden rechtlichen Thema konnte sich das OVG dabei ganz überwiegend auf überkommene Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts stützen.
Zunächst griff das Gericht den Einwand des Betreibers auf, wegen der engen rechtlichen Grenzen, die die Spielverordnung des Bundes an Betreiber stelle, bestünden für diese weder rechtliche noch faktische Gestaltungsspielräume zur Umsatzsteigerung (etwa durch Verteuerung der Spiele), weshalb es mittlerweile an einer kalkulatorischen Überwälzbarkeit der Steuer auf den eigentlichen Steueradressaten - den spielenden Gast - fehle. Das Gericht stellte demgegenüber klar, dass zwar die gewerberechtlichen Rahmenbedingungen den Aufsteller und Betreiber der Automaten in seinen unternehmerischen Entscheidungsspielräumen tatsächlich einengten und die kalkulatorische Abwälzung erschwerten - etwa durch Vorgaben zum Höchsteinsatz, zum Höchstgewinn und zur Mindestspieldauer, weshalb die Steuer weder ohne weiteres durch die Erhöhung des Preises für das einzelne Spiel noch durch die Senkung der Gewinnquote weitergegeben werden könne.
Diese gewerberechtlichen Rahmenbedingungen änderten jedoch nichts daran, dass die Spielgerätesteuer eine auf Überwälzung auf den Spieler angelegte Steuer ist, die dessen im Spielaufwand zum Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit erfassen solle. Weder die Mindestquote des auszuschüttenden Gewinns noch der Höchstbetrag des Einsatzes schlössen die Abwälzbarkeit der Steuer aus, weil diese rechtlichen Vorgaben den Aufsteller nicht daran hindern, seinen Umsatz zu steigern oder seine Betriebskosten zu senken. Eine Überwälzung der Steuerlast auf die Spieler werde dem Unternehmer daher nicht rechtlich oder tatsächlich unmöglich gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Urteil vom 10.05.1962 (Az. 1 BvL 31/58) bereits festgestellt, dass die gewerberechtliche Regelung dem Aufsteller keine rechtlichen Grenzen für die Erhöhung des Umsatzes je Apparat setze, sondern diese allein von seinem kaufmännischen Geschick und der Marktlage abhängig sei.
An einer Überwälzbarkeit - so das OVG, wiederum unter Bezugnahme auf BVerfG-Rechtsprechung - fehle es zumindest so lange nicht, wie der Spielereinsatz den Steuerbetrag und die sonstigen notwendigen Unkosten für den Betrieb des Spielgerätes deckt und in der Regel noch Gewinn abwirft. Eine entsprechende Darlegungspflicht treffe dabei den Betreiber - und nicht etwa die Gemeinde.
Außerdem sei die Vergnügungssteuer traditionell eine Lenkungssteuer. Mit der Auswahl des Besteuerungsgegenstandes könne die Gemeinde sozial-, gesundheits-, kultur- oder finanzpolitische Ziele verfolgen. Dazu zähle auch eine Eindämmung der Aufstellung von Geldspielapparaten, um der Spielsucht entgegenzuwirken. Eine Lenkung erfolge vor allem über die Steuerhöhe, weshalb sich die lenkende Gestaltungsfreiheit der Gemeinde gerade auch darauf beziehe. Die Steuer dürfe nur nicht als quasi ordnungsrechtliches Druckmittel zur Schließung von Spielstätten eingesetzt und vom Lenkungszweck so dominiert werden, dass der Zweck, Einnahmen zu erzielen, völlig zurücktrete. Dies sei im konkreten Fall indes nicht ersichtlich.
In einem zweiten Schritt stellte das OVG klar, dass auch die vorliegend konkret gewählte Steuerhöhe - anders als vom Betreiber moniert - nicht gegen das so genannte Erdrosselungsverbot verstoße. Die Steuererhebung sei vielmehr verhältnismäßig.
Das Erdrosselungsverbot bildet die äußerste Ermessensgrenze des Steuer-Satzungsgebers. Dabei komme es nicht - so das Gericht - auf die Verhältnisse einzelner Steuerpflichtiger an, weil die Rechtsordnung keinen Bestandsschutz für die Fortsetzung einer unwirtschaftlichen Betriebsführung biete. Stattdessen komme es (allein) darauf an, ob unter „normalen Umständen“ arbeitende Veranstalter die Steuer aufbringen können - oder umgekehrt durch die Festlegung der Bemessungsgrundlagen der Vergnügungssteuer, insbesondere die Höhe des Steuersatzes, eine Existenzgefährdung für die Unternehmen eines Gewerbezweiges als Ganzem eintreten würde. Erst ein Vergnügungssteuersatz, dessen Höhe eine volle Abwälzung der Steuer nicht mehr ermöglichte, mache die hauptberufliche Aufstellung von Spielgeräten in der Regel wirtschaftlich unmöglich. Er hätte damit erdrosselnde Wirkung und verstieße deshalb gegen Art. 12 Abs. 1 GG.
Bei dem im vorliegenden Fall in Rede stehenden Steuersatz von 20 Prozent vermochte das Gericht dies indes nicht zu erkennen. Auch einer Übergangsregelung mit schrittweiser Anhebung der Steuersätze habe es insoweit nicht bedurft, weil es für die Steuerpflichtigen keinen Vertrauensschutz dahingehend gebe, dass die bestehende Rechtslage nicht zu ihren Ungunsten verändert werde.
Schließlich sah das OVG in der unterschiedlichen steuerrechtlichen Behandlung von Spielautomaten in Spielstätten zu solchen in Spielbanken keine rechtswidrige Ungleichbehandlung. Auch der Bundesgesetzgeber unterscheide zwischen Spielgeräten, die in einer Spielbank (§ 33 h GewO) aufgestellt sind, und solchen an anderen Plätzen. Es handle sich dabei um unterschiedliche und im Ergebnis nicht vergleichbare Sachverhalte.