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Heft November 2017
Düsseldorfer „Licht-aus!“-Aufruf rechtswidrig
BVerwG, Urteil vom 13. September 2017
- Az.: 10 C 6.16 -
Die Klägerin meldete für den 12. Januar 2015 eine Versammlung mit dem Motto „Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ an. Anlässlich dieser Versammlung stellte der Düsseldorfer Oberbürgermeister im Vorfeld auf der städtischen Internetseite die Erklärung „Lichter aus! Düsseldorf setzt Zeichen gegen Intoleranz“ ein. Darin wurde angekündigt, dass ab Demonstrationsbeginn an verschiedenen öffentlichen Gebäuden der Stadt die Beleuchtung ausgeschaltet werde. Zugleich rief er die Düsseldorfer Bürger und Geschäftsleute auf, die Beleuchtung an ihren Gebäuden ebenfalls auszuschalten, um ein „Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus“ zu setzen. Ferner bat er in der Erklärung um die Teilnahme an einer Gegendemonstration. Während der Versammlung wurde die Beleuchtung am Rathaus sowie an weiteren städtischen Gebäuden ausgeschaltet.
In der Ausgabe Dezember 2016 der Zeitschrift Städte- und Gemeinderat wurde bereits über die vorinstanzliche Entscheidung des OVG NRW berichtet, das den Aufruf sowie das tatsächliche Abschalten des Lichts an öffentlichen Gebäuden für unzulässig, die Bitte zur Teilnahme an einer Gegendemonstration jedoch für zulässig gehalten hat. Wie das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nunmehr entschieden hat, war auch die Bitte des Oberbürgermeisters, an einer Gegendemonstration teilzunehmen, rechtswidrig.
Der Oberbürgermeister sei als kommunaler Wahlbeamter zwar grundsätzlich befugt, sich im Rahmen seines Aufgabenbereichs zu Themen der örtlichen Gemeinschaft öffentlich zu äußern. Diese Befugnis unterliege jedoch Grenzen. Aus dem Demokratieprinzip folge, dass sich ein Amtsträger am politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung beteiligen, ihn aber nicht lenken und steuern dürfe. Ebenso seien ihm Äußerungen nicht gestattet, die die Ebene des rationalen Diskurses verlassen oder die Vertreter anderer Meinungen ausgrenzen.
Danach seien die in Rede stehenden Maßnahmen des Düsseldorfer Oberbürgermeisters als rechtswidrig zu bewerten. Der Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration habe in unzulässiger Weise den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung beeinflusst. Mit dem Aufruf, das Licht auszuschalten, und dem tatsächlichen Ausschalten der Beleuchtung an städtischen Gebäuden würden die Grenzen der Äußerungsbefugnis, sich in sachlicher und rationaler Weise mit den Geschehnissen in der Stadt Düsseldorf auseinanderzusetzen, überschritten und der Bereich politischer Kommunikation durch diskursive Auseinandersetzung verlassen.
Voraussetzungen einer Veränderungssperre
1. Eine nach § 17 Abs. 1 BauGB zu beurteilende selbstständige andere (= neue) Veränderungssperre setzt jedenfalls voraus, dass die Sperranordnung auf verschiedenen, inhaltlich in keinem Zusammenhang stehenden Planaufstellungsbeschlüssen beruht, sich also auf formell und materiell unterschiedliche Planungen bezieht.
2. Für eine neue Veränderungssperre muss verfahrensmäßig ein neuer Aufstellungsbeschluss gefasst und damit ein neues Bebauungsplanverfahren eingeleitet worden sein, das in materiell-rechtlicher Hinsicht eine völlig neue Planungskonzeption verfolgt.
3. Wann inhaltliche Modifikationen qualitativ und/oder quantitativ so gewichtig sind, dass sie bei verständiger Würdigung in eine faktische Neuplanung umschlagen, ist einer abstrakten Betrachtung entzogen und nur nach Maßgabe der je besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Einer (fehlenden) zeitlichen Zäsur kann dabei zumindest indizielle Bedeutung zukommen.
4. Die zur Neuplanung nach gerichtlicher Aufhebung eines Bebauungsplans entwickelten Grundsätze für die Abgrenzung zwischen einer neuen und einer erneuerten Veränderungssperre sind auf den Fall, dass die frühere Planung (noch) nicht formell abgeschlossen wurde, nicht ohne weiteres zu übertragen. Im Einzelfall hindert der Neuzuschnitt des Plangebiets die Annahme einer Planungskontinuität auch dann nicht, wenn er zu dessen partieller Erweiterung führt. (Amtliche Leitsätze)
OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2017
- Az.: 2 B 994/16.NE -
Der Antragsteller wandte sich gegen eine von der Antragsgegnerin beschlossene Veränderungssperre für den Teilbereich des Bebauungsplans B, in dessen Bereich sich ihm gehörende Grundstücke befinden. Diese Grundstücke wurden zudem von einem bereits Ende 1999 erstmals aufgestellten, auf Festsetzungen nach § 9 Abs. 2a BauGB gerichteten weiteren einfachen Bebauungsplan A erfasst und unterlagen seit dem 12.07.2012 einer für diesen Bebauungsplan beschlossenen Veränderungssperre, die letztmals am 01.03.2016 in derselben Ratssitzung verlängert worden war, in der auch der Aufstellungsbeschluss über den Bebauungsplan B gefasst wurde.
Dieser bezieht neben den Flächen des Antragstellers auch weitere, vom Bebauungsplan A nicht erfasste Bereiche ein, auf die sich die im vorliegenden Verfahren angegriffene Veränderungssperre allerdings nicht erstreckt. Nachdem das OVG die Veränderungssperre vom 1./3. März 2016 mit Beschluss vom 18.05.2016 (Az. 2 B 282/16.NE) wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 2 und 3 BauGB vorläufig außer Vollzug gesetzt hatte, beschloss der Rat der Antragsgegnerin am 19.05.2016 die im vorliegenden Verfahren gegenständliche Veränderungssperre, nunmehr für einen Teilbereich des (qualifizierten) Bebauungsplans B. Der Antrag, auch diese Veränderungssperre vorläufig außer Vollzug zu setzen, hatte ebenfalls Erfolg.
Das Gericht umschreibt in seiner Begründung zunächst die strengen Maßstäbe für die Außervollzugsetzung einer Veränderungssperre und stellt fest, dass dies prozessrechtlich dann „aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten“ (§ 47 Abs. 6 VwGO) sein könne, wenn die Sperre sich bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als bereits im jetzigen Verfahrensstadium offensichtlich rechtsfehlerhaft erweise, was hier der Fall sei. Offen bleiben könne, ob die Veränderungssperre an durchgreifenden formellen Fehlern leide.
Denn die angegriffene Veränderungssperre erweise sich als materiell rechtswidrig, weil es sich um eine nach § 17 Abs. 3 BauGB zu beurteilende und danach rechtswidrige erneute Veränderungssperre handele und nicht - wie die Antragsgegnerin annahm - um eine neue Veränderungssperre, für die §§ 16, 17 Abs. 1 BauGB gälten. Jedenfalls im Hinblick auf das von der Veränderungssperre erfasste Teilgebiet des Bebauungsplans B stelle sich der Bebauungsplan nicht als die für eine eigenständige neue Veränderungssperre erforderliche „neue“ Planung im Vergleich zu dem ursprünglich für dieses Gebiet aufgestellten Bebauungsplan A dar, sondern lediglich als eine Konkretisierung der (bereits) dort verfolgten Planungsabsichten.
Eine selbstständige andere Veränderungssperre setze jedenfalls voraus, dass die Sperranordnung auf verschiedenen, inhaltlich in keinem Zusammenhang stehenden Planaufstellungsbeschlüssen beruhe, sich also auf formell und materiell unterschiedliche Planungen beziehe. Demnach sei zunächst verfahrensmäßig zu fordern, dass ein neuer Aufstellungsbeschluss gefasst und damit ein neues Bebauungsplanverfahren eingeleitet werde. In materiell-rechtlicher Hinsicht müsse die Gemeinde mit der neuen Bauleitplanung eine völlig neue Planungskonzeption verfolgen. Sie müsse demnach zumindest entweder ein völlig neues städtebauliches Ziel verfolgen oder unter Berücksichtigung desselben städtebaulichen Ziels jedenfalls andere und ihrerseits hinreichend gewichtige Festsetzungen in den Blick nehmen.
Im Grundsatz sei davon auszugehen, dass bei einer bloßen Konkretisierung der ursprünglichen Planungsabsichten keine im vorgenannten Sinne „neue“ Planung vorliege, die durch eine selbstständige neue Veränderungssperre gesichert werden könnte. Um keine neue Planungskonzeption handele es sich, wenn sich die neue Planung lediglich als ein Vorgang der Konkretisierung, Fortschreibung oder auch Weiterentwicklung der ursprünglichen, nicht durch einen Satzungsbeschluss abgeschlossenen Gestaltungsabsichten darstelle, wie er im Grunde genommen für jedes Verfahren der Bauleitplanung als einer dynamischen, nicht von vornherein auf bestimmte Inhalte festgelegten Tätigkeit mehr oder minder kennzeichnend sei.
Insofern stellten sich diese Kriterien gewissermaßen als Spiegelbild der grundsätzlich geringen inhaltlichen Anforderungen an die Konkretisierung der Planungsabsichten als Voraussetzung für eine rechtmäßige Veränderungssperre dar. Gerade deshalb seien weitreichendere Modifikationen der Planung in diesem weiten Rahmen der durch eine Veränderungssperre gesicherten Planung immanent. In diesen Fällen stets eine neue Planung anzunehmen, überdehne die Verpflichtung des Eigentümers, planbedingte Nutzungsbeschränkungen seines Grundstücks vorübergehend hinnehmen zu müssen.
Deshalb ändere es grundsätzlich nichts an der weiterverfolgten Planungskonzeption, wenn der ursprüngliche Planentwurf für den von der Veränderungssperre erfassten Teilbereich zwischenzeitlich durch räumliche Veränderungen, insbesondere Verkleinerungen des Gebietszuschnitts, und Änderung einzelner Festsetzungen über das bauliche Nutzungsmaß, die Stellung der Baukörper, die überbaubaren Grundstücksflächen, die Verkehrsflächen usw. nicht unerheblich modifiziert werde. Wann dabei die Modifikationen qualitativ und/oder quantitativ so gewichtig seien, dass sie bei verständiger Würdigung in eine faktische Neuplanung umschlagen, sei einer abstrakten Betrachtung allerdings entzogen und stets nur nach Maßgabe der je besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
Nach diesen Grundsätzen sei hier bereits nach summarischer Prüfung aufgrund der konkreten Sachverhaltsumstände nicht von einer eigenständigen neuen Veränderungssperre auszugehen. Vielmehr liege in der Sache eine erneute Veränderungssperre vor. Dies gelte bezogen auf das Grundstück des Antragstellers schon deshalb, weil der Rat der Antragsgegnerin zeitgleich mit dem Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan B die Veränderungssperre für den Bebauungsplan A auch für das Grundstück des Antragstellers erneuert hat.
Damit habe die Antragsgegnerin klargestellt, dass aus ihrer Sicht die Weiterverfolgung der „alten Planidee“ durch den neuen Aufstellungsbeschluss in keiner Weise beeinträchtigt wird. Diese zunächst wiederum formalen Anhaltspunkte fänden ihre inhaltliche Bestätigung in dem Umstand, dass auch der neue Bebauungsplan B die tragende Planungsleitlinie weiterverfolge, in dem hier in Rede stehenden Gebiet (nahversorgungs- und zentrenrelevanten) Einzelhandel zu verhindern, wie insbesondere in den Ratsdokumenten zum Beschluss über die Veränderungssperre vom 19.05.2016 klar zum Ausdruck gebracht werde. Die Annahme einer vollständig neuen Planungskonzeption sei mit dieser von der Antragsgegnerin selbst herausgestellten Kontinuität des Hauptplanungsanliegens und -ziels von vornherein nicht zu vereinbaren.
Angesichts dessen führe schließlich auch die Tatsache, dass das Plangebiet des Bebauungsplans B nicht lediglich einen Teilbereich des Bebauungsplans A umfasse, sondern in Teilen auch Erweiterungen, nicht ausschlaggebend auf eine neue Plankonzeption für das von der hier in Rede stehenden Veränderungssperre allein umfasste Gebiet, für das seit mehr als 15 Jahren der Bebauungsplan A vorgesehen war. Dieses Plangebiet trete auch nach den Vorstellungen der Antragsgegnerin eigenständig den übrigen Baugebieten des Bebauungsplans B als Gewerbegebiet im Verhältnis zu Misch- und Wohngebieten gegenüber. Deren planerische Zusammenfassung erscheine auch objektiv nicht als zwingend.