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Hauptausschuss 2024
Heft September 2020
Unterschriftenquorum für Wahlvorschläge für das Bürgermeisteramt
Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass der Gesetzgeber auf die pandemiebedingten Erschwernisse bei der Sammlung der sogenannten Unterstützungsunterschriften auch in Bezug auf das Bürgermeisteramt durch die Absenkung der Quoren und die Verlängerung der Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise reagiert hat. Damit hat der VerfGH NRW eine weitere Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen und einen weiteren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die die Durchführung der Kommunalwahlen 2020 betrafen.
VerfGH NRW, Beschlüsse vom 22.07.2020
- Az.: VerfGH 102/20.VB-2 und VerfGH 103/20 -
Die Wahlvorschläge für das Bürgermeisteramt müssen gemäß § 46b i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 1 KWahlG NRW bis zum 59. Tag vor der Wahl, 18 Uhr, beim Wahlleiter eingereicht werden. Für Wahlvorschläge von Parteien oder Wählergruppen, die in der laufenden Wahlperiode nicht ununterbrochen in der zu wählenden Vertretung, in der Vertretung des zuständigen Kreises, im Landtag oder aufgrund eines Wahlvorschlages aus dem Land im Bundestag vertreten sind, müssen sog. Unterstützungsunterschriften gesammelt werden.
Die Vorschläge müssen nach § 46d Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 3 KWahlG NRW von mindestens fünfmal, für die Wahl in Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens dreimal so viel Wahlberechtigten, wie die Vertretung Mitglieder hat, persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein.
Mit Erlass vom 20. Mai 2020 teilte das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW) mit, dass die Kommunalwahlen wie geplant am 13. September 2020 stattfinden sollen. Am 3. Juni 2020 trat das Gesetz zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020 in Kraft, mit dem der Landesgesetzgeber auf mögliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die anstehenden Kommunalwahlen reagierte. Nach § 6 des neuen Gesetzes können Wahlvorschläge nicht nur bis zum 59. Tag, sondern bis zum 48. Tag vor der Wahl (hier: 27. Juli 2020), 18 Uhr, beim Wahlleiter eingereicht werden. Ferner wurde die Anzahl der notwendigen Unterstützungsunterschriften u. a. für Wahlvorschläge für das Bürgermeisteramt gesenkt (vgl. § 13 des Gesetzes zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020). Für die diesjährigen Kommunalwahlen müssen diese Wahlvorschläge danach von dreimal, für die Wahl in Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern von mindestens zweimal so vielen Wahlberechtigten unterzeichnet sein, wie die Vertretung Mitglieder hat.
Der Antragsteller im Verfahren VerfGH 103/20 ist der Ortsverband Recklinghausen der Ökologisch-demokratischen Partei (ÖDP), der in der Hauptsache – über die noch nicht entschieden ist – ein Organstreitverfahren anhängig gemacht hat und darüber hinaus den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrte. Bei der Beschwerdeführerin im Verfassungsbeschwerdeverfahren VerfGH 102/20.VB-2 handelt es sich um die von diesem Ortsverband für die Oberbürgermeisterwahl nominierte Kandidatin. Der Antragsteller und die Beschwerdeführerin trugen im Wesentlichen vor, sie müssten für den Wahlvorschlag der Beschwerdeführerin als Oberbürgermeisterkandidatin bis zum 27. Juli 2020 insgesamt 156 Unterschriften beibringen. Die Bürgerinnen und Bürger seien pandemiebedingt aber äußerst reserviert und gingen auf Wahlstände kaum aktiv zu. Auch Hausbesuchen stünden sie nicht offen gegenüber. Die Absenkung des Unterschriftsquorums und die Verlängerung der Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge seien nicht ausreichend, um diese Nachteile auszugleichen.
Die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde hat der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen damit begründet, dass der Gesetzgeber auf die pandemiebedingten Erschwernisse bei der Sammlung der sogenannten Unterstützungsunterschriften durch die Absenkung der Quoren und die Verlängerung der Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge in einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise reagiert habe. Insofern gelte hinsichtlich der für Wahlvorschläge für das Bürgermeisteramt notwendigen Unterstützungsunterschriften nichts anderes als für die Quoren für Wahlbezirksvorschläge und Reservelisten, mit denen sich der Verfassungsgerichtshof bereits mit Beschlüssen vom 30. Juni 2020 (VerfGH 63/20.VB-2) und vom 7. Juli 2020 (VerfGH 88/20) befasst hatte (siehe auch die Pressemitteilungen vom 06.07.2020 und 10.07.2020).
Mit der Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde hat sich der von der Beschwerdeführerin ebenfalls gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt. Zur Begründung der Ablehnung des Antrags des Ortsverbands der ÖDP Recklinghausen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Verfassungsgerichtshof vor allem ausgeführt, dass sich der in der Hauptsache anhängige Organstreit bei summarischer Prüfung aus den gleichen Gründen wie die Verfassungsbeschwerde als voraussichtlich unbegründet erweise. Darüber hinaus gehe auch die – von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige – Folgenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus.
Pflicht zum Tragen einer „Alltagsmaske“
Das Oberverwaltungsgericht hat in einem Eilverfahren entschieden, dass die „Maskenpflicht“ nach der Coronaschutzverordnung - also unter bestimmten Voraussetzungen im öffentlichen Raum eine einfache Mund-Nase-Bedeckung tragen zu müssen - voraussichtlich weiterhin rechtmäßig ist.
OVG NRW, Beschluss vom 28.07.2020
- Az.: 13 B 675/20.NE -
Der Antragsteller hatte sich gegen die Verpflichtung gewendet, in bestimmten sozialen Situationen, etwa beim Einkaufen oder bei der Benutzung des Personennahverkehrs, eine textile Mund-Nase-Bedeckung zu tragen. Er beanstandet insbesondere, dass die Alltagsmasken ungeeignet seien, Ansteckungsgefahren zu minimieren, da sie die Viren hustender Menschen nicht aufhalten könnten. Auch sei zu befürchten, dass die Maske dazu führe, dass Abstände nicht mehr eingehalten würden. Überdies entstünden Gesundheitsgefahren dadurch, dass die auf dem Markt angebotenen Masken mit Chemikalien belastet seien.
Das OVG NRW hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Wie bereits in früheren Entscheidungen hat der 13. Senat ausgeführt, es sei voraussichtlich nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber einer aktuellen Empfehlung des Robert Koch-Instituts gefolgt sei. Danach sei nach dem derzeitigen Erkenntnisstand davon auszugehen, dass auch privat hergestellte textile Mund-Nase-Bedeckungen eine Filterwirkung auf Tröpfchen und Aerosole entfalten könnten, die zu einer Reduzierung der Ausscheidung von Atemwegsviren über die Ausatemluft führen könne. Hierdurch erscheine es möglich, dass ihr Tragen einen Beitrag zur Verlangsamung der Ausbreitung des von Mensch zu Mensch übertragbaren Coronavirus leiste. Dass es unter der Vielzahl wissenschaftlicher Meinungen auch andere Stimmen gebe, die eine Wirksamkeit der einfachen Mund-Nase-Bedeckung gänzlich verneinen, stehe dem nicht entgegen. Der Verordnungsgeber verletze seinen Einschätzungsspielraum grundsätzlich nicht dadurch, dass er bei mehreren vertretbaren Auffassungen einer den Vorzug gebe, solange er dabei nicht feststehende, hiermit nicht vereinbare Tatsachen ignoriere.
Ferner gehe der Senat unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage davon aus, dass die Mund-Nase-Bedeckung keine allgemeinen Gesundheitsgefahren für den Träger hervorrufe. Insbesondere sei nicht davon auszugehen, dass sich solche aus der möglichen Schadstoffbelastung der für die Herstellung der Masken verwendeten Textilien ergäben, da insoweit dieselben rechtlichen Vorgaben gelten würden wie bei anderen Kleidungsstücken, und es den Benutzern im Übrigen freistehe, unter den vorhandenen (schadstofffreien) Masken zu wählen. Angesichts der anhaltenden Berichterstattung in den Medien zum Schutzzweck der Mund-Nase-Bedeckung sei auch nicht davon auszugehen, dass diese eine „trügerische Sicherheit“ beim Träger hervorriefen, vielmehr dürfte allgemein bekannt sein, dass weitere Schutzvorkehrungen, wie etwa die Einhaltung des Sicherheitsabstands, durch das Tragen der Maske nicht obsolet würden. Schließlich erschienen die damit verbundenen Einschränkungen angesichts des Schutzzwecks hinnehmbar. Die Trageverpflichtung sei räumlich und zeitlich begrenzt. Geeignete Bedeckungen seien üblicherweise in jedem Haushalt vorhanden oder könnten selbst hergestellt bzw. im örtlichen Handel kostengünstig erworben werden. Zudem gebe es Ausnahmebestimmungen, z. B. für Personen, die aus medizinischen Gründen keine „Alltagsmaske“ tragen könnten.
Regelungen des „kommunalen Bildungspaketes“
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Regelungen der Bedarfe für Bildung und Teilhabe teilweise wegen Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Dennoch bleiben die Regelungen bis zum 31. Dezember 2021 weiter anwendbar.
BVerfG, Beschluss vom 07.07.2020
- Az.: 2 BvR 696/12 -
Das BVerfG hat mit dem Beschluss klargestellt, unter welchen Bedingungen eine unzulässige Aufgabenübertragung durch die Erweiterung einer bestehenden Regelung im Sozialrecht vorliegt. Mit Verfassungsbeschwerde sind mehrere kreisfreie Städte aus Nordrhein-Westfalen gegen die neu getroffenen Regelungen der Bedarfe für Bildung und Teilhabe im Bundessozialhilfegesetz vorgegangen, die Aufgaben, die ihnen als örtliche Träger der Sozialhilfe bereits zugewiesen wurden, wesentlich verändert, erweitert und um neue Aufgaben ergänzt hätten.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat erklärt, dass § 34 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, Abs. 4 bis Abs. 7 und § 34a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in der Fassung vom 24. März 2011 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Dagegen entsprechen die in § 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 SGB XII geregelten Aufgaben inhaltsgleich bereits früher auf die Kommunen als örtliche Träger der Sozialhilfe übertragenen Aufgaben und sind daher mit dem Grundgesetz vereinbar.
§ 34 SGB XII in der verfahrensgegenständlichen Fassung bestimmt, für welche Bedarfe Leistungen für Bildung und Teilhabe erbracht werden; § 34a SGB XII enthält Vorgaben für die Gewährung der Bedarfe. Der Gesetzgeber reagierte mit dem Erlass dieser Vorschriften auf das Hartz IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010. Dieses hatte ihm unter anderem aufgegeben, alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf folgerichtig und realitätsgerecht zu bemessen.
Die Beschwerdeführerinnen machen im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde geltend, dass die angegriffenen Vorschriften gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG verstießen, weil die Regelungen die ihnen als örtlichen Trägern der Sozialhilfe bereits zugewiesenen Aufgaben wesentlich verändert, erweitert und um neue Aufgaben ergänzt hätten.
Zunächst hat der Senat ausgeführt, dass Art. 28 Abs. 2 GG durch das Durchgriffsverbot des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG näher ausgestaltet wird. Art. 28 Abs. 2 GG schützt die Kommunen nicht nur vor unverhältnismäßigen Entziehungen von Aufgaben sondern auch vor Aufgabenzuweisungen, die aufgrund finanzieller und personeller Engpässe die Beibehaltung und den Ausbau freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben erschweren oder verhindern können. Ein Fall des Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG liegt vor, wenn ein Bundesgesetz den Kommunen erstmals eine Aufgabe zuweist und damit eine Erweiterung einer bundesgesetzlich bereits zugewiesenen Aufgabe vornimmt.
Eine Schranke findet das Durchgriffsverbot in der Übergangsregelung des Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG. Auf dieser Grundlage darf der Bund eine Anpassung des kommunalen Aufgabenbestandes an veränderte Rahmenbedingungen vornehmen; was darüber hinausgeht, verstößt gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG.
Das BVerfG hat daher festgestellt, dass nach diesen Maßstäben die Regelungen in § 34 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, Abs. 4 bis Abs. 7, § 34a SGB XII in der verfahrensgegenständlichen Fassung die bis dahin den örtlichen Trägern der Sozialhilfe zugewiesenen Aufgaben in einer gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG verstoßenden Weise und die Beschwerdeführerinnen in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletzen.
Die Beschwerdeführerinnen sind für die Gewährung der Bedarfe der Bildung und Teilhabe nach § 34, § 34a SGB XII zuständig (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Bei Inkrafttreten der §§ 34 und 34a SGB XII war ihnen als örtlichen Trägern der Sozialhilfe nur die Aufgabe übertragen, Bedarfe der Bildung und Teilhabe abzudecken (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 und § 28a SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung).
Die zu berücksichtigenden Bedarfe sind durch die angegriffenen Regelungen deutlich ausgeweitet worden. Auf der Grundlage dieser Regelungen müssen die Kommunen nunmehr einem erweiterten Kreis an Leistungsberechtigten zusätzliche Leistungen gewähren. Bedarfe für Schulausflüge – und nicht lediglich für mehrtägige Klassenfahrten – werden anerkannt; die Bedarfe werden zudem auf Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, erstreckt. Erstmals werden Bedarfe für die Schülerbeförderung, die Lernförderung und die Mittagsverpflegung anerkannt. Ferner werden für alle Kinder und Jugendlichen Bedarfe für die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft berücksichtigt. Anspruchsberechtigt sind nicht mehr nur Schüler/innen, sondern auch Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen oder für die Kindertagespflege geleistet wird. Zudem sind nunmehr alle Kinder und Jugendlichen vor Vollendung des 18. Lebensjahres leistungsberechtigt. Schließlich werden die Leistungen – wenngleich unter einschränkenden Voraussetzungen – auch gegenüber Personen erbracht, denen keine Regelleistungen zu gewähren sind.
Die diesbezügliche Regelung des Verwaltungsverfahrens bürdet den Kommunen ebenfalls neue Lasten auf. So hängt die Berücksichtigung der Bedarfe von verschiedenen tatbestandlichen Restriktionen ab sowie von unbestimmten Rechtsbegriffen wie Angemessenheit oder Erforderlichkeit, die individuelle Wertungen voraussetzen. Das führt zu einer erheblichen organisatorischen und personellen Mehrbelastung der Kommunen beim Vollzug der in Rede stehenden Bestimmungen. Gleiches gilt mit Blick auf § 34a Abs. 2 Satz 1 SGB XII, der es den Trägern der Sozialhilfe überlässt, in welcher Form sie die Leistungen erbringen.
Die Ausweitung der kommunalen Leistungsverpflichtung hält sich nicht mehr innerhalb der Grenzen des Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG. Zwar gilt die Zuständigkeitszuweisung des § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, die vor dem 1. September 2006 erlassen wurde, insoweit fort. Die angegriffenen Regelungen haben den materiellen Inhalt der Zuweisung jedoch grundlegend verändert und stellen sich insoweit überwiegend als Zuweisung neuer Aufgaben dar. Das überschreitet die dem Bund nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG verbleibende Anpassungskompetenz.
Die Bedarfe für mehrtägige Klassenfahren (§ 34 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) und die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf (§ 34 Abs. 3 SGB XII) waren dagegen bereits vor Inkrafttreten der angegriffenen Regelungen in § 31 Abs. 1 Nr. 3 und § 28a SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung vorgesehen; die Beschwerdeführerinnen waren hierfür als örtlicher Träger der Sozialhilfe auch zuständig. Insofern hat sich der kommunale Aufgabenbestand nicht verändert, ein Verstoß gegen Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG scheidet aus.
Die mit dem Grundgesetz unvereinbaren Regelungen sind bis zu einer Neuregelung zum 31. Dezember 2021 weiter anwendbar. Die aus dem Ausspruch der Nichtigkeit folgende Verwerfung der §§ 34 und 34a SGB XII hätte erhebliche Unsicherheiten zur Folge und zöge nach einer (rückwirkenden) Neuregelung gravierende verwaltungsrechtliche Probleme nach sich. Bis zu einer Neuregelung könnten die Träger der Sozialhilfe mangels gesetzlicher Grundlage keine Leistungen der Bildung und Teilhabe mehr gewähren, sodass ein menschenwürdiges Existenzminimum im Sinne des Beschlusses des BVerfG vom 23. Juli 2014 (BVerfGE 137, 34) für Kinder und Jugendliche nicht mehr gewährleistet wäre. Bis zu einer Neuregelung würde somit ein verfassungswidriger Zustand geschaffen, dessen rückwirkende Heilung nicht durchgängig möglich wäre.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist aus kommunaler Sicht ausdrücklich zu begrüßen und hat darüber hinaus Signalwirkung. Dem Bund ist es verfassungsrechtlich untersagt, durch ein Bundesgesetz den Kommunen erstmals eine bestimmte Aufgabe zuzuweisen oder eine äquivalente Erweiterung einer bundesgesetzlich bereits zugewiesenen Aufgabe vorzunehmen. Die Entscheidung stärkt das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen nach Art. 28 II GG vor der einseitigen Übertragung von Aufgaben, ohne dass die Mehraufwendungen erstattet werden. Art. 28 Abs. 2 GG schützt die Kommunen nicht nur vor einer (unverhältnismäßigen) Entziehung von Aufgaben, sondern auch vor einer entsprechenden Aufgabenzuweisung. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn den Kommunen Tätigkeiten gegenüber dem Bürger auferlegt und sie zu deren Erfüllung verpflichtet werden.
Daneben erfasst die Vorschrift bundesgesetzlich angeordnete Vorgaben für die kommunale Verwaltungstätigkeit wie Informations-, Berichts- und Kontrollpflichten, die nicht nur die kommunale Organisations- und Personalhoheit, sondern wegen der damit typischerweise verbundenen Kosten auch die Finanzhoheit berühren. Zu den in Frage stehenden sozialhilferechtlichen Bildungs- und Teilhabeleistungen gehören etwa Kosten für Klassenfahrten, der Zuschuss zum Schulbedarf, zur Lernförderung oder auch die Mittagsverpflegung. Zuletzt waren die Mittel durch das sogenannte „Starke-Familien-Gesetz“ noch einmal aufgestockt worden. Der Bund hat nun bis Ende nächsten Jahres Zeit, eine Neuregelung zu verabschieden. Im Anschluss müssen die Länder die Aufgabe auf die Kommunen übertragen und vollständig finanzieren. Die Entscheidung wird auch Ausfluss auf weitere Gesetzgebungsverfahren haben, z.B. den geplanten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung auf Grundschulkinder, sowie die geplante SGB VIII-Reform.