Altlasten-Standorte

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

  1. Die Amtsträger einer Gemeinde haben die Amtspflicht, bei der Aufstellung von Bebauungsplänen Gefahren für die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung (hier: aus Tagesbrüchen wegen Bergschäden) zu vermeiden (im Anschluß an die sog. "Altlasten"-Rechtsprechung des Senats, BGHZ 106, 323; 123, 363).
  2. In den Schutzbereich dieser Amtspflicht fallen bei vom Bauherrn nicht beherrschbaren Berggefahren auch solche Schäden, die auf mangelnder Standsicherheit des Gebäudes infolge von Baugrundrisiken beruhen (Abgrenzung zu BGHZ 39, 358; 123, 363, 367). Entsprechendes gilt für eine wegen Berggefahren rechtswidrig erteilte Baugenehmigung.
  3. Ein schutzwürdiges Vertrauen in die Festsetzungen des Bebauungsplans oder eines von der Gemeinde nach § 246 a Abs. 1 Nr. 6 BauGB a.F. (heute: § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB n.F.) gebilligten Vorhaben- und Erschließungsplans kann grundsätzlich erst mit der Bekanntmachung der genehmigten Satzung entstehen. (Amtliche Leitsätze)

BGB § 839; BauGB § 1; BauGB § 246 a Abs. 1 Nr. 6 a.F. (heute § 12 Abs. 3 Satz 1 n.F.).
Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. Juli 1999 - III ZR 234/97 (OLG Brandenburg)

Zum Sachverhalt:
 
Die Kläger nehmen das Land (Erstbeklagter), die Gemeinde (Zweitbeklagte) und den Landkreis (Drittbeklagter) gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz wegen der Ausweisung eines bergschadengefährdeten Gebiets als Baugelände und wegen der Erteilung von Baugenehmigungen für jenen Bereich in Anspruch.
 
Ab Mitte 1990 trat die Klägerin (Investorin) auf der Suche nach einem geeigneten Standort für einen Gewerbepark mit der beklagten Gemeinde in Verbindung. In deren Gebiet war Ende des 19. Jahrhunderts unter Tage Braunkohle abgebaut worden. Infolge unzureichender Verwahrung der Grubenbaue kam es in der Folgezeit zu Senken und Einsturztrichtern an der Erdoberfläche.
Im März 1999 beschloß die Gemeinde nach entsprechenden Vorberatungen mit den Investoren, einen Vorhaben- und Erschließungsplan für einen Industrie- und Gewerbepark aufzustellen. Zwischen April und Juli 1991 erwarben die Kläger Grundstücke und schlossen im September 1991 mit der beklagten Gemeinden einen Erschließungsvertrag. Die Gemeinde beschloß im März 1992 den vorhabenbezogenen Bebauungsplan als Satzung (jetzt § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB).
 
Im Verlauf der Bauarbeiten kam es zu sog. "Tagesbrüchen" und schließlich zu einem Baustop. Die feststellbaren Hohlräume wurden verfüllt, wodurch eine Teilfläche von ca. 60 % des Gewerbegebiets für eine Bebauung nutzbar wurde. Jedoch mußten dabei besondere Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden.
Die Kläger werfen den Bediensteten aller Beklagten Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Überplanung und der Bebauung des bergschadengefährdeten Geländes vor. (Anm. der Redaktion: Land Brandenburg wegen fehlerhafter Auskünfte der staatlichen Bergbehörde; Gemeinde als Trägerin des Bebauungsplans; Landkreis als Baugenehmigungsbehörde). Bei rechtzeitiger und richtiger Information hätten die Investoren ihr Vorhaben aufgegeben und das Gewerbegebiet an anderer Stelle errichtet. Den Schaden infolge der zusätzlich erforderlichen Sicherungsmaßnahmen bei den Bauten sowie wegen Verzögerungen in der Fertigstellung haben die Kläger auf etwa 7,9 Mio. DM beziffert.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung zurückgewiesen.

Aus den Gründen:
 
Die Revision hat insoweit Erfolg, als eine Haftung der beklagten Gemeinde und des beklagten Landkreises in Frage steht.
A) Nach Auffassung des Berufsgerichts stehen den Klägern aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) keine Ersatzansprüche zu. Schadensersatzansprüche wegen Planungsverschuldens oder der Erteilung von Baugenehmigungen in dem bergschadengefährdeten Gebiet schieden aus, weil nach der sog. "Altlasten-Rechtsprechung" des BGH (3. Senat) der Schutzzweck derartiger Amtspflichten lediglich die Abwehr von Gesundheitsgefahren, nicht aber die Sorge für die Standsicherheit von Gebäuden umfasse.
B) Diese Ausführungen halten, soweit Ersatzansprüche gegen die Gemeinde und den Landkreis verfolgt werden, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
 
I. Haftung der beklagten Gemeinde
1 a) Nach § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB sind bei der Aufstellung von Bauleitplänen insbesondere die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung zu berücksichtigen. Der Senat hat in seiner vom Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend herangezogenen "Altlasten-Rechtsprechung", die Bodenverseuchungen mit gesundheitsgefährdenden Schadstoffen betrifft (BGHZ 106, 323; 108, 224; 109, 380; 110, 1; 113, 367; 117, 363; 121, 65; 123, 363; Urteil vom 25. Februar 1993 - III ZR 47/92), das Gebot, die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu beachten, stets als drittbezogen gewertet. Es soll nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit dienen, sondern bezweckt zugleich den Schutz gerade der Personen, die in dem konkreten von der jeweiligen Bauleitplanung betroffenen Plangebiet wohnen oder arbeiten werden. Sie müssen sich darauf verlassen können, daß ihnen zumindest aus der Beschaffenheit des Grund und Bodens keine Gefahren für Leben und Gesundheit drohen. Dieser Personenkreis ist daher "Dritter" im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB und Adressat der genannten Amtspflichten (BGHZ 106, 323, 325 ff; 109, 380, 388 ff.). Die Verpflichtung, Gefährdungen dieser Art aufzuklären und Gesundheitsrisiken für die zukünftigen Bewohner des Plangebiets auszuschließen, trifft neben den Bediensteten der Gemeinde auch die Mitglieder des Gemeinderats, die bei dem Beschluß über den Bebauungsplan als Beamte im haftungsrechtlichen Sinn tätig werden (BGHZ 106, 323,329 f.).
 
Diese auf der überragenden Bedeutung der Rechtsgüter von Leben und Gesundheit beruhenden Erwägungen gelten nicht minder, wenn - wie hier - der Baugrund wegen verborgener Hohlräume die Gefahr in sich birgt, daß sich plötzlich Trichter größeren Ausmaßes bilden und dadurch Personen oder Fahrzeuge abrutschen oder Gebäude einstürzen. Dadurch sind unmittelbar Leib und Leben der Bewohner, Beschäftigen und Besucher bedroht. Für die Bauleitplanung stehen dann zwar eher die Anforderungen an die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung (§ 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1, zweite Alternative BauGB; s. dazu Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 121) im Vordergrund als die an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse (erste Alternative), auf die sich die bisherige Altlasten-Rechtsprechung des Senats bezieht. Es liegt aber auf der Hand, daß der Schutzzweck der Amtspflichten für beide Gefahrenkreise, die sich ohnehin überschneiden, nicht unterschiedlich beurteilt werden kann (vgl. bereits Senatsbeschluß vom 9. Juli 1992 - III ZR 87/91, NJW 1993, 384, 385).
 
Nach dem revisionsrechtlich als zutreffend zu unterstellenden Klagevorbringen haben die Amtsträger der beklagten Gemeinde solche Amtspflichten im Verfahren über die Aufstellung zunächst des Vorhaben- und Erschließungsplans, dann des Bebauungsplans, schuldhaft verletzt. Ihnen war bekannt, daß die Bergbehörde in dem als Bergschadensgebiet festgesetzten Bereich Nutzungsbeschränkungen verfügt hatte. Vor diesem Hintergrund verbot sich eine Ausweisung jenes Geländes als Baugebiet ohne weitere Sachaufklärung von selbst.
 
Zu den geschützten Dritten im Sinne des § 839 BGB gehören auch Gewerbetreibende, die, wie im Streitfall, in dem Baugebiete eine gewerbliche Bebauung vornehmen wollen (BGH, 9. Juli 1992, NJW 1993, 384f).
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts fallen die mit der Klage geltend gemachten Schäden aus Mehraufwendungen für die Standsicherheit der Gebäude sowie wegen Verzögerung der Bauarbeiten in vollem Umfang in den Schutzbereich der - unterstellt - verletzten Amtspflichten. Die Pflicht der Zweitbeklagten, mit der Ausweisung des bergschadengefährdeten Gebiets als Baugelände nicht Leben und Gesundheit seiner Bewohner oder Beschäftigen zu gefährden, soll gerade und in ihrem Hauptzweck verhindern, daß darauf Gebäude errichtet werden, die schon während ihrer Bauzeit oder später vom Einsturz bedroht sind. Folgerichtig muß diese Amtspflicht dann auch gegen Vermögensverluste aus der Verwirklichung solcher Baumaßnahmen schützen, um die es sich hier handelt.
 
Allerdings hat der Senat bereits 1963 in einem Fall, in dem es um eine trotz fehlerhafter Statik erteilte Baugenehmigung ging, entschieden, das Baugenehmigungsverfahren sei nicht dazu bestimmt, dem Bauherrn die Verantwortung für eine einwandfreie Durchführung und Durchführbarkeit seines Bauvorhabens abzunehmen. Der Nachweis der Standfestigkeit sei Sache des Bauherrn. Wenn die Baugenehmigungsbehörde mit den übrigen Bauunterlagen die statistischen Berechnungen prüfe, so geschehe dies im Blick auf das öffentliche Interesse der Gefahrenabwehr, aber nicht zu dem Zweck, den Bauherrn zu sichern oder ihm die Verantwortung zu erleichtern und ihn vor nutzlosen finanziellen Aufwendungen zu bewahren (BGHZ 39, 358, 364 f.; ähnlich BGHZ 60, 112, 118 f.). Mit einer solchen Fallgestaltung ist die vorliegende in mehrfacher Hinsicht nicht vergleichbar. Sie ist es insbesondere deswegen nicht, weil der Bauherr weder bauordnungsrechtlich verpflichtet ist noch es ihm im eigenen Interesse abverlangt werden kann, ohne zureichende Anhaltspunkte die Tragfähigkeit des Baugrunds bis zu der hier erforderlichen Tiefe von 50 bis 90 m, in der sich die alten Bergwerksgänge befinden, zu prüfen.
 
In seiner Altlasten-Rechtsprechung hat der Senat diese Grundsätze indes fortgeführt und weiterentwickelt. Die Ersatzpflicht der planenden Gemeinde sei zwar nicht auf Gesundheitsschäden beschränkt, sondern umfasse grundsätzlich alle Vermögensverluste aus der Errichtung oder dem Kauf nicht bewohnbarer Gebäude (BGHZ 106, 323, 334; 121, 65, 67). Ausgenommen hat der Senat jedoch weiterhin solche Aufwendungen, die in der mangelnden Standfestigkeit eines Gebäudes begründet sind, weil der durch Altlasten beeinträchtigte Baugrund sich als nicht hinreichend tragfähig erweist (Beschluß vom 9. Juli 1992 - III ZR 87/91, NJW 1993, 383, 385; bestätigt in BGHZ 121, 65, 68; 123, 363, 367; s. auch bereits BGHZ 113, 367, 372). Es sei grundsätzlich nicht Zweck der allgemeinen Bauleitplanung, den Eigentümern der Grundstücke Baugrundrisiken abzunehmen. Das Abgrenzungskriterium zu der sonst bejahten Verantwortlichkeit für die Überplanung von Altlasten hat der Senat darin gesehen, daß es - anders als bei der Standsicherheit - dort um Gesundheitsgefahren gehe, die vom Bauherrn nicht beherrschbar seien und deren Abwendung daher auch nicht in seinen Verantwortungsbereich falle (Beschluß vom 9. Juli 1992 aaO unter Hinweis auf BGHZ 106, 323, 335; BGHZ 123, 363, 367; s. auch BGHZ 116, 215, 219 ff.; BGH, Urteil vom 18. September 1987 - V ZR 219/85, NJW-RR 1988, 136, 137, zu Baugrundrisiken aus der geologischen Beschaffenheit des Baugrundes).
 
Diese Wertung, die das Baugrundrisiko grundsätzlich dem Bauherrn zuweist, ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen (Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Vorbem. Rn. 84 a.E. vor §§ 39 - 44; W. Kühn, Die Amtshaftung der Gemeinden wegen der Überplanung von Altlasten, 1997, S. 71 ff.; Ossenbühl, JZ 1989, 1125, 1126; ders., DÖV 1992, 761, 766 f.; W. Schrödter in Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 2 Rn. 73; s. auch Jochum, Amtshaftung bei Abwägungs- und Prognosefehlern in der Bauleitplanung, 1994, S. 109). Dazu muß hier nicht Stellung genommen werden. Denn bereits aus der für die Sonderbehandlung der Standsicherheit in den Altlastenfällen gegebenen Begründung folgt, daß ein solcher Ausnahmetatbestand für aus Bergschäden entstehende Baugrundrisiken nicht angenommen werden kann. Sie sind, wie bereits ausgeführt, für den Bauherrn typischerweise gerade nicht beherrschbar und lassen sich aus diesem Grunde auch nicht seinem alleinigen Aufgaben- und Pflichtenkreis zuordnen. Sie gehören vielmehr auch in ihrem sachlichen Gehalt zu den Gefahren, vor deren Verwirklichung die verletzte Amtspflicht den Bauherrn bewahren will, sofern es nicht lediglich um die Vermeidung nutzloser finanzieller Aufwendungen des Bauherrn, sondern um Leben und Gesundheit von Menschen oder um die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung geht.
 
c) Zweifelhaft mag hier allerdings sein, inwieweit die planerischen Maßnahmen der Beklagten zu 2 eine Vertrauensgrundlage für Investitionen der Kläger und ihrer Zedenten im Gebiet des geplanten Gewerbeparks bilden konnten. Die Investoren haben die Grundstücke in diesem Bereich bereits in der Zeit von April bis Juli 1991, mithin zu einem Zeitpunkt erworben, als der Vorhaben- und Erschließungsplan zwar aufgestellt und bekannt gemacht, die Planung aber noch nicht abgeschlossen war. In aller Regel rechtfertigt indessen erst die Bekanntmachung der Satzung (im Streitfall aufgrund des Satzungsbeschlusses vom 11. März 1992) ein schutzwürdiges Vertrauen der Planungsbetroffenen in die Festsetzungen des Bebauungsplans (vgl. Senatsbeschluß vom 25. September 1997 - III ZR 273/96).
 
II. Ersatzpflicht des beklagten Landkreises
1. Gegen den beklagten Landkreis kommen Schadensersatzansprüche nur insoweit in Betracht, als er rechtswidrig einzelne Teilbaugenehmigungen erteilt hat und den Bauherrn im Vertrauen darauf Schäden entstanden sind.
 
2. Die Amtspflicht, eine rechtswidrige Baugenehmigung nicht zu erteilen, obliegt der Bauaufsichtsbehörde gegenüber dem antragstellenden Bauherrn als "Dritten" (st. Rspr.; vgl. BGHZ 60, 112, 115 ff,; 134, 268, 276 f.; Senatsurteil vom 5. Mai 1994 - III ZR 28/93, NJW 1994, 2087, 2088). In den Schutzbereich dieser Amtspflicht fallen ihrer Art nach auch die hier geltend gemachten Schäden. Insofern kann für die Baugenehmigung nichts anderes gelten als für den Schutzzweck der oben (unter I 1 b) behandelten Amtspflichten bei der Bauleitplanung. Der Bauherr darf mithin darauf vertrauen, daß sich aus dem Baugrund keine aus für ihn nicht erkennbaren Bergbaumaßnahmen herrührenden Gefahren für die Standsicherheit des zu errichtenden Gebäudes ergeben, die der Baugenehmigungsbehörde bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen. Verfehlt die Baugenehmigung diesen Zweck, so haftet - bei Vorliegen auch der übrigen
Anspruchsvoraussetzungen. Die Anstellungskörperschaft für den hieraus entstandenen Schaden nach Amtshaftungsgrundsätzen.

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